DFB-Krise Die Özil-Abrechnung kann verheerende Folgen haben
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Mesut Özil, sein Rücktritt und seine schweren Vorwürfe gegen DFB-Boss Grindel – der deutsche Fußball hat jetzt ein riesiges Problem.
Um 20.04 Uhr setzte Mesut Özil den Schlusspunkt hinter eine noch nie da gewesene Abrechnung im deutschen Fußball.
- "Ich werde nicht länger als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz."
- "Ich weiß, dass er mich aus dem Team haben wollte."
- "In seinen Augen bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Einwanderer, wenn wir verlieren."
- "Leute mit rassistisch diskriminierendem Hintergrund sollten nicht länger im größten Fußballverband der Welt arbeiten dürfen."
Mit einer Erklärung in drei Tweets an einem Tag arbeitete er die Geschehnisse seit der Affäre um seine Fotos mit dem türkischen Präsidenten Erdogan auf, trat aus der Nationalmannschaft zurück und rechnete gnadenlos mit DFB-Präsident Grindel ab. Nicht nur das. Er warf ihm Diskriminierung und Rassismus vor.
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Damit ist der nächste Tiefpunkt einer der schlimmsten DFB-Krisen aller Zeiten erreicht. Und spätestens jetzt gibt es nur noch Verlierer.
► Mesut Özil: Sein Foto mit dem Despoten Erdogan mitten im türkischen Wahlkampf war ein großer Fehler. Noch schlimmer ist, dass er monatelang schwieg, um nun über seine Social-Media-Plattformen abzurechnen. Selbstkritik beinhaltet sein Statement keine. Auch keinen Dank an die vielen Fans, die ihn immer unterstützt haben.
Stattdessen schießt Özil in vielen Punkten weit über das Ziel hinaus. Ein Beispiel: "Die Medien kritisierten nicht meine Leistung, sondern bloß meine türkische Herkunft. Zeitungen haben versucht, Deutschland gegen mich aufzubringen." Keine Zeitung hat dies versucht, sondern tatsächlich nur seine zuletzt extrem schwachen Leistungen kritisiert.
Özil hätte als Weltmeister und Held in die deutsche Fußballgeschichte eingehen können, als Vorbild einer gelungenen Integration. Jetzt wird nur das unrühmliche Ende seiner Nationalelf-Karriere in Erinnerung bleiben.
► Reinhard Grindel: Im April 2016 wurde er zum DFB-Präsidenten gewählt, seitdem hat er den DFB in die aktuelle Krise geführt. Seine Glaubwürdigkeit hat er spätestens in den vergangenen Wochen verspielt.
Vor der WM sagte er zur Erdogan-Affäre der Nationalspieler Özil und Ilkay Gündogan: "Wir haben darüber gesprochen, es war ein Fehler, das haben die beiden eingesehen. Jetzt sollte der Fußball im Mittelpunkt stehen." Nach der WM klang es im "Kicker" so, dass das Schweigen Özils "viele Fans enttäuscht" habe, weil "die Fragen haben und eine Antwort erwarten. Diese Antwort erwarten sie zu Recht. Deshalb ist für mich völlig klar, dass sich Mesut, wenn er aus dem Urlaub zurückkehrt, auch in seinem eigenen Interesse öffentlich äußern sollte." Immerhin: Das hat Özil nun getan – wenn auch kaum zur Zufriedenheit Grindels.
Grindel sagt, was seiner Meinung nach am besten ankommt. Ihm geht es dabei offenbar vor allem um eines: Um sich und seinen Posten.
Den wird er nun wohl kaum behalten können. Und zwar zu Recht, stimmt nur ein winziger Bruchteil der Vorwürfe von Özil. Und wenn es um Rassismus und Diskriminierung geht, muss man die prüfen.
► Oliver Bierhoff: Der Nationalelfmanager war maßgeblich daran beteiligt, Özil zum Sündenbock für die WM zu machen – dank seiner Aussage in der "Welt", dass man hätte überlegen müssen, möglicherweise bei der WM auf Özil zu verzichten. Schon vor der WM hatte er gesagt: "Man muss ja verstehen, wie Türken ticken." Sensibel geht anders.
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► Der DFB: Es gab zwei große Ziele: Die Titelverteidigung bei der WM in Russland und die Ausrichtung der EM 2024 in Deutschland. Teil eins endete in einem Desaster, Teil zwei wird dadurch nicht gerade realistischer. Bayern-Boss Rummenigge stellte fest, dass der DFB "von Amateuren durchsetzt ist" – trotzdem traten die Mitarbeiter in Russland arrogant und selbstherrlich auf.
Schlimm, was innerhalb kürzester Zeit aus dem Weltmeister von 2014 geworden ist.
Und schlimm, was die Özil-Abrechnung für Folgen haben kann: Denn ein verdienter Nationalspieler wie Özil tritt nicht wegen Kleinigkeiten zurück. 2011, 2012, 2013, 2015, 2016 wurde er jeweils zum Nationalspieler des Jahres gewählt – und zwar von den Fans.
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Wenn so ein Nationalspieler (wenn auch viel zu spät) beschreibt, wie er sich als Deutscher mit türkischen Wurzeln diskriminiert fühlt, wie er und seine Familie beleidigt werden, dann sollte man das ernst nehmen.
Auch in der nächsten Generation an Talenten haben viele einen Migrationshintergrund. Fragt sich, ob sich ein Spieler mit doppelter Staatsbürgerschaft künftig für Deutschland entscheidet, wenn er die Özil-Abrechnung im Hinterkopf hat.