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Mesut Özil als Sündenbock: DFB-Boss Grindel nimmt der AfD die Arbeit ab


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Özil zum Sündenbock erhoben
DFB-Boss Grindel nimmt der AfD die Arbeit ab

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 25.07.2018Lesedauer: 5 Min.
Seit April 2016 Präsident des Deutschen Fußball-Bundes: Reinhard Grindel.Vergrößern des Bildes
Seit April 2016 Präsident des Deutschen Fußball-Bundes: Reinhard Grindel. (Quelle: DeFodi/imago-images-bilder)
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Geldwäsche-Affäre, Diesel-Skandal und jetzt der unrühmliche Rücktritt von Mesut Özil. Deutsche Aushängeschilder werden immer mehr zum Gespött. Das ärgert unseren Autor.

Seit einiger Zeit blamieren sich deutsche Großorganisationen bis aufs Blut. Mit den Banken hat es begonnen, dann folgte die Autoindustrie und die Parteien. Jetzt spielt der DFB getreulich nach.

Was wir von den Zetsches/Stadlers/Müllers dieser Erde und den Jains/Cryans/Nonnenmachers zur Genüge wissen: Ja, es gab Probleme und das tut uns auch irgendwie leid. Ja, wir übernehmen die Verantwortung und werden uns auch bestimmt erneuern, aber schuld daran sind wir natürlich nicht, sondern ein paar Ingenieure/Investmentbanker/Spieler, die einfach machten, was sie wollten.


Mit den Organisationen ist es wie mit Menschen im richtigen Leben: Fehler passieren, wie auch nicht. Der Charakter zeigt sich in der Haltung zu den Fehlern. So viel sagt uns schon der gesunde Menschenverstand. Und wenn unsere Vorstandsvorsitzenden/Parteichefs/DFB-Chefs etwas gemeinsam haben, dann dies: Mangel an Charakter.

Wer DFB-Vorsitzender war, ist mir meistens völlig egal gewesen. Ich kann mich an die Trainer erinnern: Herberger, Schön, Berti Vogts, Jupp Derwall (oh ja, der auch!), Franz Beckenbauer. Ich kann mich nur an einen Präsidenten erinnern, damals bei der WM in Argentinien, als Hermann Neuberger mit seiner Schwäche für Militärdiktatoren auffiel, ohne dass er hätte zurücktreten müssen, versteht sich.

Reinhard Grindel ist seit zwei Jahren Präsident des DFB. Er war mal Journalist, was nicht gegen ihn spricht. Dann ging er für die CDU in den Bundestag und fiel nicht besonders auf, außer mit diesem Satz, dass Multikulti eigentlich Kuddelmuddel sei. Damit qualifizierte er sich 2016 unbedingt als Präsident dieser Großorganisation.

Der DFB hat 7.043.964 Mitglieder, ihm gehören 24.958 Vereine an. Beeindruckende Zahlen. Wer sich auch nur die Mannschaftsaufstellungen der A-Jugend-Bundesliga durchliest, bekommt eine Ahnung, wer den DFB trägt: Spieler mit buntester Herkunft, mit buntesten Namen. Das kann man Multikulti nennen oder einfach Deutschland, wie es nun einmal ist. Der Sport hat schon immer entscheidend dazu beigetragen, dass die neuen Deutschen aus Familien mit anderen Wurzeln Teil des Landes wurden. Darin liegt sein historisches Verdienst.


Nach der bisherigen Lesart war die Nationalmannschaft ein Schulbeispiel für Integration. Khedira: tunesischer Familienteil. Boateng: ghanaischer. Özil/Gündogan: türkischer. Reinhard Grindel kann dem Kuddelmuddel nichts abgewinnen, das wissen wir spätestens jetzt. Damit gibt er der AfD eine Stimme. Ich schlage vor, dass die Heuchelei, die Grindel an den Tag gelegt hat, künftig grindeln heißen soll.

Grindeln bedeutet Ahnungslosigkeit, wenn sich Ungemach abzeichnet. Vom Trainer über den Manager bis zum Präsidenten haben sie die Kraft eines Fotos unterschätzt: Erdogan im Kreis seiner Lieben, Özil und Gündogan. Der Bundespräsident nahm es auf sich, die beiden Spieler zu empfangen und Gegenbilder zu schaffen. Nützte aber nichts, es ging weiter. In der nächsten Stufe heißt grindeln: Jetzt ist aber gut, jetzt habt euch nicht so, so schlimm ist es doch gar nicht, hahaha.


Die Nationalmannschaft hat bei der WM in Russland grottig gespielt und ist verdient ausgeschieden. In der ersten Phase haben das die Spieler und selbst der Trainer eingeräumt. In der zweiten Phase begann das sattsam bekannte Trauerspiel nach den Gesetzen der Großorganisation: Wer ist an diesem Mist schuld? Wir doch nicht? Lasst uns einen ausgucken und zum Sündenbock machen! Ja, der Mesut war’s, stimmt ja!

Fangen wir mit dem Trainer an. Er hatte angekündigt, er werde sich überlegen, ob er weitermachen kann und will. In Wirklichkeit wartete er ab, was "Bild" und die DFB-Oberen und die Sportjournalisten sagen würden. Siehe da, der Schrei nach einem Neuen unterblieb und so macht der Alte huldvoll weiter. Der Alte, dem alle Fehler dieser Welt unterlaufen waren. Wie Seehofer oder Söder oder Merkel. Alle machen weiter. Ist das nicht seltsam?

Mit dem Grindeln hätten sie im DFB sogar davonkommen können. Aber dann fiel es Oliver Bierhoff ein, dass ja nicht er oder Jogi am Scheitern schuld sind, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, sondern Mesut Özil. Ist doch so! Der sagt nix! Wer nix sagt, macht sich schuldig! Der Präsident stimmte umgehend zu.

Jetzt müssen wir kurz mal erwähnen, wer daraufhin nichts sagte: Der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft. Toni Kroos, mein Lieblingsspieler, der sonst lauter richtige Sachen von sich gibt. Der Spielerrat. Ilkay Gündogan.

Ich habe gedacht, dass unter diesen großen Jungs, die irrsinnig viel Geld verdienen, der eine oder andere Erwachsene ist, der sagt: Moment mal, so geht das nicht, das ist einer von uns und wir alle haben verloren und nicht nur die Nummer 10. So haben es die Schweden gehalten, als Jimmy Durmaz, ein Schwede türkischer Herkunft, wegen seines Fouls in der 93. Minute, das zum deutschen Freistoßtor führte, wüst beschimpft wurde: Die ganze Mannschaft hat sich vor ihn gestellt und vorbei war die Hetze! So macht man das!

Mesut Özil hat einen Wutschrei von sich gegeben, mit dem er sich keinen Gefallen tut. Er sagt, zwei Herzen schlagen in seiner Brust, ein deutsches, ein türkisches. Aber darauf kommt es nicht an, hätte ihm einer seiner Berater/Manager/Freunde mal sagen sollen. Denn unser Mesut hat den Unterschied zwischen Demokratie und Autokratie nicht verstanden. Er beliebt, darüber hinwegzusehen, was in der Türkei unter diesem Präsidenten los ist: Willkür, Rechtlosigkeit.

Ob sie wollen oder nicht, Fußballer in einer Nationalmannschaft vertreten dieses Land, für das sie spielen und in dem sie aufgewachsen sind. Genau so wie Khedira/Özil/Gündogan Deutschland, vertreten Kylian Mbappé oder Paul Pogba Frankreich und haben damit keine Schwierigkeiten, die sie an die große Glocke hängen. Wenn noch ein anderes Herz in ihrer Brust schlägt, ist das ihre Privatsache, aus dem sie kein Politikum machen.

Von einer Großorganisation wie dem DFB ließe sich erwarten, dass er schon vor Jahren ernsthafte Gespräche mit seinen Spielern über ihre Verantwortung geführt hätte. Dann hätten Özil und Gündogan die Symbolik verstanden, die in einem Foto mit dem türkischen Präsidenten liegt. Dann wäre unser Mesut auch heute nicht so tumb zu behaupten, alles sei richtig gewesen und er würde es wieder genauso machen.

Grindeln heißt auch, jemanden an der Pranger zu stellen, egal was man damit anrichtet. Als Alexander Gauland der Satz einfiel, die Leute fänden Boateng als Spieler gut, wollten ihn aber nicht zum Nachbarn haben, war die Empörung groß, im DFB und außerhalb. Wenn der DFB-Präsident jetzt Mesut Özil zum Sündenbock für missratene Fußballkunst erhebt, nimmt er der AfD die Arbeit ab, ohne dass ihm jemand sagt: Geht’s noch? Was soll das?

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Sport und Politik hängen immer zusammen. Heute wiederholt sich im Fußball die nervöse Debatte, was wir für ein Land sein wollen. Und nebenbei wird klar, dass nicht einmal im Fußball Integration von selber passiert. Sie ist Arbeit, man muss dafür etwas tun, auf allen Ebenen, von oben bis unten. Das Grindeln ist verhängnisvoll. Und jeder darf bleiben, was er ist?

Ich liebe Fußball, ich bin auf einem Bolzplatz aufgewachsen und schaue über die absurden Auswüchse des Geschäfts gewohnheitsmäßig hinweg. Ich lache über Ronaldos Pistolero-Blödsinn oder Neymars Sterbender-Schwan-Einlagen. Mit dem Grindeln als Verhaltensprinzip wird es mir schwerer fallen, mich einfach auf das Spiel einzulassen, das so schön sein kann. Oder geht es Ihnen anders?

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