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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Deutschland im WM-Finale Eine unbequeme Wahrheit
Deutschlands U17 holt nicht nur den EM-Titel, sie steht auch im Endspiel der Weltmeisterschaft. Doch daraus auf eine Trendwende in der DFB-Krise zu schließen, wäre vorschnell.
Sie haben es schon wieder getan: Wie im Endspiel der Europameisterschaft im Sommer gewannen die deutschen U17-Nationalspieler auch am Dienstag ein wichtiges Spiel im Elfmeterschießen. Im WM-Halbfinale besiegten sie Argentinien, so wie sie im Sommer Frankreich geschlagen hatten. In beiden Spielen bewies die deutsche Mannschaft Nervenstärke, begeisterte zuvor mit Disziplin und starkem Zusammenhalt.
Erfolgreiche Spieler im Deutschland-Trikot sind eine Rarität geworden. Die A-Nationalelf scheiterte in der WM-Gruppenphase, im Sommer schieden dann die U21 der Männer und die A-Elf der Frauen frühzeitig aus. Die deutsche Fußballkrise war perfekt, die Kritik groß.
Nun, nach dem Erfolg der U17-Nationalelf bei der EM und dem Finaleinzug am Dienstag, verkünden viele Fans und Beobachter reflexhaft die Krise für beendet. Deutschland sei zurück auf dem Weg zur Weltspitze. Dieses Urteil ist falsch und viel zu vorschnell.
Der Erfolg ist ein guter Anfang, doch eine Trendwende ist das noch nicht. Solche Erwartungen sind eine zu hohe Last für die 17-Jährigen, die momentan in Indonesien ganz Fußball-Deutschland begeistern.
Auch ein mangelhaftes System kann Topspieler nicht "verhindern"
Dass das deutsche System in der Nachwuchsausbildung dringend verbessert werden muss, ist unbestritten. Auf mehreren Positionen mangelt es an Spielern auf Topniveau. Ex-U21-Bundestrainer Stefan Kuntz nannte die Lage noch im Sommer "besorgniserregend", auch der frühere DFB-Direktor Oliver Bierhoff schlug regelmäßig Alarm. Mit dem "Projekt Zukunft" und den kürzlich viel diskutierten Änderungen im Kinder- und Jugendbereich ist ein Anfang getan. Doch die Früchte davon können erst in ein paar Jahren geerntet werden. Der Erfolg der U17 fußt daher nur bedingt darauf.
Die Gründe für den Erfolg der DFB-Junioren liegen in erster Linie woanders. Auch in einem kränkelnden System wird es immer wieder Ausreißer nach oben geben. Ausnahmetalente wie Florian Wirtz oder Youssoufa Moukoko haben es auch in den vergangenen Jahren nach oben geschafft. Bei einem so großen Talentpool aus Hunderttausenden Kindern kann selbst eine mangelhafte Nachwuchsarbeit nicht jeden guten Spieler "verhindern". So sind auch in der aktuellen U17-Mannschaft herausragende Akteure wie Noah Darvich (FC Barcelona) oder Paris Brunner (Borussia Dortmund) dabei, die ein großes Potenzial haben.
Zudem gibt es auch immer wieder einfach gute Jahrgänge, das ist auch im Vereinsfußball normal. Arminia Bielefelds U17 holte beispielsweise völlig überraschend die deutsche Meisterschaft in der vergangenen Saison, rangiert aktuell aber auf Rang zwölf in der B-Junioren-Bundesliga West. Der 2006er-Jahrgang des DFB, der momentan bei der U17-WM spielt, ist ein solcher. Zum Vergleich: Die U18 tut sich dagegen weitaus schwerer, verlor vier der vergangenen sechs Länderspiele.
Wenn selbst die Außenspieler größer sind
Ein ebenfalls nicht zu unterschätzender Grund für den aktuellen U17-Erfolg ist die Physis der deutschen Spieler. Denn die ist im Vergleich zur Konkurrenz weit überdurchschnittlich. Das war unter anderem gegen Mexiko in der Gruppenphase und auch gegen Spanien im Viertelfinale gut zu sehen.
Die Spieler der deutschen Mannschaft sind im Schnitt größer und kräftiger als die der Konkurrenz, was im Juniorenbereich nicht zu unterschätzen ist. Während die spanische Innenverteidigung nur 1,82 Meter und 1,83 Meter groß war, trat Deutschland mit Spielern wie David Odogu (1,91 Meter), Max Moerstedt (1,94 Meter), Finn Jeltsch (1,85 Meter) oder Winners Osawe (1,89 Meter) an, die allesamt größer waren. Selbst die Außenspieler Paris Brunner oder Eric da Silva Moreira waren größer und kräftiger als die spanischen Innenverteidiger.
Im Nachwuchsfußball machen diese körperlichen Vorteile einen gewaltigen Unterschied, entscheiden über Zweikämpfe in der Luft und am Boden. Die deutsche Stärke bei Standardsituationen hängt zum Beispiel auch damit zusammen. Langfristig gesehen sind diese physischen Vorteile jedoch weitaus weniger wert, da im Profifußball andere Faktoren wie technische und taktische Ausbildung wichtiger werden. Viele der körperlich überlegenen Kinder und Jugendlichen bekommen später im Männerfußball Probleme, wenn es an den spielerischen Eigenschaften hakt. Ob die DFB-Talente dort mithalten werden, kann daher noch nicht gesagt werden.
All das soll den deutschen Erfolg nicht schmälern, sondern einordnen. Die 21 Spieler, die aktuell bei der WM in Indonesien die deutschen Fans begeistern, haben sich den Applaus redlich verdient und sind ein Hoffnungsschimmer für den DFB. Doch sie sind nicht die einzige Antwort auf die deutsche Nachwuchskrise.
- Eigene Beobachtungen und Recherche