Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Expertin warnt vor Deutschland-Spiel "Das wäre ein sehr großer Fehler"
Mit Kolumbien wartet auf Deutschland der erste Härtetest bei dieser WM. Eine Expertin analysiert, auf wen das DFB-Team aufpassen muss.
Aus Sydney berichtet Noah Platschko
Viel wurde im Vorfeld der WM über Kolumbien als vermeintliche "Treter-Truppe" berichtet. Aufgehängt war diese Art der Berichterstattung an einem Testspiel gegen Irland, das aufgrund der angeblich überharten Gangart der Südamerikanerinnen nach 20 Minuten abgebrochen werden musste.
Doch es wäre falsch, den Finalisten der Copa América allein auf seine Physis zu reduzieren, sagt Natalia Ruiz Giraldo, die als internationale Korrespondentin für France 24 in Paris arbeitet. Giraldo ist in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, aufgewachsen. Ihr Heimatland beschreibt sie als eines, in dem der Sport wichtiger als die Politik ist – insbesondere der Fußball.
Im Interview mit t-online spricht die Journalistin über das anstehende Duell mit dem DFB-Team (ab 11.30 Uhr im ZDF und Liveticker bei t-online) – und worauf Deutschland besonders achten muss.
t-online: Frau Giraldo, auf wen muss das deutsche Team am Sonntag besonders aufpassen?
Natalia Ruiz Giraldo: Nachdem ich das letzte Spiel gesehen habe, denke ich, dass Mayra Ramirez im Mittelfeld Deutschland einige Probleme bereiten kann. Sie lässt ihre Gegnerinnen laufen und sorgt immer für Gefahr. Und in der Offensive muss Deutschland auf unsere Stürmerinnen aufpassen: Catalina Usme, die sehr gut bei Standardsituationen ist, und Linda Caicedo. Was sie kann, hat sie gegen Südkorea gezeigt.
Mit welcher Erwartungshaltung gehen die Menschen in Kolumbien in das Duell mit Deutschland?
Diese Mannschaft hat in der Heimat große Erwartungen geweckt. Es ist ein Team, das zumindest im letzten Jahr viel bessere Ergebnisse erzielt hat als die Männermannschaft. Sie waren im Finale der Copa América. Etwas, was die Herrenmannschaft noch nie geschafft hat.
Woran machen Sie diese Erfolge fest?
Dies ist das Ergebnis eines sehr langen Prozesses. Kolumbiens Trainer Nelson Abadía hat die meisten Spielerinnen seit ihrem 12. Lebensjahr trainiert. Die U17-Mannschaft der Frauen wurde bei der letztjährigen Weltmeisterschaft in Indien gegen Spanien Vizeweltmeister, was zeigt, dass auch die Jugendarbeit funktioniert.
An welchem Punkt steht der Frauenfußball aktuell in Kolumbien?
In den letzten Jahren hat sich der Frauenfußball schon sehr weiterentwickelt, auch wenn es noch viel zu verbessern gibt. Mittlerweile gibt es eine eigene Liga für die Frauen und auch die Unterstützung für den Frauenfußball generell hat zugenommen. Die Medien interessieren sich stärker dafür. Das Eröffnungsspiel gegen Südkorea wurde zur besten Sendezeit im nationalen Fernsehen übertragen. Das war ein großer Schritt – und ein Statement.
Wann wäre in Ihren Augen die WM ein Erfolg?
Schon die Qualifikation fürs Achtelfinale wäre als ein solcher zu werten. Aber allein die Tatsache, dass sie das Auftaktspiel gewonnen haben, ist bereits als ein Erfolg zu sehen, weil es das erste Mal war, dass Kolumbien mit einem Sieg in eine Weltmeisterschaft starten konnte.
Stört es Sie, dass das kolumbianische Team auf sein physisches, hartes Spiel reduziert wird?
Ich habe die Berichte über ihr aggressives Spiel nach dem Freundschaftsspiel gegen Irland gelesen, das wegen "übermäßiger Härte" abgebrochen wurde. Ehrlich gesagt, glaube ich aber nicht, dass sie aggressiver spielen als andere Mannschaften. Ich habe sie bei einem ihrer Vorbereitungsspiele gegen Frankreich im vergangenen April beobachtet, und sie haben keinen überharten Eindruck gemacht.
Also ein hartes Spiel, aber nicht über der Grenze?
Sie spielen ziemlich physisch, das stimmt. Und ja, wahrscheinlich spielen sie manchmal hart und begehen das ein oder andere Foul, wenn sie ein wenig frustriert sind. Aber ich glaube nicht, dass die Art und Weise, wie Kolumbien sein Spiel betreibt, gegen das Fair Play verstößt. Ich erinnere mich, dass es während der letzten WM in Frankreich viele Berichte über das chinesische Team gab, weil es sehr aggressiv spielte. Und tatsächlich gab es in einem ihrer Gruppenspiele gegen Deutschland ein paar wirklich heftige Fouls. Wenn ich mich nicht irre, war Dzsenifer Marozsán nach diesem Spiel sogar so verletzt, dass sie im Turnier kaum mehr spielen konnte.
Wofür steht Kolumbien noch?
Das Team hat sich in den vergangenen Jahren technisch sehr verbessert. Die Stürmerinnen sind gefährlich und bringen viel Erfahrung mit. Einige von ihnen spielen in Europa auf einem hohen Niveau. Ich denke, dass sie viele ihrer Qualitäten bereits im Eröffnungsspiel gegen Korea gezeigt haben. Noch mal: Es wäre definitiv ein sehr großer Fehler, sie auf ihr "aggressives Spiel" zu reduzieren.
Mit welchem Blick schauen die Kolumbianerinnen auf das deutsche Team?
Sie wissen, dass sie gegen den letztjährigen Vize-Europameister und eine sehr athletische, kompakte und effektive Mannschaft antreten. Natürlich werden sie sich vor Alexandra Popp in Acht nehmen müssen, die eine unglaubliche Spielerin ist. Ich gehe davon aus, dass mindestens zwei Spielerinnen Popp attackieren werden, um die Angriffe zu ersticken. Die Abwehrreihe um Carolina Arias, Jorelyn Carabalí, Daniela Arias und Manuela Vanegas wird sehr damit beschäftigt sein, Popp aus dem Spiel zu nehmen.
Welche Schwächen Kolumbiens sollte sich Deutschland zunutze machen?
Ich weiß nicht, ob ich es als eine Schwäche Kolumbiens bezeichnen würde, aber Deutschland ist unfassbar gut im Flanken- und Kopfballspiel. Deutschland beherrscht es, auch dank Popp, wie kaum eine andere Mannschaft. Und Kolumbien hat gegen Südkorea gezeigt, dass es bei hohen Bällen Probleme hatte.
Sie sagten vorher, das Achtelfinale wäre für Kolumbien bereits ein großer Erfolg. Ist vielleicht sogar mehr drin?
Der Start verlief optimal, aber Deutschland wird noch mal ein großer Test. Sollte es in die K.-o.-Runde gehen, wer weiß, ob sie dann nicht von Spiel zu Spiel mehr Selbstvertrauen gewinnen und überraschen? Es ist eine Weltmeisterschaft! Kleine Mannschaften, die Außenseiter, haben ihre Chancen zu glänzen. Kolumbien will und muss diese nutzen.
- Persönlicher Austausch mit Natalia Ruiz Giraldo