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Ex-Radprofi: "Jan Ullrich sollte reinen Tisch machen und Doping zugeben"


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Deutschland-Tour-Chef über Ullrich
"Würde mir wünschen, dass er reinen Tisch macht und Doping zugibt"

  • T-Online
InterviewVon Alexander Kohne

Aktualisiert am 23.09.2022Lesedauer: 6 Min.
Jan Ullrich: Trotz zahlreicher Andeutungen hat er nie Doping gestanden, immer nur davon gesprochen, "niemandem geschadet" zu haben. (Archivbild)Vergrößern des Bildes
Jan Ullrich: Trotz zahlreicher Andeutungen hat er nie Doping gestanden, immer nur davon gesprochen, "niemandem geschadet" zu haben. (Archivbild) (Quelle: imago sportfotodienst)

Nach den Skandalen der 90er wird Radsport wieder populärer. Zum Start der Deutschland Tour spricht Fabian Wegmann über den Boom und Jan Ullrich.

Heute startet die Deutschland Tour mit einem Zeitfahren in Weimar (ab ca. 16.30 Uhr im Livestream bei Sportschau.de). Bis Sonntag folgen vier weitere Etappen. Mitverantwortlich dafür, dass die Rundfahrt nach einem Jahrzehnt und den Dopingenthüllungen rund um das Team Telekom im Jahr 2018 reaktiviert wurde, ist der sportliche Leiter Fabian Wegmann.

t-online: Herr Wegmann, wie schwierig ist es, in Deutschland wieder eine größere Radrundfahrt zu etablieren?

Fabian Wegmann: Wir hatten das Pech, dass nach zwei Austragungen die Corona-Pandemie kam. 2020 ist die Deutschland Tour deshalb ausgefallen und im vergangenen Jahr haben wir die Route sehr spät bekannt gegeben, damit nicht zu viele Zuschauer an die Strecke kommen. Als wir das Rennen 2018 wieder reaktiviert haben, mussten wir vielen Leuten erst erklären, was die Deutschland Tour überhaupt ist – weil es zehn Jahre keine gab. Viele wusste nicht mehr, was ein Radrennen in Deutschland überhaupt ist (lacht). Mittlerweile wird die Resonanz immer besser und Städte und Kommunen kommen auf uns zu und wollen Teil der Tour werden.

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Fabian Wegmann (Quelle: IMAGO/RUEDIGER WOELK)

Fabian Wegmann

Der gebürtige Münsteraner war zwischen 2002 und 2016 Radprofi und gewann 2004 die Bergwertung des Giro d'Italia. Heute ist Wegmann sportlicher Leiter der Deutschland Tour und arbeitet als TV-Kommentator.

Dennoch gibt es in Deutschland immer weniger größere Radrennen.

Das stimmt. Grundsätzlich haben wir wie andere Rennveranstalter auch damit zu kämpfen, dass die Auflagen immer anspruchsvoller werden. Früher ist man einfach zur Stadt gegangen, hat sich eine Genehmigung geholt und dann war’s das. Heute ist das anders: Man braucht viele unterschiedliche Genehmigungen, was das Ganze wesentlich verkompliziert. Ich würde mir von der Politik mehr Rückhalt wünschen. Weil es oft davon abhängt, ob Politik und Ämter so ein Rennen wollen oder nicht. Meine Erfahrung ist: Wenn die wirklich wollen, geht eigentlich alles.

Welche Anforderungen steigen denn genau?

Beispielsweise muss jede größere Veranstaltung mittlerweile ein Sicherheitskonzept vorlegen – das schließt oft auch kleinere Rundrennen mit einigen Hundert Zuschauern ein. Es geht beispielsweise um Fluchtwege, die ja auch sehr wichtig sind. Allerdings ist es etwas anderes, ob ein Fußballspiel in einem großen Stadion ausgetragen wird, in dem schnell eine Massenpanik entstehen kann, oder ein Radrennen auf der offenen Fläche über Hunderte Kilometer. Das muss man bei den Ämtern oft verdeutlichen. Die Sicherheitsfrage wird berechtigterweise immer größer – und zwar auch im Hinblick auf die Fahrer. Die Strecken müssen sicher sein, also gut abgesperrt, und möglichst ohne Verkehrsinseln. In Deutschland werden jedes Jahr Tausende solcher Inseln gebaut, was die Sache ebenfalls komplizierter macht.

Sie sagten zuvor, dass Sie sich "mehr Rückhalt" von der Politik wünschen würden. Was meinen Sie konkret?

Die Politik kann viel lenken. Wenn ein Bürgermeister will, dass ein Rennen durch seine Stadt führt, spricht er mit seinen Ämtern und dann funktioniert das meistens. Ein gutes Beispiel dafür ist meine Heimatstadt Münster, wo alljährlich der Münsterland Giro stattfindet. Es gibt einen Bürgermeister, der selbst fast alle Wege mit dem Rad statt mit der großen Limousine erledigt. Er steht dahinter – und dementsprechend stehen auch die Ämter dahinter. Weil er es vorlebt und zeigt, worum es geht: und zwar nicht nur um ein Radrennen, sondern auch darum, Menschen fürs Radfahren zu begeistern.

In der Zukunft brauchen wir in den Städten nicht nur eine bessere Infrastruktur für E-Autos, sondern müssen vor allem sehen, dass die Menschen mehr mit dem Fahrrad fahren. Deshalb sind bei der Deutschland Tour neben dem Profirennen auch viele Events im Rahmenprogramm, bei denen mehr als 5.000 Fahrradbegeisterte mitfahren. Von den Zweijährigen auf Laufrädern bis zu den ambitionierten Hobbysportlern – sie haben Spaß am Fahrrad.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Zuge der EM 2022 eine gleiche Bezahlung von Frauen und Männern in Fußball gefordert. Würden Sie sich wünschen, dass er sich im Hinblick auf die von der Koalition oft thematisierte Verkehrswende für den Radsport positionieren würde?

Natürlich wünsche ich mir, dass Olaf Scholz sich mehr für den Radsport einsetzt – und zwar auch im Hinblick auf die Verkehrswende. Das tun bereits viele Politiker. Und viele fahren gerne Rad. Aber wenn es beispielsweise darum geht, Städte für ein Rennen zu sperren, wäre mehr politische Unterstützung schön – vielleicht auch im Hinblick auch kombinierte Konzepte. Bei der Deutschland Tour in Stuttgart wird am nächsten Sonntag die Fahrradbegeisterung deutlich. In der Autostadt schlechthin werden Tausende Menschen einige Straßen autofrei auf dem Rad erleben. Die Nachfrage war so groß, dass das Event ausgebucht ist.

Welche Rolle spielen die Dopingskandale der 90er- und 00er-Jahre in der öffentlichen Sichtweise des Radsports?

Während der Tour de France, die ich als Kommentator in der ARD begleite, habe ich viele Zuschriften und Fragen dazu bekommen. Tenor war, dass viele Menschen den Spaß an der Rundfahrt wiederentdeckt haben – teilweise nach über einem Jahrzehnt. Und der Grund, warum sie so lange nicht geschaut haben, waren natürlich die Dopingskandale. Daher sollte man dieser neuen Euphorie um den Radsport nicht komplett blind erliegen. Schwarze Schafe wird es weiter geben, da muss man sich nichts vormachen – und zwar in jedem Sport. Dennoch hat der Radsport im Anti-Doping-Kampf sehr an sich gearbeitet und viel für seine Glaubwürdigkeit getan. Mein Eindruck ist, dass die Zuschauer dies wahrnehmen, mehr differenzieren und nicht wie noch vor ein paar Jahren pauschal sagen: "Die sind ja eh alle gedopt." Sie geben dem Radsport wieder eine Chance.

Dennoch hat Maximilian Schachmann bei t-online etwas resigniert gesagt, dass er auch 25 Jahre nach Jan Ullrichs Tour-Sieg weiterhin sehr oft auf Doping angesprochen werde und nicht nachvollziehen könne, warum gerade in Deutschland so viele Menschen beim Radsport "immer noch so skeptisch sind". Wie stehen Sie dazu?

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Ich kann seine Sichtweise absolut verstehen und zwar auch aus persönlicher Betroffenheit. Ich habe nie gedopt, hatte nie etwas damit zu tun, und von einem Tag auf den anderen wurde ich nur noch darauf angesprochen. Das war für mich damals extrem hart. Ich habe aber natürlich gesehen, wie groß das Problem war und wie viel Fahrer damals gedopt haben. Von daher habe ich natürlich total verstanden, dass die Leute so gedacht haben.


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"Solche Aussagen haben mich damals extrem wütend gemacht"


Wegmann über gedopte Fahrer, die sagten, niemanden betrogen zu haben.


Viele gedopte Fahrer haben damals gesagt, dass sie niemanden betrogen hätten – aber damit meinten sie natürlich vornehmlich die, die vorne dabei waren. Denn die ersten Zehn wurden quasi alle überführt. Aber dahinter gibt es im Feld viele andere Fahrer und die waren eben nicht alle gedopt. Solche Aussagen haben mich damals extrem wütend gemacht. Daher kann ich völlig nachvollziehen, dass es immer noch in den Köpfen der Menschen ist. Aber Schachmann war bei Jan Ullrichs Toursieg allerdings drei Jahre alt. Der hat damit nun gerade gar nichts zu tun.

Wird sich der deutsche Radsport irgendwann komplett von dieser skandalträchtigen Zeit erholen?

Das ist schwierig zu sagen. Es wird immer ein Teil der Geschichte des Radsports bleiben und man wird es immer im Hinterkopf haben. Daher ist es gut, einen kritischen Blick beizubehalten. Aber man sollte nicht jede tolle sportliche Leistung per se mit Doping in Verbindung bringen. Mittlerweile ist das Ganze auch viel transparenter geworden. Die Fahrer posten ihre Trainingsstrecken auf Internetplattformen, man kann sehen, wie viele Watt sie gefahren sind und anhand dessen Ungereimtheiten eher erkennen. Die Begeisterung für den Radsport kommt in Deutschland wieder.

Dennoch wird es weiter Dopingfälle geben, die dann natürlich umso enttäuschender sind. Allerdings gibt es die in anderen Sportarten auch. Egal wie hoch die Strafen sind, es wird immer Menschen geben, die betrügen.

Ullrich hat auch 25 Jahre nach seinem Toursieg nicht eindeutig zugegeben, gedopt zu haben. Sollte er das tun?

Ja, ich würde mir schon wünschen, dass Jan Ullrich reinen Tisch macht und sein Doping offen zugibt. Für ihn als Mensch wäre das mit Sicherheit besser. Durch die Blume hat er schon viel gesagt und die Fakten liegen ja auch auf dem Tisch. Ich glaube, dass ihm in Deutschland fast jeder verzeihen würde. Dennoch wäre es natürlich sehr spät. Ich habe ihn früher kennengelernt. Er ist ein wirklich herzensguter Mensch, der aber auch seine Extreme braucht.

Dass er diesen ganzen Drogen verfallen ist, ist eine absolute Katastrophe, hängt meines Erachtens aber auch damit zusammen, dass er sich nicht öffentlich blicken lassen konnte. Er wurde überall und ständig auf Doping angesprochen und darauf reduziert. Im Vergleich dazu hat beispielsweise Rolf Aldag die Karten auf den Tisch gelegt, offen über sein Doping gesprochen, und ist in meinen Augen heute absolut glaubwürdig. Er muss sich nicht mehr verstecken. Wenn Jan Ullrich das vor 10, 15 Jahren getan hätte, müsste er das auch nicht mehr machen. Er könnte so viel tun für den Radsport – gerade für den Nachwuchs – und fängt ja auch gerade wieder an, mit Kindern zu trainieren. Nur in der öffentlichen Wahrnehmung ist er einfach nicht glaubwürdig genug.

Mehr zu Deutschland Tour 2022 gibt es auch im "Cycling Magazine"-Podcast mit Fabian Wegmann.

Verwendete Quellen
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