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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Entscheidet sie das EM-Finale? Der heimliche Superstar
Vorne schießt Alex Popp die Tore, doch eine 20-Jährige ist das Herz des Teams – und eine der wichtigsten Spielerinnen im Mittelfeld der DFB-Frauen.
Die Journalistengruppe lachte. Wenige Minuten nach Abpfiff hatte sie Lena Oberdorf in der Mixed-Zone angehalten und nach ihrer starken Leistung befragt, was bei dieser ehrliche Verwunderung zum Vorschein brachte. "Echt? Habe ich jetzt nicht so empfunden." Oberdorf hatte soeben ihr erstes WM-Spiel bestritten. Und mehr als das. Mit ihrer Einwechslung für Linksverteidigerin Caro Simon avancierte sie mit zu diesem Zeitpunkt 17 Jahren, fünf Monaten und 20 Tagen zur jüngsten deutschen WM-Spielerin aller Zeiten.
Das war im Juli 2019 im französischen Rennes. Gut drei Jahre später ist Lena Oberdorf immer noch Nationalspielerin – und was für eine. Trotz ihres mit 20 Jahren immer noch blutjungen Alters gehört sie zu den Top-Spielerinnen der DFB-Frauen und ist aus der deutschen Stammelf nicht mehr wegzudenken.
Die talentierte Mittelfeldspielerin fühlt sich am wohlsten auf der Sechserposition – und füllt diese Rolle beim aktuellen Turnier mit Bravour aus. Auch beim VfL Wolfsburg, mit dem sie wenige Wochen vor Turnierstart das Double holte, agierte sie auf dieser Position. Sie ist die Schaltzentrale, das Herz der Mannschaft, defensiv wie offensiv.
Oberdorf Teil des Mannschaftsrats
"Lena Oberdorf ist ein Typ Fußballerin, den es so oft nicht gibt. Sie hat in ihren jungen Jahren eine physische Präsenz, einen Willen und eine Intuition, die herausragend ist", lobt Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg in der Dokumentation "Born for this" ihre Spielerin. "Obi", wie sie von ihren Mannschaftskameradinnen liebevoll genannt wird, ist gemeinsam mit Almuth Schult, Sara Däbritz, Lina Magull, Svenja Huth und Kapitänin Alexandra Popp Teil des Mannschaftsrats. Ihr Wort hat Gewicht.
"Ich bin in einer Zwischenrolle zwischen jung, aber nicht mehr neu", schätzt sie ihr eigenes Standing innerhalb des Teams ein. "Es wird von mir erwartet, dass ich mehr und mehr Verantwortung übernehme." Dabei hadert die gebürtige Gevelsbergerin (Ruhrpott) auch mit ihrer eigenen Perfektion. "Ich bin ganz schwer zufriedenzustellen – auch was meine eigene Leistung angeht. Wenn zu mir jemand sagt: 'Du hast gut gespielt', dann kann ich der Person gleich drei Sachen sagen, die Kacke waren."
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"Kacke" war beim Turnier in England bislang wenig bis gar nichts. Im Gegenteil. In allen vier absolvierten Partien zeigte Oberdorf eine ansprechende Leistung. Beim bedeutungslosen dritten Gruppenspiel fehlte die Wolfsburgerin gelbgesperrt – nur um im Achtelfinale gegen Österreich ausgeruht zurückzukehren und ihre beste Turnierleistung zu zeigen. "Wenn ich Fan wäre, würde ich uns bei diesem Turnier nicht wiedererkennen", zeigte sich Oberdorf, die vor der EM in Abwesenheit von Abwehrchefin Marina Hegering zeitweise auf der Innenverteidigerposition spielen musste, überrascht ob der starken EM-Performance der DFB-Frauen.
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Sie selbst strahlt eine beeindruckende Souveränität aus – und besticht als absolutes Zweikampfmonster. 5 ihrer 6 Luft-, 10 ihrer 13 Bodenduelle entschied sie im Viertelfinale für sich – und trieb mit ihren abgefangenen Bällen (sechs) Österreich zur Verzweiflung.
Kommentator Schmelzer schwärmt: "Unfassbares Turnier"
Und auch im Halbfinale gegen Frankreich überzeugte sie als Leaderin, köpfte und drosch insbesondere in der französischen Drangphase gegen Ende jeden annähernd gefährlichen Ball aus dem Sechzehner. Bezeichnend auch ihr überharter Einsatz gegen Kadidiatou Diani, als sie zwei Minuten vor Abpfiff den Gelben Karton sah. Ein Fußballspiel ohne Verwarnung? Eine Seltenheit, steht Oberdorf auf dem Platz.
"Sie spielt hier ein unfassbares Turnier" lobt ARD-Reporter Bernd Schmelzer, der am Sonntag (18 Uhr, im Liveticker bei t-online) das Finale kommentieren wird, die 20-Jährige. "Sie läuft so ein wenig unterm Radar. Aber wie sie die Räume schließt und den Französinnen die Freude am Spiel genommen hat, das war schon klasse. Das mag manchmal etwas rustikal sein, aber ist der Wichtigkeit einer EM auch angemessen", so der 57-Jährige.
Auch Schmelzers Kollegin Claudia Neumann, die das deutsche Halbfinale gegen Frankreich für das ZDF kommentierte, ist voll des Lobes: "Es war überragend, wie sie ihre Position ausgefüllt hat. Ich habe selten eine so eindrucksvolle Leistung einer 20-Jährigen auf dieser so wichtigen Sechserposition gesehen. Oberdorf bringt alle Fähigkeiten auf den Rasen: Überragende Antizipation, starke Vororientierung – und das alles auf technisch sehr gutem Niveau."
Oberdorf will ersten internationalen Titel
Bereits mit 16 Jahren wechselte Oberdorf zum Bundesligisten SGS Essen, wo sie sich schnell zur Leistungsträgerin entwickelte und die Aufmerksamkeit etlicher Top-Klubs auf sich zog. Zwei Jahre und eine WM-Teilnahme später folgte der Wechsel in die Autostadt, wo sie nun auch ihre ersten Karrieretitel einheimsen konnte. Während des Turniers verlängerte sie ihren Vertrag in Wolfsburg bis 2025. Mit dem Gewinn der Champions League (Halbfinal-Aus 2022) peilt sie schon den nächsten Titel an.
Der allergrößte könnte allerdings schon am Sonntag mit der Nationalmannschaft folgen. Auch dann wird Oberdorf wieder grätschen, laufen und passen, was das Zeug hält. "Ich glaube, das ganze Stadion wird gegen uns sein. Wir spielen nicht nur gegen England, sondern gegen die ganze Nation", wagte die deutsche Nummer sechs eine Prognose auf das größte Finale ihrer Karriere.
Auch dann wird sie nach Abpfiff wieder drei Sachen finden, die "Kacke" waren. Vielleicht sogar mit stinkendem Pokal in der Hand.
- Länderspiele der DFB-Frauen bei ARD und ZDF
- Mixed-Zone mit Lena Oberdorf nach Deutschland China
- Saarbrücker Zeitung: "Aus Ennepetal auf die internationale Fußball-Bühne"
- Süddeutsche Zeitung: "Mit 20 eine Strategin"
- TV-Dokumentation "Born for this"
- Eigene Recherche