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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nationalspieler Rüdiger "Die Käfig-Duelle haben mich hart gemacht"
Über Berlin, Rom und London zum deutschen Nationalverteidiger. Der 27-Jährige ist in seiner Karriere schon viel herumgekommen – und erinnert sich trotzdem noch gerne an seine Zeit als Stürmer in Berlin zurück.
Antonio Rüdiger gilt als beinharter Verteidiger, der von den Bolzplätzen Berlins aus seinen Weg in die weite Welt gefunden hat. Über Stationen in Dortmund, Stuttgart und Rom landete er schließlich beim FC Chelsea.
Dabei war der heute 27-Jährige in seiner Jugend gar kein Verteidiger. Lange stürmte er für seine Teams und schoss massig Tore an der Seite eines weiteren heutigen Profiverteidigers.
Im Interview mit t-online spricht der deutsche Fußballnationalspieler über das Leben als Abwehrspieler und erzählt, wie es für einen Defensivspezialisten ist, wenn meist nur die Offensivstars von Fans und Öffentlichkeit bejubelt werden.
t-online: Ein Tor, ein weiter, öffnender Pass oder eine fair getimte Grätsche. Wenn Sie sich für eine Aktion entscheiden müssten, welche wäre das?
Antonio Rüdiger (27): Ich wähle die faire Grätsche. Denn das ist mein Bereich.
"Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive Meisterschaften" ist ein häufig zitierter Spruch aus dem Profisport. Doch trifft er auch wirklich zu?
Diese These stimmt. Weltklasse-Verteidiger wie Virgil van Dijk (Kam 2018 für 84,64 Millionen Euro; Anm. d. Red.) beweisen das. Bevor er zu Liverpool wechselte, war die Mannschaft nicht sattelfest. Seitdem er da ist, gewinnt der Klub Titel.
Viele heutige Top-Verteidiger waren in Ihrer Jugend Offensivspieler. Mats Hummels ist ein prominentes Beispiel. Und Sie auch.
Ich war bis zur B-Jugend Stürmer. Erst als ich in den Nachwuchs von Borussia Dortmund wechselte, wurde ich zum Verteidiger umgeschult.
Warum?
Ich war als Kind immer recht klein, dann wurde ich auf einmal größer und größer. Und so wurde ich schließlich von meinem Nachwuchs-Trainer beim BVB nach hinten geschickt.
Und als Stürmer hätte es mit der Profikarriere nicht geklappt?
Ich weiß es nicht. Ich war immer schnell und torgefährlich. Doch der Trainer in Dortmund war damals nicht unbedingt mein bester Freund und deshalb glaube ich auch nicht, dass er mich nach hinten beorderte, um mich zu fördern (lacht).
Vor dem Wechsel nach Dortmund sind Sie für den Berliner Verein Hertha Zehlendorf aufgelaufen.
Und zwar gemeinsam im Angriff mit John Anthony Brooks, der heute Bundesliga-Verteidiger beim VfL Wolfsburg ist. Wir haben mit einem Dreier-Sturm gespielt: John in der Mitte, ich links und Jerome Kiesewetter, der inzwischen in den USA bei Inter Miami unter Vertrag steht, rechts. Jerome und ich waren ziemlich schnell, John war technisch gut und schon früh sehr groß – er hat die Bälle im Zentrum meist mit dem Kopf reingemacht.
Klingt nach einem starken Sturm-Trio.
Wir waren sehr gut. Und dadurch sind dann auch die Profiklubs auf uns aufmerksam geworden – damals eben noch auf den Außenstürmer Antonio Rüdiger (lacht).
Wie ging es dann weiter?
John ist zu Hertha gegangen und wurde zum Innenverteidiger umgeschult. Ich wechselte zum BVB und wurde ebenfalls Verteidiger. Jerome blieb Stürmer.
Die früheren Offensivspieler Hummels, Brooks und Rüdiger wurden alle zu Top-Verteidigern. Aber heißt das in der Folge nicht auch, dass die Abwehrspieler im Profibereich meist die weniger guten Offensivspieler aus dem Jugendbereich sind?
Das kann schon sein – und es wäre auch okay. Ich wurde auf diesem Weg zum Profi und konnte mir so meinen Traum verwirklichen.
Was fehlt Ihnen möglicherweise, um im Profibereich als Offensivspieler auf Dauer zu glänzen?
Wenn ich mit meiner Statur (1,90 Meter groß, 85 Kilogramm schwer; Anm. d. Red.) Bewegungen wie mein Teamkollege Christian Pulisic mache, breche ich mir beide Knie. Aber jetzt mal ehrlich: Die Schnelligkeit für eine Profikarriere im Offensivbereich hätte ich, aber die Skills, die Tricks und Bewegungsabläufe, die man als Offensivspieler im Profibereich braucht, fehlen mir.
Hand aufs Herz: Waren Ihre Kindheits-Idole Offensiv- oder Defensivspieler?
Meine Idole waren Offensivspieler. Der brasilianische Ronaldo beispielsweise, der Dinge am Ball machte, die einfach außergewöhnlich waren. Verteidiger haben mich weniger interessiert. Und der Vorteil eines Stürmers im Vergleich zum Verteidiger ist ja wohl auch ganz klar: Wenn du als Angreifer ein Tor machst, bist du der gefeierte Held, egal wie du vorher gespielt hast. Als Abwehrspieler hast du es da schon schwerer.
Ertappen Sie sich manchmal auf dem Fußballfeld dabei, wie Sie als Verteidiger der Offensive zuschauen und es genießen – oder sind Sie auf dem Platz in einer Dauerstress-Situation?
Doch, doch. Ich kann das Spiel meiner Offensivkollegen schon verfolgen und genießen. Wenn es in einer Aktion nach vorne geht, muss ich in erster Linie nachrücken. Ich muss dafür sorgen, dass die Chance, in einen Konter hineinzulaufen, minimal bleibt. Dann kann ich das Spiel vorne schon gut verfolgen. Eden Hazard habe ich beispielsweise, als er noch mein Teamkollege bei Chelsea war, immer sehr gerne beobachtet, wenn ich auf dem Feld Zeit dafür hatte.
Als Fan schaut man sich Fußballspiele im TV an und jubelt meist bei tollen Offensivaktionen. Worauf achten Sie, wenn Sie sich Profispiele zu Hause anschauen?
Ich gucke mir Fußball im TV ganz anders als Fußballfans an. Ich sage "Wow!", wenn ein Abwehrspieler eine brenzlige Situation klärt. Natürlich freue ich mich auch über gute Offensivaktionen, aber ich schaue eben deutlich mehr auf die Defensivarbeit.
Der erste und bis heute letzte Verteidiger, der zum Weltfußballer gekürt wurde, ist Fabio Cannavaro (2006; Anm. d. Red.). Ist das nicht unfair?
Wenn du in einer Generation mit Messi und Cristiano Ronaldo spielst, hast du als Verteidiger keine Chance, Weltfußballer zu werden. Und das ist auch okay so. Als Abwehrspieler sollte man lieber auf Mannschafts-Titel hinarbeiten.
Wer sind aktuell die besten Verteidiger der Welt?
Virgil van Dijk und Sergio Ramos. Ganz klar.
Wäre das auch allgemein Ihre Traum-Innenverteidigung?
Nein. Es geht nichts über das italienische Innenverteidiger-Duo Paolo Maldini und Alessandro Nesta.
Zurück in Ihre Kindheit: Sie sind in Berlin aufgewachsen, haben früher auch viel auf kleinen Käfigplätzen in Neukölln und Lichtenrade gespielt. Viel verteidigt wurde da nicht, oder?
Richtig. Es ging viel mehr um Tricks und den härtesten Schuss. Aber es wurde schon auch gut zugelangt. Wenn ich verloren habe, war ich früher schnell sauer, und dann wurde es auch schon mal etwas rauer im Käfig.
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Als Profi sind Sie deutlich ruhiger geworden. Doch haben Sie aus Ihrer Zeit in den Käfigplätzen Berlins auch etwas für Ihre spätere Karriere mitgenommen?
Die Käfig-Duelle haben mich hart gemacht. Als Kind bin ich den Bällen hinterhergerannt, ohne lange zu fackeln. Und das tue ich heute noch genauso. Ich ziehe auf dem Spielfeld weiterhin voll durch im Duell – natürlich probiere ich dabei immer, fair zu bleiben.
Zum Abschluss: Inzwischen sind Sie Nationalspieler. Zuletzt gab es viel Kritik an der Verteidigung der DFB-Elf. Haben wir tatsächlich ein Defensiv-Problem?
Wir haben in der Nations League 13 Gegentore kassiert. Das ist zu viel. Und natürlich geht diese Kritik dann in erster Linie direkt an die Verteidiger. Aber wenn man sich mal genauer anschaut, wie einfach die Gegner immer wieder durchbrechen konnten, speziell beim 0:6 gegen Spanien, dann wird klar, dass das nicht nur ein Problem der Verteidigung ist, sondern der kompletten Mannschaft.