Boateng eröffnet Weichei-Debatte Fehlen dem DFB-Team die Typen, um den WM-Titel zu gewinnen?
Diese Diskussion dürfte die deutsche Nationalmannschaft wohl noch eine ganze Weile verfolgen. Wahrscheinlich bis zum Turnier-Ende. Wann auch immer das für die DFB-Elf soweit sein wird. Haben wir zu viele Weicheier, um den WM Titel in Brasilien zu gewinnen? Kevin-Prince Boateng hat vor wenigen Tagen die Debatte eröffnet. Nach dem Bubi-Test gegen Polen setzte sich Bundestrainer Joachim Löw jetzt zur Wehr. "Die Antwort gibt es bei der WM."
Unter dem Eindruck des jüngsten Debütantenballs gegen Polen, in dem der 20-Jährige Julian Draxler das Team als Kapitän auf das Feld geführt hatte, weil er derjenige mit den meisten Länderspielen (11) war, kann einem schon Angst und Bange werden. Doch von den Youngstern werden wohl nur eine Handvoll die Reise nach Südamerika mitmachen. Und diese dürften nicht zu den tragenden Säulen des Teams gezählt werden.
Boateng stichelt
Das sind vielmehr Philipp Lahm, Manuel Neuer, Per Mertesacker, Sami Khedira, Miroslav Klose, Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski. Aufgrund ihres Alters und ihrer Erfahrung sollen sie das DFB-Team zum vierten WM-Titel führen. Doch um wirklich vorangehen zu können, muss man selbst in Topform sein. Zumindest bei den letzten vier genannten Akteuren darf bezweifelt werden, ob sie diese in Brasilien aufgrund von diversen Verletzungen in der Vergangenheit tatsächlich abrufen können.
"Sie müssen Weltmeister werden oder mindestens ins Finale. Aber sie haben nicht die Typen in der Mannschaft, die alle mitreißen können", hatte Kevin-Prince Boateng gestichelt. Der Schalke-Star trifft mit Ghana wie bereits bei der WM 2010 in der Gruppenphase auf Deutschland und auf seinen Halbbruder Jerome Boateng.
Erinnerungen an Balotelli
Fußballerisch bringe die DFB-Elf zwar eine "überragende" Qualität mit, aber "immer, wenn es drauf ankam, haben sie es nicht geschafft", führte Boateng weiter aus und hat durchaus Recht. Bei der EM 2008 scheiterte man in Finale an Spanien. Ebenso wie bei der Heim-WM 2006 war in Südafrika vor vier Jahren und zuletzt bei der EM 2012 stets im Halbfinale Endstation.
Vor allem das Aus gegen Italien in Warschau, für das Mario Balotelli mit zwei blitzsauberen Toren im Alleingang gesorgt hatte, schwingt immer noch ein wenig nach. Einer routiniert und abgezockt auftretenden Squadra Azzurra mit Typen wie Andrea Pirlo oder eben Mario Balotelli hatten die Deutschen nichts entgegenzusetzen. Ähnliches könnte sich in Brasilien wiederholen. Schließlich rückt auch niemand anderes nach, der von seinen Führungsqualitäten her in die Fußstapfen von Lahm und Co. treten könnte.
Hummels kann, darf aber nicht
Außer Mats Hummels. Der 25-jährige Verteidiger wäre zwar einer, aber der Dortmunder besitzt beim DFB keine Lobby. Seine mitunter kritische Sichtweise und sein Mut dies auch zu artikulieren, wird von den DFB-Verantwortlichen allen Beteuerungen zum Trotz nicht gerne gesehen.
Andere, die auch schon etwas länger dabei sind, müssen erst einmal selbst ihren Platz in der Nationalmannschaft finden. André Schürrle und Marco Reus zum Beispiel. Sie müssen ihre starken Leistungen für den Verein endlich auch dauerhaft in der Nationalmannschaft bestätigen. Um Führungsaufgaben zu übernehmen, ist es für sie noch viel zu früh.
Özil und die hängenden Schultern
Einer, der sich momentan sogar zurückentwickelt, ist Mesut Özil. Der Arsenal-Star wechselte im letzten Sommer für rund 50 Millionen Euro von Real Madrid zum FC Arsenal und läuft nicht nur seiner Form hinterher. "Mesut muss an seiner Körpersprache arbeiten", schrieb ihm Löw zuletzt sogar ins Stammbuch. "Er muss auch dann, wenn ihm mal etwas misslingt oder er eine entscheidende Situation nicht glücklich löst, zeigen, dass er dies wegsteckt und signalisiert: Ich bin trotzdem weiter da und kann das Spiel prägen."
Wie sollen also die Großkreutz‘, Durms, Draxlers, Vollands oder Götzes auftreten, wenn selbst gestandene Profis wie Özil nach jeder misslungenen Aktion die Schultern hängen lassen? Oliver Bierhoff sieht das natürlich anders. "Wir brauchen keine Typen, die auf dem Platz nur wild rumschreien. Sondern Spieler, die Verantwortung übernehmen – und die haben wir, wenn ich mir unseren Kader anschaue", sagte er. Aber was soll der DFB-Teammanger auch anderes sagen?
Parallelen zum FC Bayern
Eine ähnliche Diskussion hatte man vor nicht allzu langer Zeit beim FC Bayern geführt. Als alte Haudegen wie Oliver Kahn oder Stefan Effenberg die flache Führungshierarchie von Lahm, Schweinsteiger und Neuer stets in Frage stellten. Nach dem Gewinn der Champions League verstummte diese Diskussion. Ähnlich wird es wohl auch in Brasilien sein.