Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Kommt die Nationalelf zu gut weg? Die wahren Gründe für das Aus
Der Traum vom Titel bei der Heim-EM ist geplatzt. Gefeiert wird die Nationalelf trotzdem, Kritik gibt es kaum. Zu Recht?
Das bittere Aus im Viertelfinale gegen Spanien war schmerzhaft für Millionen deutsche Fußballfans. Doch kein Titel bei der Heim-EM. Auch Bundestrainer Julian Nagelsmann war enttäuscht, kämpfte auf seiner Abschluss-Pressekonferenz am Samstag mit den Tränen. Doch der 36-Jährige, sein Mitarbeiterstab und die Mannschaft erhielten viel Lob und Zuspruch von den Fans.
Auch medial gab es viel Anerkennung für die Leistungen des Teams und der Arbeit drumherum. Der "Kicker" erkannte ein "neues Wir", die "Bild" titelte sogar: "Für uns seid ihr die Sieger." t-online sprach vom "toten Patienten", der wieder atmet.
Gänzlich unkritisch betrachtet wurde die Nationalelf aber nicht. Nagelsmanns Startaufstellung im Spanien-Spiel mit Leroy Sané und Emre Can statt Florian Wirtz und Robert Andrich entpuppte sich als Fehler (mehr dazu lesen Sie hier). Fabian Hürzeler, deutscher Trainer des Premier-League-Teams Brighton & Hove Albion, ging sogar noch einen Schritt weiter. In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte der Aufstiegstrainer des FC St. Pauli: "Sportlich war es kein überragendes Turnier. Wir haben gegen keine Topnation gewonnen, sondern gegen die erste Topnation verloren. Schon gegen die Schweiz hatten wir unsere Probleme." Im Netz erhielt Hürzeler dafür viel Gegenwind. Dennoch stellt sich die Frage:
Kommt die Nationalelf in der Betrachtung zu gut weg?
Ja, das Echo sagt viel aus über Deutschland
Wer heute eine Zeitung aufschlägt oder ein Online-Nachrichtenportal aufruft, stellt fest: Medien, Experten, Fans sind voll des Lobes für die Nationalelf. Es geht um emotionale Posts von Toni Kroos oder seiner Frau, Danksagungen für sein Comeback und das neue Wir-Gefühl in Deutschland.
Zugegeben: Da ist auch etwas dran. Auch ich persönlich habe mir ein pinkfarbenes DFB-Trikot gekauft, ein Glücksarmband getragen und gegen Spanien mitgefiebert wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Aber zur Wahrheit gehören auch Fakten, die derzeit unter den Teppich gekehrt werden. Deutschland hat bei der EM keinen großen Gegner besiegt und ist das erste Mal bei einem Heim-Turnier (1974, 1988, 2006, 2024) vor dem Halbfinale raus. Weniger aufgrund eines nicht geahndeten Handspiels gegen Spanien als vielmehr aufgrund einer falschen Aufstellung und vergebener Chancen. Die Nationalelf hat seit acht Jahren das erste K.-o.-Spiel bei einer EM oder WM gewonnen, aber eben nur ein einziges. Gegen Dänemark.
Das soll weder die Leistung des Trainers noch der Mannschaft schmälern, auch nicht die Freude über die neu gewonnene Identifikation. Aber die Lobeshymnen sagen viel über den Leistungsanspruch aus, über den Sport hinaus. Wirtschaft, Digitalisierung, Bildung, Mobilität, Umweltschutz – überall versinkt Deutschland im Mittelmaß. Bestenfalls. Die Gesellschaft scheint sich aber damit zufriedenzugeben, statt irgendwo mal wieder die Nummer eins werden zu wollen.
Nein, die Nationalelf hat diese Anerkennung verdient
Manchmal ist es nötig, das Gedächtnis aufzufrischen, um die Realität zu erkennen. 2018 ist Deutschland mit einer arroganten Leistung in der WM-Gruppenphase ausgeschieden, drei Jahre später mit Ach und Krach ins EM-Achtelfinale eingezogen. Und bei der WM in Katar war auch wieder nach drei Spielen Schluss.
Identifikation mit der Mannschaft? Fehlanzeige. Euphorie im Land, wenn Deutschland spielt? Kaum vorhanden.
Bei der Heim-EM hat Deutschland nicht nur begeisternd und mitreißend gespielt, die Nationalelf und die Fans sind wieder eine Einheit geworden. Und Deutschland war im Viertelfinale nach 120 Minuten das bessere Team, hatte mehr und bessere Chancen als Spanien. Und zur Wahrheit gehört eben auch, dass eine klare Torchance mit der Hand abgewehrt wurde. Wäre Cucurellas Arm nicht da gewesen, wo er war, würden wir heute wahrscheinlich über den kommenden Halbfinalgegner Frankreich reden und keine EM-Bilanzen ziehen.
Aber so ist es typisch deutsch, im Nachhinein jetzt doch wieder das Negative zu suchen und die wirklich gute Leistung schlechtzureden. Denn am Ende war es das Duell der beiden besten Teams des Turniers, das Spanien mit etwas mehr Glück für sich entschieden hat.
Und wer sich über Mittelmaß und fehlenden Anspruch beschwert, sollte Julian Nagelsmann genau zuhören. Denn der hat für die WM 2026 den Weltmeistertitel als Ziel ausgerufen. Und mit der neuen Einheit aus Mannschaft und Fans und der offenen Rechnung aus der Heim-EM ist das auch absolut realistisch.
Bis zum nächsten deutschen Länderspiel sind es übrigens nur knapp zwei Monate. Am 7. September trifft das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann in Düsseldorf in der Nations League auf Ungarn, drei Tage später in Amsterdam auf die Niederlande.
Im Oktober und November finden dann die übrigen Nations-League-Spiele statt, ehe im Dezember die WM-Qualifikation für 2026 ausgelost wird.
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