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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ausstehende Lohnzahlungen Vor der WM 2022: Gastarbeiter streiken in Katar
Die Kritik an der WM in Katar reißt nicht ab. Nun wollen die Gastarbeiter ein Zeichen setzen – und gehen damit ein großes Risiko ein.
Dass die kommende Fußball-Weltmeisterschaft in Katar keine gewöhnliche sein wird, ist bereits länger klar. Das liegt nicht nur daran, dass sie im Winter stattfindet. Stattdessen ist vielmehr von Bedeutung, dass neben dem Fußball auch immer wieder die gesellschaftliche und politische Situation im Wüstenstaat besonders im Mittelpunkt steht. Speziell der Umgang mit den Tausenden Gastarbeitern, die die Stadien in Windeseile aus dem Boden stampfen mussten, wird immer wieder angeprangert. Im Februar 2021 berichtete die englische Zeitung "The Guardian" bereits, dass mindestens 6.500 Gastarbeiter in Katar gestorben seien, seit die WM im Jahr 2010 an das Land vergeben wurde.
Doch die Berichte über die teils menschenunwürdigen Zustände haben an der Situation der Gastarbeiter offenbar nichts geändert. Nun hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen neuen Bericht vorgelegt. Die Kernbotschaft: Noch immer werden die Arbeitskräfte ausgebeutet, es gebe nach wie vor vielfach Lohnmissbrauch, zu späte Zahlungen und schlechte Lebensumstände. Die Löhne seien monatelang nicht pünktlich gezahlt worden, weshalb viele Gastarbeiter ihre Arbeit niederlegt und stattdessen protestiert hätten. Allerdings herrsche auch große Angst vor derart öffentlicher Meinungsäußerung – offenbar zurecht. Denn am 14. August seien zahlreiche Gastarbeiter wegen Protesten festgenommen worden, insgesamt 60 seien dann sogar aus dem Land abgeschoben worden.
Gastarbeiter: "Regelmäßige Bezahlung und Arbeit nicht garantiert"
Die katarischen Behörden bestätigten daraufhin, dass sie Arbeiter, die an dem Streik vom 14. August teilgenommen hatten, wegen "Verletzung der katarischen Gesetze zur öffentlichen Sicherheit" inhaftiert und ihre "freiwillige Rückkehr" vereinfacht hätten, und erklärten, rechtliche Schritte gegen zwei Unternehmen wegen Lohnmissbrauchs eingeleitet zu haben. Ein Gastarbeiter berichtete Human Rights Watch: "Es gibt zwei Dinge, die wir brauchen. Regelmäßige Arbeit und regelmäßige Bezahlung für geleistete Arbeit. Leider ist beides in Katar nicht garantiert, vor allem, wenn man einen schlechten Arbeitgeber erwischt."
Für weitere Streiks habe dem Bericht zufolge zudem gesorgt, dass Arbeitgeber die Gastarbeiter vor Ablauf ihres zweijährigen Arbeitsvertrags nach Hause schicken wollten. Viele Arbeiter hätten Angst, dass die WM als Vorwand benutzt werde, um sie ohne Zahlung ihrer vollen Löhne und Leistungen loszuwerden. Die katarischen Behörden teilten Human Rights Watch daraufhin in einer schriftlichen Antwort vom 18. September mit, dass Arbeitgeber das Recht hätten, einen Arbeitsvertrag vor Ablauf seiner Laufzeit zu kündigen, sofern der Arbeitgeber die gesetzlich vorgeschriebene Kündigungsfrist für den Arbeitnehmer einhalte.
Human Rights Watch Direktor: "Proteste sind Akt der Verzweiflung"
Ein weiteres Problem sei auch, dass nur katarische Staatsangehörige das Recht hätten, Arbeitnehmervereinigungen oder Gewerkschaften zu gründen, wodurch Gastarbeitern das Recht auf Vereinigungsfreiheit und die Gründung von Gewerkschaften vorenthalten werde. Also seien Gastarbeiter in Katar ihren Arbeitgebern quasi schutzlos ausgeliefert.
"Die Streiks und Proteste der Gastarbeitnehmer in Katar sind ein Akt der Verzweiflung für die Arbeitnehmer, die Maßnahmen gegen Lohndiebstahl fordern", sagt Michael Page, stellvertretender Direktor für den Nahen Osten bei Human Rights Watch. "Wenige Wochen vor der Fußballweltmeisterschaft und vor allem angesichts der Tatsache, dass die Bauarbeiten in Katar zurückgehen oder vorübergehend eingestellt werden, sollten die Fifa und die katarischen Behörden sicherstellen, dass die Löhne und Sozialleistungen der Arbeiter pünktlich und vollständig gezahlt werden, anstatt sie dafür zu bestrafen, dass sie das einfordern, was ihnen rechtmäßig zusteht", kritisiert er.
- Human Rights Watch: Forderungen der Streiks von Gastarbeitern ansprechen (Englisch)