Top-Talent bei U21-EM DFB-Hoffnung mit "Lego-Frisur": Das ist Florian Wirtz
Mit der deutschen U21 im EM-Finale hatten nur wenige Experten gerechnet. Dass es so kam, ist auch Florian Wirtz zu verdanken. Der 18-Jährige gilt als "Riesentalent" und hat ein überraschendes Vorbild, erntet aber auch "Kritik".
Bei den Länderspielen im März berücksichtigte Joachim Löw neben Jamal Musiala auch Florian Wirtz für seinen Kader. Zwei Talente, die gleichzeitig auch Hoffnungsträger der DFB-Zukunft sind. Während Musiala sein Debüt feiern durfte, musste Wirtz in allen drei Partien zuschauen. Und auch bei der Nominierung des EM-Kaders bevorzugte der A-Bundestrainer "Bambi", wie Musiala von seinen Teamkollegen beim FC Bayern genannt wird.
Wirtz war also "frei" für die U21. Und Trainer Stefan Kuntz zögerte keine Sekunde, den Leverkusener zu nominieren. Und gegen Dänemark am Montag stand Wirtz direkt in der Startelf. Er arbeitete viel im offensiven Mittelfeld, wollte das Spiel direkt beeinflussen. Doch es war dem 18-Jährigen anzumerken, dass er mit der Mannschaft zuletzt nicht zusammengespielt hatte. Pässe kamen nicht an, Laufwege wurden verpasst und dann fehlte es auch an Glück in Einzelaktionen. So blieb es bei einem soliden Auftritt, der in der 87. Minute durch eine Auswechslung beendet wurde.
Auch wenn Wirtz-Ersatz Jonathan Burkardt eine starke Verlängerung spielte, hielt Trainer Stefan Kuntz an seinem Supertalent fest – und wurde belohnt. Schon nach acht Minuten führte Deutschland im Halbfinale der U21-EM gegen die Niederlande mit 2:0. Beide Treffer erzielte Wirtz, der so zum Spieler des Spiels wurde. Die Laufwege stimmten, Automatismen waren zum Teil auch zu sehen. Wirtz war der Unterschiedsspieler, den sich Kuntz gewünscht hatte und der noch im Gruppenspiel gegen eben jene Niederländer fehlte. Da ging das Duell noch Unentschieden aus.
Ärger in Köln, Perspektive in Leverkusen
Profi ist Wirtz "schon" seit einem Jahr. Im Mai 2020 feierte er unter dem damaligen Trainer Peter Bosz sein Debüt für Bayer Leverkusen. Das Supertalent ist dabei das Ergebnis einer Umstrukturierung bei Bayer. Denn vor ein paar Jahren schaffte der Werksklub die eigene U23 ab. Geschäftsführer Rudi Völler begründete das mit der nicht ausreichenden Qualität vieler Spieler im Team. Man habe "vielleicht zwei hochtalentierte Spieler" in solch einer Mannschaft, die es auch direkt zu den Profis schaffen könnten. "Das war uns die Sache nicht mehr wert", fügte er im Interview mit der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten" an. Aus der eigenen Jugend sollte es also nur die absolute Spitze zur ersten Mannschaft schaffen. Ein Beispiel dafür ist Florian Wirtz.
Wobei Wirtz kein Exemplar einer herausragenden Jugendarbeit von Leverkusen, sondern der von Köln ist. Doch nur wenige Monate nach seinem Wechsel aus der U17 der Geißböcke im Januar 2020 war er dann bereits Bundesligaspieler und ist seitdem aus dem Kader von Bayer kaum wegzudenken. Der Ärger in Köln war groß. Trainer und Fans waren enttäuscht von Wirtz, der dafür Verständnis zeigte. Der Grund für die Entscheidung war die Perspektive. Leverkusen sah in ihm einen Profispieler, in Köln war man von dem Gedanken noch etwas weiter entfernt. "Ich musste auf meine Zukunft und meine Perspektive schauen, und wenn ich zurückblicke, war es die richtige Entscheidung. Beim FC hatte ich zu diesem Zeitpunkt gar nicht an die Profis gedacht, das war sehr weit weg", sagte Wirtz der "Bild".
Das "Riesentalent", das nicht verlieren kann
Früh fiel Wirtz in Leverkusen auf. Bosz schwärmte immer wieder von seinem Schützling, der die Rolle des zu Chelsea gewechselten Kai Havertz über weite Strecken übernahm. Er bezeichnete ihn als "Riesentalent" und attestierte ihm bereits im Januar 2021 das Zeug für den deutschen EM-Kader. "Das hängt vom Bundestrainer ab, ob er den Mut hat und die Qualität in Florian sieht, die ich auch sehe. Ich arbeite jetzt sechs oder sieben Monate mit ihm und da hat er mich schon überzeugt", sagte Bosz in einer virtuellen Presserunde.
Noch reichte es für den EM-Kader nicht, für Wirtz war das aber nur Ansporn. Denn wenn sich Wirtz mit einem Wort beschreiben müsste, wäre es wohl "ehrgeizig". Auf Vergleiche mit besagtem Kai Havertz reagiert er nicht abweisend, sondern offen. Im Interview mit der "Sport Bild" betonte er: "Es ist ein Ansporn für mich, noch besser zu werden als Kai. Ich will immer der Beste sein und hasse es, zu verlieren."
Von diesem Hass auf Niederlagen erzählte auch ein Jugendtrainer Wirtz' vom 1. FC Köln in einer Videobotschaft für ein DFB-Interview. "Deinen ehemaligen Trainer Benedikt Hammans und mir ist irgendwann in der U11/U12 aufgefallen, dass du kein einziges Trainingsspiel verlierst. Wir haben dann fast alle Mannschaftskombinationen ausprobiert, aber egal, was wir gemacht haben, am Ende hast du jedes Trainingsspiel gewonnen."
Diesen Ehrgeiz erkennt man auch heute noch auf dem Platz wieder. Wirtz ist (noch) kein Lautsprecher, doch an Einsatz und Einstellung mangelt es nicht.
Vorbild Messi? Fehlanzeige
Acht Tore und acht Vorlagen in seiner ersten vollständigen Profisaison können sich bei 38 Pflichtspieleinsätzen sehen lassen. Er drückt dem Spiel seinen Stempel auf – und orientiert sich dabei an einem überraschenden Vorbild.
Während andere Spieler in seinem Alter wohl eher Lionel Messi oder Neymar nacheifern, hat Wirtz die Augen auf jemanden gerichtet, der nur wenige Jahre älter ist als er: João Félix. "Ich kann mir vieles von ihm abgucken", betonte Wirtz im DFB-Interview. Der Portugiese von Atlético Madrid spielt auf einer ähnlichen Position wie das Bayer-Talent, als eine Art hängende Spitze im offensiven Zentrum. Beide sind trickreich, torgefährlich und können mit ihrem Verhalten auf engem Raum diverse Abwehrketten auseinanderziehen und Lücken kreieren.
Das war auch am Donnerstag gegen die Niederlande zu sehen. Auch in den Kommentaren in den sozialen Netzwerken wurde Wirtz für seinen Auftritt gegen die "Jong Oranje" gefeiert.
Nur für eine Sache gibt es immer wieder Kritik: Wirtz' Frisur. So finden sich Vergleiche mit Jim Carreys Rolle in dem Film "Dumm und Dümmer" im Internet. Auch als "Lego-Frisur" werden die Haare des DFB-Talents scherzhaft betitelt.
Wirtz kann das egal sein. Für ihn zählt nur der Finalsieg gegen Portugal am Sonntag (ab 21 Uhr im Liveticker bei t-online), um seinen inneren Ehrgeiz zufriedenzustellen.
- Bild: "'FC und Bayer wollten mich schon mit 7 Jahren'" (kostenpflichtig)
- Stuttgarter Zeitung: "Rudi Völler über den Sinn von zweiten Mannschaften"
- Sportbuzzer: "Leverkusen-Trainer Bosz empfiehlt Wirtz-Nominierung für die EM 2021: 'Die Qualität hat er'"
- YouTube: "Deutschlands Top-Talente! Jamal Musiala & Florian Wirtz im Doppel-Interview"
- transfermarkt.de: "Spielerprofil Florian Wirtz"
- Eigene Beobachtungen