t-online.de-WM-Check, Gruppe H Was mir Valderrama über Kolumbien verraten hat
In der Gruppe H gibt es kein wirkliches Star-Team – aber viele starke Individualisten. Besonders den Kolumbianern um James ist einiges zuzutrauen, meint t-online.de-Experte Lutz Pfannenstiel.
Bei der WM 2018 in Russland wird es international. 32 Mannschaften von sechs Kontinenten wetteifern um den Titel. Dabei kann man schnell den Überblick verlieren. Lutz Pfannenstiel war als Profi auf allen Erdteilen aktiv – und kennt die internationale Fußballwelt wie kaum ein Zweiter. Für t-online.de nimmt der Torwart-Globetrotter alle WM-Starter unter die Lupe. Heute: Gruppe H mit Kolumbien, Polen, Japan und Senegal.
Kolumbien
Das ist eine richtig gute Zockertruppe. Neben Bayern Münchens James Rodriguez sind mit Juan Cuadrado (Juventus Turin), Falcao (AS Monaco) oder Luis Muriel (FC Sevilla) besonders in der Offensive richtig gute Kicker dabei. Das hat auch die Qualifikation gezeigt, die sie souverän gemeistert haben.
Der ehemalige Superstar Carlos Valderrama ist ein guter Freund von mir. Er sagt: Die jetzige Truppe ist die beste seit den goldenen 90er-Jahren. 2014, als die Kolumbianer überraschend ins WM-Viertelfinale eingezogen sind, waren sie – seiner Ansicht nach – noch etwas zu grün. Das sei bei dieser WM anders.
Ein Problem ist die Konstanz: In der Vorbereitung folgten beispielsweise nach einem Sieg gegen Frankreich zwei torlose Unentschieden gegen Australien und Ägypten. Außerdem gehen die Kolumbianer trotz der starken Offensive oft fahrlässig mit ihren Chancen um und sind in der Defensive durchaus anfällig.
Der Star
Mittelfeld-Genie James Rodriguez ist einer der kreativsten Spieler der Welt. Das zeigt er nicht nur bei Bayern, sondern auch in der Nationalmannschaft. Außerdem ist er torgefährlich, wurde Torschützenkönig bei der WM 2014.
Prognose
Die Vorrunde sollte Kolumbien überstehen. Im Achtelfinale droht dann allerdings ein Aufeinandertreffen mit England oder Belgien. Sollten die Kolumbianer dieses Hindernis nehmen, ist alles möglich.
Polen
Bei Polen dreht sich alles um Bundesliga-Torschützenkönig Robert Lewandowski. Der Bayern-Stürmer ist die Lichtgestalt im polnischen Team, der absolute Superstar. Ohne ihn geht nichts. 16 Treffer in der Qualifikation sprechen für sich. Dort setzten sich die Polen mit acht Siegen aus zehn Spielen souverän vor Dänemark durch. In der Weltrangliste liegen sie deshalb auf Platz acht.
Doch das spiegelt nicht ganz ihr Leistungsniveau wider. Sie haben mit Kamil Glik (AS Monaco), Lukasz Piszczek (Borussia Dortmund), Grzegorz Krychowiak (West Bromwich) Piotr Zielinski (SSC Neapel) und natürlich Lewandwowski zwar eine gute Führungsachse. Das Leistungsgefälle im gesamten Kader ist allerdings enorm.
Der Star
Alles läuft über Robert Lewandowski. Der Bayern-Star kann alles, was ein Stürmer können muss: Er kann Bälle halten, trifft mit links, rechts, per Kopf und bereitet Treffer vor. Mehr geht nicht.
Prognose
Auf dem Papier ist Polen einer der zwei Favoriten in der Gruppe H. Aber: In dieser Gruppe kann wirklich jeder jeden schlagen. Dennoch sollten die Polen weiterkommen – wenn Lewandowski fit bleibt.
Japan
Die Japaner leben vom Kollektiv. Sie helfen sich gegenseitig, arbeiten hart und funktionieren am besten als Team. Star-Gehabe gibt es da nicht. Dazu sind sie technisch ganz ordentlich und vor allem sehr eingespielt. Mit Gotoku Sakai (HSV), Shinji Kagawa (Borussia Dortmund), Genki Haraguchi, Takashi Usami (beide Fortuna Düsseldorf), Yoshinori Muto (Mainz 05) und Makoto Hasebe (Eintracht Frankfurt) stehen viele Deutschland-Legionäre im Kader.
Was fehlt sind große Individualisten. Das ist oft Einheitsbrei: Viele – wenn auch sehr motivierte – Durchschnittsspieler, die ähnlich auftreten und auf dem Platz selten Überraschendes zeigen. Auch wenn die J-League die beste Liga Asiens ist, fehlen in der letzten Zeit Einzelkönner wie Hidetoshi Nakata.
Der Star
Dortmunds Shinji Kagawa zieht im zentralen Mittelfeld die Fäden. Er gibt den Takt vor und sorgt für Struktur im japanischen Spiel. Ein Star im klassischen Sinn ist der 29-Jährige allerdings nicht. Er ordnet sich stets dem harmonischen Mannschaftsgefüge unter.
Prognose
Das Team hat einen sehr guten Charakter. Mannschaftlich sind die Japaner top. Individuell haben sie aber nicht das Niveau, gegen die Großen mithalten zu können. Alles andere als ein Vorrunden-Aus wäre eine Überraschung.
Senegal
Wie Polen hat auch Senegal einen eindeutigen Star: Sadio Mané. Er hat sich bei Liverpool unter Jürgen Klopp zu einem echten Klassespieler entwickelt. Mit seinem unglaublichen Tempo über die linke Seite und seiner ausgefeilten Ballbehandlung ist Mané eine echte Waffe.
Den Rest des Teams kennt man dagegen kaum. Nach der starken WM 2002 sind die Senegalesen international von der Bildfläche verschwunden. Durch die Qualifikation kamen sie dann ohne Niederlage – und das, mit einer klaren, schnörkellosen Spielanlage: Es geht über schnelle Konterangriffe und die Flügel noch vorne. Dank starker Physis entwickeln sie dabei eine unglaubliche Wucht. Mit den Orlando Pirates habe ich in der afrikanischen Champions League in Dakar gespielt: Da ging es dann immer gegen echte Kanten. Groß gewachsen, hart im Zweikampf und sehr kopfballstark.
Der Star
Die Karriere von Sadio Mané ist in den vergangenen Jahren im Zeitraffer verlaufen: Über RB Salzburg ging es zum englischen Durchschnittsklub FC Southampton und danach zum FC Liverpool. Beim Champions-League-Finalisten ist er mittlerweile kaum zu ersetzen – ebenso wie in der Nationalmannschaft.
Prognose
Senegal muss als Kollektiv auftreten, um gegen individuell besser besetzte Teams zu bestehen. Dank Mané und der kompromisslosen Spielweise traue ich ihnen dennoch den Sprung in die K.-o.-Runde zu. Spätestens da wird allerdings Schluss sein.