Monchis Weg – das Erfolgsgeheimnis von Sevilla Wie ein Zweitligist in die europäische Spitze aufstieg
Von Florian Haupt
Den Eingang zum Estadio Ramon Sanchez Pizjuan ziert ein großes Mosaik mit dem Wappen des Sevilla Fútbol Club in der Mitte. Es ist aus Azulejos, den typisch andalusischen Kacheln, und es geleitet in ein Fußball-Universum, das erfolgreich ist; und doch so nah an seinen Wurzeln, wie sich das Fans nur wünschen können.
Oft scheint das heutzutage ja ein Widerspruch zu sein. Die großen Titel gewinnen die größten Budgets, so lautet normalerweise die Gleichung gerade in der von Oligarchenklubs, Scheichklubs, Werksklubs, Sponsorenklubs oder sonstigen Megaklubs dominierten Champions League. Deren kleinere Schwester allerdings, die Europa League, wurde jetzt zweimal in Folge und viermal in den letzten zehn Jahren von der regionalen Marke Sevilla gewonnen – die in einer touristisch attraktiven, aber wirtschaftlich so strukturschwachen Region beheimatet ist, dass die Mannschaft derzeit nicht mal Trikotwerbung auf der Brust spazieren führt.
Vorbild für viele andere Vereine
Als Europa-League-Sieger darf Sevilla dank einer Regeländerung nun zum vierten Mal in der Vereinsgeschichte in der Champions League mitspielen, wo es am Dienstag die Borussia aus Mönchengladbach (ab 20.30 Uhr im t-online.de Live-Ticker) empfängt. Die Spanier gehen als Favorit in die Partie, auch wenn sie mit zwei Punkten aus drei Spielen nur unwesentlich besser in die Saison gestartet sind als die noch punktlosen Gladbacher. Mit der internationalen Erfahrung, dem so akribischen wie leidenschaftlichen Trainer Unai Emery und einigen interessanten Neuverpflichtungen ist den Südspaniern auch die Qualifikation für das Achtelfinale zuzutrauen – zumal sich die vermeintliche "Todesgruppe" D bis auf Englands Tabellenführer Manchester City derzeit weniger schmerzlich präsentiert als erwartet: Auch Juventus Turin steckt mit einem Punkt aus drei Spielen in der Krise.
Sevilla mag nur regional eine Marke sein, hat aber längst europaweit ein Namen. Hinter dem Verein liegt eine Erfolgsgeschichte, die eng mit dem Namen von Ramon Rodriguez Verdejo verbunden ist, genannt "Monchi". Als der ehemalige Torhüter und Teambetreuer zu Jahrtausendbeginn das Amt als Sportdirektor übernahm, spielte der Klub in der zweiten Liga und war komplett pleite. Heute studieren zahllose Vereine seine Arbeit und fragen sich: Wie kriegt Monchi das immer wieder hin?
"Wir kommen, um zu bleiben"
Weil es nun mal kein sonderlich reicher Verein ist, aber auch keine sonderlichen Schulden machen will, verliert Sevilla jeden Sommer seine wichtigsten Spieler. Ein Auszug nur der letzten Jahre: Jesus Navas, Alvaro Negredo, Gary Medel, Geoffrey Kondogbia (2013); Ivan Rakitic, Alberto Moreno, Federico Fazio (2014); Carlos Bacca, Aleix Vidal (2015). Gesamteinnahmen in diesem Zeitraum rund 200 Millionen Euro, Gesamtausgaben nicht mal die Hälfte - und dennoch scheint das Team jeden Sommer besser zu werden. Vorige Spielzeit wurde nur um einen Punkt die Champions-League-Qualifikation über die Liga verpasst. Nun sind die Erwartungen eher noch höher. "Wir kommen in die Champions League, um zu bleiben", sagte Emery.
Neu im Kader kamen etwa für den Angriff der spanische Ex-Nationalspieler Fernando Llorente (ablösefrei von Juventus) und der von Borussia Dortmund ausgeliehene Ciro Immobile. Ob sie den für 30 Millionen Euro zum AC Mailand transferierten Bacca wirklich vergessen machen können, bleibt abzuwarten. Fest steht, dass sie eben auch viel weniger gekostet haben. Das ist der Modus Operandi in Sevilla. "Dieses Geschäftsmodell hat uns geholfen, zu wachsen", sagte Monchi. "Wir sind ein Verkaufsklub."
Alles beginnt mit dem Siegtor gegen Schalke
Was nach kühler Berechnung klingt, wird aufgewogen durch die Passion im Verein und auf den Rängen. So wie an jenem Apriltag 2006, als Antonio Puerta in der Verlängerung des Uefa-Cup-Halbfinals das Siegtor gegen Schalke 04 erzielte. "Dieses Tor hat das Leben dieses Klubs verändert", sagte Monchi, der damals aus privaten Gründen eigentlich den Verein verlassen wollte und es sich an jenem Abend anders überlegte. "Wir erreichten zum ersten Mal das Europacupfinale und nichts war je wieder, wie es vorher war."
In der damaligen Mannschaft stand etwa Dani Alves, den Monchi bis heute als seinen "idealen Transfer" bezeichnet. Der brasilianische Rechtsverteidiger kam 2003, jung und unbekannt, für 500.000 Euro aus der brasilianischen Provinz, spielte einige brillante Jahre und zog 2008 schließlich für 35 Millionen Euro zu Barcelona weiter. Ein exzellentes Geschäft für alle Seiten - ohne bitteren Beigeschmack. Die Fans in Sevilla sind realistisch genug zu wissen, dass Spieler irgendwann weiterziehen.
Auffangbecken für Gestrandete
Für Kontinuität und Identität sorgen das familiäre Lebensgefühl, die stets harte Spielweise - und die Treuereferenzen der Klubführung. Monchi, seit 1990 im Klub, bezeichnet sich dabei noch als den "kleinsten Sevillista: Ich bin ja dazugekommen". Alle Präsidenten der letzten Jahrzehnte, der Finanzdirektor, der Marketingleiter, der Chefjurist, seien hingegen als "Sevillistas" geboren worden. "Ich glaube, das ist eine Stärke. Wenn du fühlst, was du tust, strengst du dich doppelt an."
Seine eigene Abteilung gilt inzwischen als legendär für ihr gutes Scouting. Sie besteht aus 16 Mitarbeitern, die unter sich die Beobachtung aller auch nur halbwegs relevanten Fußball-Ligen der Welt aufteilen. Wenn der Trainer eine bestimmte Position mit einem bestimmten Spielerprofil verstärken will, steht innerhalb kürzester Zeit eine Namensliste zur Verfügung. Und wenn ein Spieler in den engeren Kreis kommt, dann wird auch die Persönlichkeit genau studiert. Den menschlichen Aspekt hält Monchi für besonders wichtig. "Wir verpflichten Spieler, aber sobald sie hier sind, gilt es, sich um die Personen zu kümmern". Das gelingt in der Regel so gut, dass sich Sevilla schon oft als Auffangbecken für anderswo gestrandete Karrieren erwiesen hat – die neuen Stürmer Llorente und Immobile sollen die nächsten in dieser Reihe werden.
Monchi: "Es ist, als würde ich jeden Tag im Lotto gewinnen"
Dennoch: nichts, was andere Vereine nicht auch tun könnten. "Das eine große Geheimnis gibt es nicht", sagte Monchi, der schon oft umworben wurde, vom FC Barcelona etwa, aber immer absagte. "Ich bin bei Sevilla glücklich vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Es ist, als würde ich jeden Tag im Lotto gewinnen."