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Lauter, dreckiger, direkter: Dieses DFB-Team könnte die Fan-Herzen wieder erobern


Meinung
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Lauter, dreckiger, direkter
Diese Nationalelf könnte die Herzen der Deutschen zurückerobern


Aktualisiert am 19.11.2020Lesedauer: 8 Min.
Joachim Löw (Archivfoto): Der Bundestrainer steht unter Druck.Vergrößern des Bildes
Joachim Löw (Archivfoto): Der Bundestrainer steht unter Druck. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)

Nach dem blamablen 0:6 gegen Spanien bekam nicht nur Bundestrainer Joachim Löw sein Fett weg, sondern auch die Spieler: Zu still, zu glatt, zu austauschbar, hieß es. t-online präsentiert eine Aufstellung, die sich solche Vorwürfe wohl nie anhören müsste.

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft befindet sich in einer tiefen Krise. Das 0:6-Debakel gegen Spanien brachte alle Probleme der DFB-Elf ungefiltert zum Vorschein. Die Kritik gegen Bundestrainer Joachim Löw ist laut und berechtigt. Doch bei all dem Unmut gegen den Chefcoach dürfen die Spieler nicht verschont bleiben. Sie trabten im Olympiastadion von Sevilla den spielfreudigen Spaniern nur hinterher, schwiegen während der 90 Minuten lauter als jeder Zentralfriedhof einer deutschen Millionenmetropole und wirkten nicht zuletzt auch in ihrem öffentlichen Auftreten so grau und austauschbar wie die zwar modische, aber auch uniforme Teamkleidung der "Mannschaft".

Doch keine Sorge, dieser Beitrag soll nicht die x-te Abrechnung mit dem DFB und der Nationalmannschaft werden. Vielmehr soll er ein träumerischer Blick nach vorne sein, in eine bessere, wenn auch – so wie deutsche Fußballfans die sportliche Leitung um Bundestrainer Joachim Löw und Direktor Oliver Bierhoff in den vergangenen Jahren kennengelernt hat – utopische Zukunft.

Welche Fußballprofis könnten die Nationalmannschaft mit der Bevölkerung versöhnen? Wieder für mehr Charakter, Einsatz und Teamgeschlossenheit sorgen? t-online hat sich mit dieser Frage auseinandergesetzt und eine alternative DFB-Elf mit Wadenbeißern, kommenden Kapitänen, Weltverbesserern und Spielern, die tatsächlich Stars auf dem umkämpften US-Marketing-Markt sind, zusammengestellt.

Diese Startelf macht den DFB wieder zum Sympathieträger

Tor:

Marc-André ter Stegen (28), FC Barcelona

"Fort Knox" nennen sie den deutschen Schlussmann liebevoll in Barcelona. Denn so sicher die US-Goldreserve vor Eindringlingen ist, so sicher ist das Tor Barcas vor Gegentoren. In der vergangenen Saison kassiere ter Stegen in 34 Liga-Spielen nur 32 Gegentreffer, behielt 14 Mal eine Weiße Weste. Doch nicht nur aufgrund seiner herausragenden sportlichen Leistungen ist der gebürtige Mönchengladbacher längst eine Art Stadtheiliger in Barcelona: Die Katalanen rechnen es ter Stegen hoch an, dass er noch bis vergangenes Jahr mitten im Stadtzentrum lebte, sich zum regelmäßigen Spaziergang sogar auf die völlig überlaufenen Flaniermeile La Rambla traute – und auch für das 27. Selfie mit Engelsgeduld Model stand.

Abwehr:

Rechtsverteidiger: Lars Bender (31), Bayer Leverkusen

Das Bild des "Kämpfers" ist eines der überproportional benutzten in der Fußball-Berichterstattung. Jeder Spieler, der nach einem Pressschlag nicht mit dem Krankenwagen in die Notfall-Chirurgie eingeliefert wird, verdient sich diesen inoffiziellen Ehrentitel. Dabei gehen echte Kämpfer wie Lars Bender schnell unter. Immer wieder warfen langwierige, komplizierte Verletzungen den Leverkusener zurück. Immer wieder kämpfte er sich zurück, ohne dabei auch nur einen Müh seines fußballerischen Talents zu verlieren. Dass Bender, der 2014 sein letztes A-Länderspiel machte, eine echte Führungspersönlichkeit ist, von der junge Profis nur lernen können, zeigt der Fakt, dass er 2016 als einer von nur drei Routiniers mit der U23-Olympiaauswahl die Silbermedaille holte.

Innenverteidigung: Sven Bender (31), Bayer Leverkusen

"Manni", wie Sven Bender seit seiner BVB-Zeit in Anlehnung an den Ex-Profi Manni Bender genannt wird, teilt nicht nur die Verletztenhistorie mit seinem Bruder Lars, sondern auch die Hartnäckigkeit. Der Innenverteidiger ist ein akribischer Arbeiter, auf und neben dem Platz. Auch deshalb fällt er seit seinem Wechsel zu Bayer Leverkusen im Sommer 2017 kaum noch verletzungsbedingt aus. Stattdessen ist er zum Fels in der Werkself-Brandung geworden, stand in jeder einzelnen Sekunde der laufenden Bundesliga-Saison auf dem Platz. Zwar sagte sein Ex-Coach Jürgen Klopp einst, "Mir war klar, dass Manni nicht ohne Narben durch seine Karriere kommt", doch Sven Bender ist alles andere als ein brutaler Abwehrklopper. Nur acht Gelbe Karten sammelte er in 122 Auftritten für Leverkusen. Auch deshalb wird der gebürtige Bayer ligaweit als fairer Wadenbeißer geachtet.

Innenverteidigung: Mats Hummels (31), Borussia Dortmund

Mats Hummels während einer Trainingseinheit des BVB zu erleben, ist ein unbezahlbares Erlebnis – und verändert das Verständnis des Begriffs "Leader" nachhaltig. Der 31-Jährige hinterfragt, kommentiert, lobt, kritisiert, pusht zu Höchstleistungen. Gerade in einer neuformierten DFB-Defensive bräuchte es einen Lautsprecher wie Hummels, der das große Ganze nie aus den Augen verliert und falls notwendig das Spiel selbst in die Hand nimmt (drei Saisontore sprechen für sich). Doch auch für das externe Mannschaftsgefüge ist ein Typ wie Hummels unverzichtbar. Einer, der sich nicht über seine neue Balenciaga-Jacke definiert, sondern über seinen Beitrag zur gemeinnützigen Initiative "Common Goal". Einer, der der jungen DFB-Garde aufzeigt, dass es mehr im Leben gibt als die Likes nach einer guten Partie. Der BVB-Abwehrboss wäre der Wachrüttler, den die lethargische Nationalmannschaft braucht.

Linksverteidiger: Robin Gosens (26), Atalanta BC

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Robin Gosens, das Disney-Märchen unter den deutschen Fußballern: Hat bis er 18 Jahre alt war in der Jugend seines Heimatvereins VfL Rhede gespielt, als bekennender Schalke-Fan beim BVB-Probetraining versagt, weil er zuvor mit seinen Kumpels die Dorfnacht durchgezecht hat, sich damit abgefunden, bis zum Abitur als Tankwart zu jobben, dann von niederländischen Scouts entdeckt und über Vitesse Arnheim, Heracles Almelo bei Atalanta BC und in der Champions League gelandet. Der Sohn eines niederländischen Vaters machte im Herbst nach langer Wartezeit endlich seine ersten vier Länderspiele beim DFB. Dabei darf es nicht bleiben. Nicht nur, weil Gosens zu den weltbesten Linksverteidigern zählt und längst von Großklubs wie Chelsea und Juventus umgarnt wird, sondern weil er geradeaus sagt, wenn etwas nicht stimmt – und zwar so, wie er es auch an seinem Stammtisch in Rhede gesagt hätte.

Mittelfeld

Zentral defensives Mittelfeld: Joshua Kimmich (25), FC Bayern München

Es soll tatsächlich noch Menschen geben, die Kimmich belächeln. Vielleicht weil sie in ihm immer noch nur einen 1,77 Meter großen, milchbübigen Mitt-Zwanziger sehen. Dabei darf Oberflächlichkeit wie in allen Bereichen des Lebens auch im Fußball keinen Platz haben. Denn sportlich und menschlich ist der 25-Jährige ein Riese, eine Erscheinung. Kimmich ist die Art Profi, die sich nicht auf ihrem naturgegebenen Talent ausruhen – und selbiges auch von ihren Mitspielern erwarten. Kimmich ist laut, Kimmich muckt auf, Kimmich zieht nicht zurück. Letzteres führte nun auch zu seiner Meniskusverletzung, als er hochmotiviert in einen Zweikampf mit BVB-Sturmkante Erling Haaland rutschte. Was sein Fehlen bedeutet, sah man am leblosen DFB-Auftritt in Sevilla. Es ist nicht zu weit hergeholt zu sagen: ein solches Ergebnis hätte es mit dem Münchner Napoleon und kommenden DFB-Kapitän nicht gegeben.

Zentral defensives Mittelfeld: Christoph Kramer (29), Borussia Mönchengladbach

"Kramer, das ist doch der, der sich nicht mehr an das WM-Finale erinnert, der, der mal ein Eigentor aus 40 Metern schoss, haha, ja, der ist schon kauzig", ist wohl sicher die erste Reaktion vieler Fußballfans auf den Gladbacher Defensivabräumer. Dass Kramer seit langem das Amt des fußballerischen Diplomaten innehat, haben jedoch nur wenige wirklich auf dem Zettel. Kramer ist am aktiven Austausch mit den Anhängern interessiert wie kaum ein anderer deutscher Profi. So wie er sich bemüht, Fußball auch als die wöchentliche emotionale Explosion zu verstehen, die er für Fans darstellt, so arbeitet Kramer als Kommentator und Kolumnist daran, Stadionbesuchern sein Leben als Profi so unverfälscht wie möglich nahezubringen. Gerade in dieser Phase, in der die Nationalmannschaft vielen Menschen egal zu werden droht, ist Kramer der nötige soziale Kitt, der die Pole wieder zueinanderführen könnte.

Rechtsaußen: Julian Gressel (26), D.C. United (USA)

"Best never rest", #ZSMNN, "Die Mannschaft" – nur drei unangenehme Claims, mit denen DFB-Direktor Oliver Bierhoff gemeinsam mit Sponsoren und Partnern in den vergangenen Jahren die Attraktivität der Marke Nationalmannschaft zu stärken versuchte. Dabei agierte der Europameister von 1996 frei nach dem alten James-Bond-Titel "Die Welt ist nicht genug". Längst war ihm der deutsche Absatzmarkt für Merchandise und Lizenzrechte zu klein geworden, plötzlich sollte auch beispielsweise in den USA jeder sechs- bis 66-Jährige mit dem DFB-Adler auf der Brust herumlaufen – ganz so als gäbe es in ihrem Land keine eigene Nationalmannschaft. Auf den ganz großen Marketing-Coup ist Bierhoff dabei jedoch nie gekommen: einen Spieler in der DFB-Elf unterbringen, der auf der anderen Seite des Atlantik auch wirklich ein Star und Botschafter seiner Sportart ist. Genau das ist Julian Gressel. 2013 ging der Bayer zum Studium in die USA, spielte auf Uni-Ebene erfolgreich Fußball und landete 2017 beim MLS-Klub Atlanta United. Im selben Jahr wurde er zum "Rookie Of The Year", zum Neuling des Jahres, der Liga gewählt. Mit seinen schnittigen Diagonalbällen und seiner Ballkontrolle im Vollsprint nach vorne, spielte sich Gressel ins Herz der US-amerikanischen "Soccer"-Fans. Die "Gresselmania" war geboren. Seit seinem Wechsel zu D.C. United gehört Gressel zu den bestbezahlten und flexibelsten Spielern der MLS, beackert die komplette rechte Seite des Ex-Klubs von Wayne Rooney. Einzig ein Länderspiel fehlt Gressel noch. Zu schön wäre es zu hören, wie der DFB-Stadionsprecher Andreas Wurm im Stile der US-Kollegen ankündigt: "From Neustadt an der Aisch, Bavaria – Julian Gressel!"

Zentral offensives Mittelfeld: Leon Goretzka (25), FC Bayern München

"Jahrhunderttalent". Dieses Wort nahm Peter Neururer in den Mund, als Leon Goretzka noch beim VfL Bochum trainierte. Seitdem ist viel Wasser die Emscher hinuntergeströmt – und der Mittelfeldalleskönner kontinuierlich besser und besser geworden. In Momenten Gennaro Gattuso, in Momenten Zinedine Zidane: Dem früheren Schalker gelingt es für jede Position, für jede Spielsituation das richtige Auftreten zu wählen. Vor allem weiß Goretzka, was für eine Stimme ihm sein Auftreten auf dem Spielfeld in der Zivilgesellschaft einbringt. So ist es gerade sein Auftreten außerhalb des Platzes, das so bemerkenswert am 25-Jährigen ist: Der Sohn eines Fließbandarbeiters setzt sich aktiv gegen Rassismus und für bessere Integration ein, hat mit seinem Kumpel Joshua Kimmich die Initiative "We kick Corona" gegründet und organisiert, die eine Millionensumme für Opfer der Corona-Pandemie einsammelte. Goretzkas Horizont endet definitiv nicht hinterm gegnerischen Strafraum. Das zeigt nicht zuletzt, dass er in seiner Freizeit gerne Wälzer über die kognitive Forschung liest. Ein potenzieller Weltverbesserer kann nur ein Gewinn für den deutschen Fußball sein.

Linksaußen: Florian Wirtz (17), Bayer Leverkusen

Es muss noch einmal erwähnt werden: 0:6 verlor die deutsche Nationalmannschaft gegen Spanien. Dabei spielte das größte Talent der Iberer nicht einmal: der 18-jährige Ansu Fati ist diese Saison endgültig zum Stammspieler beim FC Barcelona geworden, erzielte in sieben Partien vier Tore. Doch bevor deutsche Fans jetzt zu wehmütig werden: Auch Deutschland hat ein Talent auf dem Level Fatis: Florian Wirtz. Der erst 17-jährige Leverkusener kommt in dieser Spielzeit bereits auf drei Torvorlagen bei den Profis. Ganz nebenbei gewann er die prestigeträchtige Fritz-Walter-Medaille in Gold als bestes Talent seines Jahrgangs und feierte sein Debüt in der U21-Auswahl. Die dürfte jedoch nur eine sehr kurze Übergangsstation für Wirtz sein, so dominant, so abgeklärt er schon in seinen ersten beiden Auftritten im Team von Trainer Stefan Kuntz auftrat. Wirtz dürfte schon im März bereit sein für die A-Nationalmannschaft. Seine Antizipation und Auffassungsgabe könnte der Schlüssel zum Erwecken der strikt nach Schema F agierenden deutschen Flügel sein.

Sturm

Max Kruse (32), Union Berlin

Auch in Berlin sorgte Kruse bereits für einige Kontroversen – wie so oft in seiner Karriere. Zehntausende abhanden gekommene Euro, Polizisten-Beleidigung, Nicht-Einhalten von Corona-Auflagen: Der Stürmer dominiert zuweilen tagelang die Schlagzeilen. Was bei alledem zu kurz kommt ist, wie seine Trainer und Mitspieler von Kruse sprechen. Von Kruse, dem Musterprofi, von Kruse, dem Trainingsweltmeister. Was ist Kruse also vorzuwerfen? Dass er recht klar zwischen Berufs- und Privatleben trennt? Dass Pokern sein großes Hobby ist, kann man ihn nur schwerlich vorwerfen. Sportlich wäre Kruses Rückkehr in die DFB-Elf ein immenser Gewinn. Denn Kruse spielt umsichtig wie kaum ein zweiter gelernter Mittelstürmer. So sammelte er in sieben Bundesliga-Einsätzen für Union Berlin bereits acht direkte Torbeteiligungen. So wie Löw einst vor einem überraschend erstarkten Sandro Wagner nicht die Augen verschlossen hat, darf er sie auch nicht nun vor Kruse verschließen – und auch einmal beide Augen zudrücken, wenn der Goalgetter wieder am Nutella-Löffel schleckt. So lange die Leistung stimmt, dürfen solche menschlichen Momente kein Ausschlusskriterium sein.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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