Brasilien oder Spanien Diego Costa hat die Qual der Wahl
Von Florian Haupt
Preisfrage: Im WM-Finale 2014 schießt Diego Costa das entscheidende Tor. Wer wird Weltmeister? Wer Diego Costa nicht kennt: das ist schon in Ordnung. Der 25-jährige Stürmer von Atlético Madrid kommt gerade erst groß raus. Momentan führt er in Spanien mit zehn Toren aus acht Spielen die Torschützenliste an. Costa mag ein Spätzünder sein, aber das war zum Beispiel Didier Drogba auch. Mit dem hat er übrigens gewisse Ähnlichkeiten in der Spielweise.
Wer ihn kennt, wird die Frage trotzdem nicht beantworten können. Niemand kann das. Nicht mal Costa selbst weiß momentan, ob und für wen er bei der WM 2014 spielen wird. Nur soviel steht fest: Falls er denn spielt, hat er extrem gute Aussichten auf das Finale.
Costa ist gebürtiger Brasilianer und eingebürgerter Spanier. Dem Reglement nach kann er prinzipiell für beide Mannschaften spielen. Aber die Lage ist kompliziert, die Interessen vielfältig und so zeichnet sich ein sportpolitischer Thriller ab, der in den nächsten Wochen noch für reichlich Diskussionsstoff sorgen dürfte.
Del Bosque will Costa unbedingt
Am schnellsten ist die Perspektive des Spielers beschrieben. Costa verließ sein Land früh, mit 15, in Richtung Portugal. Er war deshalb nie auf dem Radar des Verbandes und in Brasilien bis vor kurzem ein Unbekannter. Mit 18 kaufte ihn Atlético Madrid. Jahrelang konnte er sich dort nicht durchsetzen, wurde immer wieder in die spanische Provinz verliehen, ehe ihm in der vergangenen Saison der Durchbruch beim Hauptstadtklub gelang. Von Brasiliens Nationaltrainer Luiz Felipe Scolari wurde das im März mit der Einladung zu einem Doppeltermin von Testspielen belohnt, er kam dort zu insgesamt 35 Minuten Einsatzzeit. Seitdem wurde er nicht mehr berücksichtigt.
Wie jeder Fußballer würde Costa natürlich gern bei der WM spielen. Scolari scheint andere zu bevorzugen, aber als Langzeitresident in Spanien hat er inzwischen auch den Pass seiner Wahlheimat. Der habe er im Fußball alles zu verdanken, sagt er. Und Nationaltrainer Vicente del Bosque will ihn unbedingt haben.
Spaniens Schwachstelle ist der Sturm
Spanien ist amtierender Welt- und Europameister und hat Talent im Überfluss. Aber auch eine Schwachstelle – den Sturm. In der soeben beendeten WM-Qualifikation hat man in acht Spielen gerade mal 14 Tore geschossen. David Villa und Fernando Torres haben nicht mehr die Klasse früherer Tage, Álvaro Negredo und Roberto Soldado nicht die für die großen Gegner. In wichtigen Spielen agiert del Bosque daher immer mit Mittelfeldmann Cesc Fàbregas als "falschem Neuner", die wichtigen Treffer musste zuletzt Flügelmann Pedro erzielen. Seit Jahren tüftelt del Bosque an dem Problem herum, überzeugt hat ihn bisher nichts. Costa könnte die Lösung sein.
Vor einigen Wochen traf man sich zum Essen und versicherte sich gegenseitig den Willen zur Zusammenarbeit. Del Bosque hätte Costa gern schon für die Länderspiele in dieser Woche nominiert. Aber die nötigen Papiere waren noch nicht beieinander, vor allem fehlte der FIFA eine schriftliche Bestätigung des brasilianischen Verbandes, dass der Stürmer noch nie ein Pflichtspiel für sein "Erstland" bestritten habe.
"Der Spieler hat das letzte Wort"
Gut möglich, dass sich Brasilien absichtlich ein paar Tage mehr Zeit ließ. Scolari mag andere Stürmer bevorzugen, die Option Costa verlieren möchte er trotzdem nicht. Und schon gar nicht einen der größten Rivalen um den WM-Titel stärken. Am Dienstag berichtete nun der Generalsekretär des spanischen Fußballverbandes, Jorge Pérez, der brasilianische Verband habe mittlerweile das angeforderte Dokument übermittelt. Aber mit selbem Schreiben auch wissen lassen, dass man in Brasilien auf Costa zähle und den Stürmer für die Endrunde gern selbst zur Verfügung hätte.
Im November stehen die nächsten Länderspiele an. "Der Fall kann eintreten, dass er von beiden Nationen berufen wird", sagt Funktionär Pérez. "Der Spieler hat das letzte Wort."
Horrorszenario mit abschreckender Wirkung?
Wenn es doch nur so einfach wäre. Das vorerst letzte Wort nämlich hat die Kommission für den Status von Spielern der FIFA. Bei Costa handelt es sich um einen Nationswechsel, der zwar seit einigen Jahren auch für Spieler über 21 Jahren erlaubt ist, aber bei der genannten Kommission schriftlich beantragt und überzeugend begründet werden muss. Hintergrund ist die Sorge vor einer massenhaften Einbürgerung von Nationalspielern und damit einer Verwässerung des Länderspielbetriebs.
Weil er schon so lange in Spanien spielt und dort zum Spitzenspieler heranwuchs, hat Costa prinzipiell gute Argumente, seine fußballerische Heimat anderswo zu verorten als seine Geburt. Andererseits sind da diese zwei Länderspiele mit Brasilien vor nicht einmal einem Jahr. Der brasilianische Verband, so heißt es, werde sich darauf berufen, um den Fall gegebenenfalls vor die Kammer zur Beilegung von Streitigkeiten bei der FIFA zu bringen. Die hätte dann das allerletzte Wort, und bis sie zu einem endgültigen Urteil käme, wäre der Spieler für jedwede Ländermannschaft gesperrt. Ein Horrorszenario für Costa mit, so hoffen sie in Brasilien, abschreckender Wirkung.
Die Qual der Wahl also, im wahrsten Sinne des Wortes. Bislang macht Costa weiter seine Tore, aber er wäre nicht der erste, dem in so einem Gezerre irgendwann die Leichtigkeit abhanden ginge. Halten seine Nerven jedoch diesem Druck stand, werden sie ihm sicher auch ein Tor im WM-Finale ermöglichen. Für wen auch immer.