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DFB-Fazit der Heim-EM: Der tote Patient atmet wieder


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Deutschlands große Chance
Der tote Patient atmet wieder


07.07.2024Lesedauer: 4 Min.
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Joshua Kimmich: Er will mit der Nationalmannschaft endlich wieder einen Titel gewinnen. (Quelle: IMAGO/Markus Ulmer/imago)

Was bleibt von der Heim-EM, die für das DFB-Team bereits im Viertelfinale geendet ist? Ein kleinerer Umbruch ist unausweichlich. Und es bietet sich schon bald eine große Chance.

Aus Herzogenaurach berichtet Noah Platschko

Da standen sie, ungebraucht in einer Reihe. Fein säuberlich am Rand geparkt und ihres ursprünglichen Nutzens beraubt. Die zehn Media Shuttles des offiziellen DFB-Logistikpartners, die in den vergangenen fünf Wochen die Journalisten vom Medienzentrum zum Trainingsplatz der Nationalmannschaft kutschierten, warteten sehnsüchtig auf Passagiere. Doch es kam niemand mehr.

Die Pressekonferenz am Samstag um 13 Uhr mit Präsident Bernd Neuendorf, Sportdirektor Rudi Völler und Trainer Julian Nagelsmann, sie bildete den offiziellen Abschluss der EM vonseiten des DFB-Teams. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Mannschaft das Camp bereits verlassen, fast alle mit Tränen in den Augen, wie der Trainer, selbst weinend, mitteilte.

Sommerurlaub statt Frankreich-Analyse

Dem stetigen Treiben am Medienzentrum in Herzogenaurach, nahe dem DFB-Quartier "Home Ground" von Noch-Partner Adidas, ist eine beklemmende Leere gewichen. Das Quaken der Frösche ist laut zu hören, ein paar Familien passieren mit ihren Kindern das öffentlich zugängliche Gelände, bitten ZDF-Moderator Sven Voss um ein Foto.

Sonst ist niemand mehr da an dem Ort, wo um 13 Uhr eigentlich ein Nationalspieler zur Pressekonferenz hätte Platz nehmen sollen, den kommenden Gegner Frankreich analysierend. Stattdessen: ungewollt früher Sommerurlaub.

Video | Zum Abschluss gab es eine Kampfansage
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Quelle: t-online

So richtig verdaut hat die bittere Viertelfinal-Pleite gegen Spanien und ihr unglückliches Zustandekommen wohl auch zwei Tage später noch niemand. Der Bundestrainer hatte am Samstag glaubwürdig zum Ausdruck gebracht, wie gerne man den Fans doch etwas zurückgegeben hätte nach Jahren der Erfolgslosigkeit, in denen sich nicht wenige vom Nationalteam entfernt hatten.

Noch im November war das DFB-Team nach zwei Pleiten gegen die Türkei und Österreich in eine viermonatige Zwangspause gegangen, die Stimmung gefühlt auf einem ähnlichen Level wie beim desaströsen 1:4 Anfang September vergangenen Jahres gegen Japan, das Ex-Bundestrainer Hansi Flick den Job gekostet hatte. Der Zustand des Nationalteams glich dem eines fast toten Patienten, der nur noch künstlich am Leben gehalten wurde.

 
 
 
 
 
 
 

Misserfolge haben die Ansprüche gesenkt

Der Turnaround, das muss man nach den fünf EM-Wochen konstatieren, er ist der Nationalmannschaft gelungen. Doch was bleibt von diesem Turnier im eigenen Land, das mit dem Viertelfinale als Resultat nicht als sonderlich schlecht, aber ebenfalls nicht als herausragend gut abgespeichert werden kann?

Möglicherweise haben die teilweise katastrophalen Auftritte im vergangenen Jahr dazu beigetragen, dass die Erwartungshaltung ohnehin keine allzu hohe war. In der Dekade zwischen 2006 und 2016 waren die Fans immer mit mindestens dem Erreichen des Halbfinales gesegnet. Eine herausragende Bilanz, die durch die historisch schlechten Ergebnisse bei den Weltmeisterschaften 2018 und 2022 (Vorrundenaus) etwas eingerissen wurde.

Mit dem Erreichen des Viertelfinales befindet sich die deutsche Mannschaft nun in einem undefinierbaren Zwischenraum, der die sportliche Analyse nicht leichter werden lässt. Auf der einen Seite stehen die positiven Aspekte: Deutschland lieferte nicht ein schlechtes Spiel ab, kämpfte sich verdient in die Runde der letzten Acht. Das Publikum stand auch dank ein paar geschickter Marketingkniffe im Frühjahr – und dank der Siege gegen Frankreich und die Niederlande im März – geschlossen hinter der deutschen Mannschaft.

Und: Sie hat einen mutigen Bundestrainer, der Fehler eingesteht, der probiert, der Lösungen sucht und der Zuversicht für die Zukunft ausstrahlt. Hinzu kommen die Umstände des Ausscheidens sowie die schwierigere Seite des Turnierbaums mit dem absoluten Top-Favoriten als Gegner. Es gehört eben auch ein wenig Glück dazu.

Nagelsmanns Andeutungen

Auf der anderen Seite besteht das deutsche Team aus diversen älteren Spielern, ein kleinerer Umbruch ist unausweichlich. Und der Bundestrainer, im Nachhinein zu Recht für die Rückholaktion Toni Kroos' gefeiert, lag bei der ein oder anderen Entscheidung daneben. Wieso er sich gegen Spanien dazu entschloss, den nachnominierten Emre Can anstelle von Turnierdauerbrenner Robert Andrich in die Startelf zu versetzen, dürfte er sich mittlerweile wohl selbst fragen. Auch die Einsätze Leroy Sanés, seit Monaten geplagt von einer Schambeinverletzung, dürften niemandem im Gedächtnis bleiben.

Manuel Neuer und Thomas Müller werden wohl schon bald nicht mehr Teil des DFB-Ensembles sein, auch wenn Müller einen endgültigen Rücktritt bereits ausschloss und sich auch Neuer vorerst nicht in seine Zukunftsplanung schauen lassen wollte. In diesem Fall wird Nagelsmann klar und konsequent sein müssen, wie er es bei der Nichtnominierung von Leon Goretzka und Mats Hummels vor dem Turnier bereits gewesen war. Und er wird erstmals langfristiger denken müssen, liegt das große Ziel, Weltmeister zu werden, doch noch zwei lange Jahre in der Zukunft.

Der Bundestrainer deutete bereits an, den Kern des Teams erhalten zu wollen und nur partielle Änderungen vorzunehmen. Allen voran Toni Kroos zu ersetzen, dürfte dem 36-Jährigen die meisten Bauchschmerzen bereiten, auch wenn mit Pascal Groß, Bayerns Aleksandar Pavlović oder dem Stuttgarter Angelo Stiller diverse Alternativen bereitstehen.

Symbiose zwischen Team und Fans erhalten

In auf den Tag genau zwei Monaten steht schon das nächste Länderspiel an. In Düsseldorf empfängt das DFB-Team dann in der Nations League wieder einmal Ungarn. Die Niederlande und Bosnien-Herzegowina sind die weiteren Gegner in der Gruppe 3 der Liga A. Vielleicht können Erfolge in dem bislang bei vielen deutschen Fans so unbeliebten Wettbewerb helfen, die lange Wartezeit auf die nächste Weltmeisterschaft zu verkürzen.

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Bislang war es Deutschland weder unter Flick noch unter dessen Vorgänger Joachim Löw gelungen, in das Final Four der Nations League vorzudringen. Für den ehrgeizigen Nagelsmann sicherlich ein Ansporn – und nebenbei die große Chance auf den ersten Titel seit dem Confederations Cup 2017.

Und da wären noch die deutschen Anhänger. Gelingt es Trainer und Mannschaft, die "Symbiose zwischen Team und Fans" (O-Ton Nagelsmann) zu konservieren und nebenbei noch die sportlichen Ziele zu erreichen, dürfte zumindest ein kleines Euphorie-Hoch rund um die Nationalmannschaft am Leben erhalten bleiben. Die EM hat zumindest gezeigt: Der tote Patient, er atmet wieder. Von selbst.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen vor Ort
  • Pressekonferenzen mit Julian Nagelsmann
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