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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streit nach dem EM-Finale "Ich war der Friedensengel"
Vor gut 16 Jahren spielte Deutschland zuletzt bei einer EM gegen Spanien. Kevin Kuranyi war damals mittendrin – und musste als Schlichter auftreten.
Wenn am Freitag Deutschland auf Spanien trifft, sprechen nicht wenige vom vorgezogenen Finale der Europameisterschaft. Während die Deutschen eine souveräne Vorrunde spielten und sich auch gegen Dänemark am Ende verdient durchsetzten, überzeugte Spanien bislang in jeder Partie.
Und nicht nur das: Die Spanier sind auch die einzige Mannschaft, die bislang jedes Spiel bei dieser Europameisterschaft gewinnen konnten. Diese Serie soll auch gegen den Gastgeber fortgesetzt werden, zumal die Bilanz gegen das DFB-Team bei Turnieren erschreckend stark ist.
Die letzte Pflichtspielniederlage bei einem großen Turnier gegen Deutschland datiert vom 17. Juni 1988, als Rudi Völler beim 2:0-Vorrundensieg im Münchner Olympiastadion einen Doppelpack schnürte.
Das letzte Aufeinandertreffen bei einer EM ist ebenfalls schon eine Weile her. Bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz trafen die beiden Mannschaften im Finale aufeinander. Nach 90 Minuten musste sich das Team von Joachim Löw mit 0:1 geschlagen geben.
"Das war schon damals mit das Beste des Weltfußballs"
Einer, der damals mittendrin war, ist Ex-Nationalspieler Kevin Kuranyi. Der ehemalige VfB-, Schalke- und Hoffenheim-Stürmer erinnert sich noch gut an das Endspiel, in dem er in der 58. Minute für Thomas Hitzlsperger eingewechselt wurde.
"Wir haben wirklich eine gute EM gespielt damals, aber die Spanier waren zu diesem Zeitpunkt die beste Mannschaft der Welt – und standen erst am Anfang ihrer Entwicklung", berichtet Kuranyi im Gespräch mit t-online. "Sie waren unfassbar ballsicher, unfassbar technisch versiert. Schon damals war zu sehen: Dieses Team wird eine Ära prägen. Puyol, Ramos, Inesta, Torres, Alonso, Xavi – das war schon mit das Beste des Weltfußballs", so der heute 42-Jährige weiter.
Deutschland selbst habe damals ebenfalls eine gute Mannschaft gehabt, doch: "Aufgrund der Ballsicherheit der Spanier sind wir kaum in Situationen gekommen, gefährlich aufs Tor zu schießen oder uns überhaupt groß Chancen zu erspielen."
Deutschland hatte damals in der Tat kaum gefährliche Aktionen – und verlor die Partie verdient. Für Aufsehen sorgte nach Schlusspfiff ein Disput zwischen Michael Ballack und Oliver Bierhoff, die sich uneinig darüber waren, in welcher Form man sich nun bei den mitgereisten deutschen Fans bedanken solle. Augenzeuge aus nächster Nähe damals: Kevin Kuranyi.
"Ich war mittendrin und habe versucht, die beiden Streithähne zu trennen. Ich war der Friedensengel damals (lacht)", erinnert sich Kuranyi. "Aber Emotionalität nach einer Niederlage, insbesondere nach solch einer schmerzhaften Finalpleite, ist einfach etwas ganz Normales. Jeder, der einmal ein Finale verloren hat, kann das nachvollziehen."
Eine solch schmerzhafte Niederlage will das Team von Julian Nagelsmann am Freitagabend (18 Uhr, im Liveticker bei t-online) zweifelsohne vermeiden. "Es braucht eine gute Balance zwischen offensivem Mut und defensiver Stabilität. Es wird wichtig sein, dass sich das Team traut, selbst Fußball zu spielen. Jeder wird am Ende über sich hinauswachsen müssen", prognostiziert Kuranyi ein enges Duell beider Mannschaften.
Trainer Nagelsmann, unter dem Kuranyi selbst noch in der Saison 2015/2016 für die TSG Hoffenheim ein paar Spiele machte, traut er eine Überraschung zu. "Ich glaube, dass er den einen oder anderen taktischen Trumpf ausspielen könnte, mit dem wir vielleicht jetzt noch nicht rechnen."
"Es ist ein Aufbruch zu neueren, besseren Zeiten"
Unabhängig vom Ausgang der Partie gegen Spanien habe die deutsche Mannschaft bei der Heim-EM überzeugt. "Ein Ausscheiden wäre sehr schade, aber kein Beinbruch. Wenn Deutschland rausfliegt, dann war es trotzdem ein gutes Turnier, bei dem man gegen das stärkste Team des Wettbewerbs den Kürzeren gezogen hätte", so Kuranyi. "Man hat jetzt schon viele positive Entwicklungen gesehen. Eine Mannschaft, die wächst, die eine Zukunft hat und unbelastet in die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft 2026 starten kann. Ich habe eine deutliche Steigerung zu den vergangenen Turnieren gesehen. Es ist ein Aufbruch zu neuen, zu besseren Zeiten beim DFB."
Er selbst wird am Freitag dann auch in der Stuttgarter Arena sein und dem deutschen Team als Fan die Daumen drücken. Als Schlichter wird er voraussichtlich nicht benötigt.
- Austausch mit Kevin Kuranyi
- Eigene Recherche