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Zurück an die Spitze: Der DFB verordnet sich eine Revolution


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Zurück an die Weltspitze
Im deutschen Fußball ist es später als fünf vor zwölf


Aktualisiert am 25.01.2021Lesedauer: 7 Min.
Joachim Löw (links) und Oliver Bierhoff: Die zwei Schlüsselfiguren des DFB blicken mit Sorge auf die Zukunft der Nationalelf.Vergrößern des Bildes
Joachim Löw (links) und Oliver Bierhoff: Die zwei Schlüsselfiguren des DFB blicken mit Sorge auf die Zukunft der Nationalelf. (Quelle: Jan Huebner/imago-images-bilder)

Zwischen dem WM-Triumph von Rio und dem Debakel in Russland lagen gerade einmal vier Jahre. Weil die Nationalelf auch derzeit wenig Grund zur Hoffnung bietet, plant der Verband nun große Veränderungen.

An den WM-Titel 2014 kann sich jeder deutsche Fußball-Fan erinnern. Der K.o. von Christoph Kramer, das blutende Gesicht von Bastian Schweinsteiger, das Traumtor von Mario Götze. Momente, die in die Geschichte eingingen und auch heute noch für Gänsehaut sorgen.

Möglich gemacht wurde dieser Höhepunkt des deutschen Fußballs von einem der größten Tiefpunkte in der DFB-Geschichte. Es war die EM 2000, die dafür sorgte, dass der Verband seine komplette Jugendausbildung überarbeitete. Das blamable Aus in der Gruppenphase zwang die DFB-Chefetage zum Handeln.

Die Folge: Nachwuchsleistungszentren, kurz NLZ, wurden zur Pflicht. In der Bundesliga noch in der Saison 2001/02, im Folgejahr auch für die Zweitligisten. Eine Vielzahl der Spieler, die 2014 den WM-Titel gewann, durchlief ein NLZ. Manuel Neuer, Jerome Boateng oder Mario Götze. Sie alle profitierten von der optimierten Ausbildung.

"Es besteht dringender Handlungsbedarf"

Doch am Höhepunkt 2014 machte der DFB einen Fehler: Er änderte (fast) nichts. Man verließ sich darauf, dass es so gut weitergeht. Doch das ging es nicht. Denn im Vordergrund der Ausbildung stand zu oft das Team, nicht der Spieler. Ein Beispiel: Gute Außenverteidiger wurden von ihren Jugendtrainern ins Zentrum gezogen, wo sie auf den Schlüsselpositionen dem Team mehr helfen konnten. Sie wurden dort weiterentwickelt und nicht auf ihren ursprünglichen Positionen. Die Folge: Bundestrainer Joachim Löw hatte nicht zuletzt bei der WM 2018 Probleme, hochklassige Außenverteidiger zu finden.

Das soll es künftig nicht mehr geben, sagt Tobias Haupt. Der 36-Jährige ist eine der wichtigsten Personen in der Ausbildung der Nationalspieler von morgen. Seit Oktober 2018 leitet er die DFB-Akademie, die sich noch im Bau befindet. Während das Gebäude wohl erst 2022 fertig wird, arbeitet Haupt bereits intensiv daran, den deutschen Nachwuchs umzustrukturieren.

"Es besteht dringender Handlungsbedarf, damit wir eine Wende einleiten. Reformen und Mut sind notwendig, um die Zukunft des deutschen Fußballs zu sichern", sagte Haupt t-online. Ein erster Schritt war das "Projekt Zukunft", das der DFB mit der DFL einleitete.

Ziel ist es, Deutschland wieder an die Fußball-Weltspitze zu bringen. Doch die Arbeit ist damit nicht getan. Mit einem großen Plan soll der Jugendfußball revolutioniert werden. "Zentraler Aspekt unseres Konzepts ist es, den Spieler wieder ins Zentrum zu stellen. Bisher standen zumeist zu viele andere Interessen im Fokus – die Spieler und Talente, um die es ja eigentlich gehen sollte, werden oftmals leider nur am Rande mitberücksichtigt. Wir müssen schnell handeln, weil uns nicht nur die ein oder andere große Nation überholt hat, sondern uns im Nachwuchsbereich inzwischen auch kleinere Länder den Rang abgelaufen haben", so Haupt.

Die Folgen sind auch in der Bundesliga zu spüren. Die Teams setzen stärker auf Spieler aus England oder Frankreich. Spielten 2014/15 noch sechs Franzosen und kein Engländer in der Bundesliga, sind es aktuell 30 Franzosen und sechs Engländer. Die Spielanteile für deutsche Spieler sind gesunken. Oliver Bierhoff sprach bereits Anfang 2020 von "klar warnenden Tendenzen."

Die Reformen, die der DFB geplant hat, sind groß. Und sie sind bitter nötig. U21-Bundestrainer Stefan Kuntz sagte vor Kurzem im Podcast "Kicker meets DAZN": "Wir sind so was von abgeschlagen."

Und Haupt gibt ihm recht: "Stefan Kuntz hat definitiv den richtigen Ton getroffen." Zu den Plänen sagt der Akademiechef: "Nach unserer Überzeugung ist das isolierte Diskutieren von Einzelmaßnahmen nur bedingt geeignet, das Ziel 'Weltspitze' konsequent in Angriff zu nehmen. Der DFB ist ein großer Dampfer, in dem diese Themen vor viele Gremien gebracht und abgestimmt werden müssen. Ich hoffe, dass wir im Februar, spätestens März 2021 auch alle Maßnahmen im Detail vorstellen können. Wenn man an den Satz von Stefan Kuntz zurückdenkt, muss man konstatieren, dass es fünf vor zwölf ist, wenn nicht sogar noch später."

Ins Detail will und kann Haupt noch nicht gehen, doch es gibt besonders zwei Themen, die sich aufdrängen.

1. Die Ligenstruktur

Die Jugendligen in Deutschland funktionieren wie die Profiligen mit Auf- und Abstieg. Dementsprechend entscheiden die Erfolge auch über Entlassung oder Beförderung. Es geht also um permanente Steigerung und Verbesserung der Teamergebnisse. Diese sind auch der erste Indikator dafür, ob ein Trainer zu den Profis befördert wird. Ob sie wirklich die beste Ausbildung des individuellen Spielers bieten, ist dabei nicht gegeben. Denn gerade im Jugendfußball sollte nicht der Teamerfolg im Vordergrund stehen. Deshalb die geplanten Änderungen.

"Wir haben festgestellt, dass unter permanentem Ergebnisdruck die individuelle Entwicklung der Spieler leidet. Wir müssen die Wettbewerbssysteme umstellen, damit Spieler altersentsprechend gefördert und gefordert werden, sich individuell entwickeln können, aber auch den Spaß am Spiel nicht verlieren", sagt Haupt, fügt aber an: "Diese Umstellung soll jedoch selbstverständlich weiterhin einen gewissen Ergebnisdruck beinhalten, der notwendig und essenziell ist, um absolute Top-Spieler zu entwickeln. Gleichzeitig soll den Trainern aber auch genug Freiraum gegeben werden, neue Dinge auszuprobieren und beispielsweise jüngere Spieler einzusetzen. Das Ergebnis am Wochenende darf auch nicht mehr als das einzige Ziel für Trainer und Spieler definiert werden."

Das heißt: Es wird weiter ein Ligensystem geben, aber in abgewandelter und veränderter Form. Wie das dann konkret aussieht, lässt Haupt noch offen.

2. Die Spielerauswahl

Der Ergebnisdruck in den Ligen sorgt dafür, dass die Jugendtrainer die Spieler aufstellen, die zum jeweiligen Zeitpunkt am weitesten sind. Dabei setzen sich meist die physisch stärkeren Talente gegen die schwächeren durch, da körperliche Unterschiede bei den Junioren einen großen Einfluss auf die Leistung haben. Das Problem: Es wird nicht lang-, sondern eher kurzfristig gedacht. Dabei sollte es in der Talentausbildung immer um die langfristige Entwicklung der Einzelspieler gehen.

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Dabei spielt auch der "Relative Age Effect" eine Rolle. Diesem zufolge haben Sportler, die in früheren Monaten des Jahres geboren wurden, bessere Chancen, als die, die später geboren wurden. Da im deutschen Jugendfußball die Mannschaften nach Jahrgängen geordnet sind, hat der "Relative Age Effect" auch hier einen Einfluss. Mehr Infos zum "Relative Age Effect" finden Sie hier.

Beispiel: Ein Spieler, der im Januar 2005 geboren wurde, hat zehn Monate Vorsprung an körperlicher Entwicklung gegenüber einem Spieler, der im November 2005 geboren wurde. Bei der Entscheidung des Trainers, wen er am Wochenende einsetzt, hat der Januar-Spieler häufig größere Chancen.

Die Folge dessen ist, dass zu oft hochbegabte Fußballer aussortiert werden, die physische Spätentwickler sind. Sie können tolle Passgeber sein, eine gute Technik oder perfekte Ballkontrolle besitzen, doch wenn sie in den Zweikämpfen und im Tempo klare Rückstände haben, werden sie von einigen Jugendtrainern aussortiert.

In anderen Ländern, besonders in Spanien, funktioniert die Talentauswahl in diesem Punkt besser. Zwei aktuelle Beispiele sind Riqui Puig (60kg) und Pedri (56kg) vom FC Barcelona. Beide wiegen wenig, sind klein und schmächtig. Doch ihre spielerische Klasse gleicht das nicht nur aus, sie zählen zu den größten Talenten des Landes. Ob sie es auch in Deutschland geschafft hätten?

DFB-Akademiechef Haupt will dafür sorgen, dass diese Frage in Zukunft klar mit "Ja" beantwortet werden kann. "Wir arbeiten aktuell mit unterschiedlichen Experten und Institutionen an konkreten Lösungen, wie wir dieses Problem in den Griff bekommen können. Neben der Verbesserung des individuellen Scoutings stellt das sogenannte 'Bio-Banding' eine spannende Möglichkeit dar, die wir aktuell in einem Pilotprojekt beleuchten. Es geht darum, dass Spieler nicht mehr nach ihrem chronologischen, sondern ihrem biologischen Alter zusammenspielen. Es kann vorkommen, dass ein 13-Jähriger mit einem 16-Jährigen in einem Team auf dem Platz steht. Auch das ist ein Aspekt der individuellen Talententwicklung. Dort sind uns in den vergangenen Jahren einfach zu viele Spieler aus dem System gefallen, die eigentlich das Potenzial zu einer großen Karriere gehabt hätten."

Es gibt aber auch Positivbeispiele aus dem deutschen Fußball in dieser Angelegenheit. Rocco Reitz ist eines davon. Der 18-jährige Mittelfeldspieler von Borussia Mönchengladbach zählt seit dieser Saison zum Profikader, stand bereits in der Bundesliga auf dem Platz und gehörte mehrfach zum Kader in der Champions League. Dabei ist auch Reitz eher der schmächtigere Typ.

Doch seine Entwicklung macht Freude bei der Borussia. Trainer Marco Rose schwärmte bereits im Sommer von Reitz: "Ein sehr spannender Junge. Wir können sehr froh sein, dass wir so einen Spieler im Nachwuchs entwickelt haben."

t-online fragte bei Roland Virkus, dem Leiter des Nachwuchsleistungszentrums von Gladbach, nach. "Wir haben Rocco nie fallen lassen, weil es unserer Philosophie entspricht, mit guten Fußballern zu arbeiten, wenn sie fußballerisch so gut sind, dass sie körperliche Defizite kompensieren können. Rocco bringt fußballerisch alles mit, er ist äußerst spielintelligent. Wir sind sicher, dass er es schafft, ein Bundesligaspieler zu werden, wenn er körperlich stabil bleibt."

Dem Beispiel Reitz sollen in Zukunft viele weitere Namen folgen.

Wie geht es weiter beim DFB?

Damit diese Umstellungen auch klappen, muss sich auch bei den Trainern und den Scouts etwas tun. Der DFB will auch hier die Aus- und Weiterbildung optimieren, damit die Pläne Erfolg mit sich bringen.

Die Frage, die sich für Fans der A-Nationalmannschaft stellt: Wann will der DFB die Früchte von den Umstellungen ernten, die im März angekündigt werden?

"Einige Maßnahmen werden sicherlich kurzfristige Erfolge bringen, da werden wir bereits in den nächsten Jahren konkrete Ergebnisse sehen. Dabei denke ich an die Umstellung in der Trainer-Ausbildung, unser Performance Center oder die analytische Arbeit mit Hilfe von Datenbanken", so Tobias Haupt, der aber auch anfügt: "Auf der anderen Seite muss man aber auch sehen, dass die großen Effekte der zentralen Weichenstellungen, die wir gerade vollziehen, erst in frühestens fünf bis sieben Jahren zu sehen sein werden."

Das heißt: Große Hoffnung auf ganz große Ergebnisse bei der Heim-EM 2024 sollten die Fans nicht legen. Viel mehr zielt der DFB auf die WM 2026 und die Folgeturniere ab. Haupt erinnert an die Einführung der Nachwuchsleistungszentren und die WM 2014, ergänzt aber auch: "Ich will nicht damit sagen, dass es ab der Einführung der aktuellen Änderungen 14 Jahre bis zum nächsten Weltmeister-Titel dauert. Aber es braucht Geduld. Und konsequentes Handeln im Hier und Jetzt."

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