"Ich will nur spielen" Mario Götze: Das Fragezeichen hinter dem Jahrhunderttalent
Von Thomas Tamberg
Wenn der FC Bayern München am dritten Spieltag der Champions League Viktoria Pilsen empfängt (ab 20.30 Uhr im Liveticker bei t-online.de), dann sitzt Mario Götze aller Voraussicht nach nur auf der Bank. "Ich weiß noch nicht, wie viele Minuten er spielen wird, ob von Anfang an oder in der zweiten Halbzeit", ließ sich Pep Guardiola auf der Pressekonferenz zwar alle Möglichkeiten offen, deutete aber an, dass der 21-Jährige trotz seiner Gala im Bundesligaspiel gegen Mainz zunächst nur Ersatzspieler sein wird.
"Er war lange verletzt", erinnerte der Bayern-Coach an den Trainingsrückstand des Ausnahmetalents, das in den nächsten Wochen allerdings immer stärker in den Fokus rücken dürfte. Und man darf gespannt sein, wie der Youngster damit zurechtkommen wird. Denn je mehr Götze auf dem Platz für Furore sorgt, desto heller strahlt das Rampenlicht auf hin. Doch dort scheint er sich nicht wirklich wohl zu fühlen. Nach seinem starken Auftritt beim 5:3-Sieg der Nationalmannschaft gegen Schweden, den er mit einem Treffer in den Winkel krönte, schlich er anschießend an den Journalisten vorbei, die vergeblich auf ein Statement des Stars warteten. "Tut mir leid", murmelte Götze und trabte mit hängendem Kopf davon.
Unsicherheit ist auffällig
Auch nach seinem überragenden Auftritt gegen Mainz, als er nach seiner Einwechslung zur Pause drei Treffer vorbereitete, schwieg Götze. Dafür gab er der klubeigenen Homepage ein Interview. Hier konnte er sicher sein, dass seine Antworten mehrfach geprüft wurden, bevor sie an die Öffentlichkeit drangen. Hier sagte er Sätze wie: "Ich möchte einfach nur Fußball spielen." Götzes Unsicherheit in der Öffentlichkeit ist allmählich auffällig.
Von Null auf Messis Ebene
Aber wer will es ihm verdenken. Die Unbekümmertheit, die er noch bei seinem Dortmunder Bundesliga-Debüt 2009 gegen den FSV Mainz an den Tag legte, ist dahin. Seitdem musste er von nahezu allen deutschen Fußballgrößen und Experten immer wieder hören, dass er ein Jahrhunderttalent sei. Spätestens nach seinem Treffer beim 3:2-Erfolg gegen Brasilien im August 2011, als ihm der Boulevard den Spitznamen "Götzinho" verpasste, wurde nur noch diskutiert, wann er Lionel Messi als Weltfußballer ablösen würde. Dass ein Spieler obendrein selbst merkt, dass er fußballerisch besser ist als seine Konkurrenten, ist ohnehin klar.
Das alles gilt es erst einmal zu verarbeiten und das in einem Alter, in dem man nicht gerade von spießiger Vernunft geleitet wird. Hier kommt es vor allem auf das Umfeld an. Vater Jürgen Götze ist Professor für Datentechnik an der Universität in Dortmund, Mutter Astrid kümmerte sich um Mario und seine beiden Brüder. Sie legten Wert darauf, dass ihr Sohn wenigstens das Fach-Abitur abschloss. Als Mario nach München ging, wechselte auch der auf den Tag genau zwei Jahre ältere Fabian Götze von der zweiten Mannschaft des VfL Bochum in den Süden zum Drittligisten SpVgg Unterhaching. Keine schlechte Idee. Die Brüder wohnen gemeinsam in einer WG und passen gegenseitig auf sich auf.
Die Schwierigkeit mit dem Hype umzugehen
Doch in einem knapp zwei Jahre zurückliegendem Interview mit dem "Spiegel" deutete Vater Götze bereits an, dass die Familien-Balance nicht so einfach zu halten sei, schließlich stand Fabian ebenfalls kurz vor einer großen Profikarriere, ehe Verletzungen ihn zurückwarfen. Man versuche "das andere, das mit Mario, nicht zu hoch zu hängen" und alles so "normal wie möglich" zu handhaben, sagte damals der Vater. Leicht sei das nicht. Und es ist gut möglich, dass auch die Familie von dem plötzlich einsetzenden Hype um ihren Sohn überrollt wurde.
Umso bedeutender ist die Rolle seines Spielerberaters. Im Fall von Götze heißt er Volker Struth, Geschäftsführer der Agentur SportsTotal. Zuletzt verfestigte sich nämlich der Eindruck, dass Götze in dieser Hinsicht schlecht beraten ist. So hinterließ die Art und Weise des Wechsels zum FC Bayern einen faden Beigeschmack - der Transfer kam für Fans und Verantwortliche wie aus heiterem Himmel. Sie fühlten sich hintergangen. Als sich Götze via Facebook von den BVB-Fans verabschieden wollte oder besser gesagt, als sich die Agentur, die offenbar in den meisten Fällen für den Profi die Facebook-Einträge schreibt, sich im Namen des Spielers verabschieden wollte, passierte ein folgenschwerer Patzer.
"Neues Kapital" aufschlagen
"Es ist mir wichtig auch an dieser Stelle noch mal ehrlich Danke zu sagen… DANKE Dortmund – DANKE BVB!", stand dort geschrieben. Und es wäre vielleicht sogar als nette Geste angesehen worden, wenn nicht folgender Satz vorangestanden hätte. "Mein Urlaub neigt sich dem Ende und ein neues Kapital in meiner Karriere steht vor mir". Kapital statt Kapitel im Zusammenhang mit einem Wechsel zum FC Bayern, klar, dass dieser Fehler viele Fans auf die Palme brachte und für jede Menge Häme und Spott sorgten.
Mit seiner letzten Aktion in Richtung BVB verließ er endgültig verbrannte Erde in Dortmund. Und mit seiner ersten Aktion in München sorgte er gleich bei den Bayern-Fans nur für ungläubiges Kopfschütteln, als er mit einem T-Shirt seines amerikanischen Ausrüsters zur Präsentation antrat, anstatt in Adidas-Klamotten. Das gleiche wiederholte er wenige Monate später bei der Nationalmannschaft. "Er sollte sich da nicht missbrauchen lassen", gab ihm Bayerns Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge kürzlich mit auf den Weg.
Welche Ziele verfolgt der Berater?
Hier wäre Berater Struth gefragt. Doch welche Ziele verfolgt er wirklich mit Götze? Struth ist ein Selfmade-Mann par exellence. Er gründete ein Büromaterial-Unternehmen und führte es unter die Top-Ten in Deutschland, anschließend gründete er eine Eventagentur, erfand den Motto-Schal, organisierte das Oktoberfest in Köln, während der WM 2006 ließ er Autofahnen in Asien herstellen und verkaufte sie hier millionenfach. Erst dann stieg er ins Berater-Geschäft ein und startete auch hier durch. Sein Freund Rainer Calmund half ihm dabei. Er setzte auf junge Talente. Mittlerweile betreut er mit seiner Agentur neben Götze Spieler wie Toni Kroos, Benedikt Höwedes, Sidney Sam oder auch Marco Reus.
Struths Motto lautet: "Die Schnellen fressen die Langsamen". Er hat einen Riecher fürs Geschäft. Mit Vater Götze gründete er 2011 die "Götze Marketing GmbH". Ein kluger Schachzug. So dürfte er seinen "Königstreffer", wie er Mario Götze bezeichnet, nicht so schnell an einen anderen Spielerberater verlieren. Zwei Tage nach der Gründung sickerte durch, dass Mario Götze seinen Vertrag mit Nike bis 2022 verlängert hat und angeblich 15 Millionen Euro dafür kassieren soll.
Umlagert wie ein Popstar
Struth ist ein exzellenter Geschäftsmann, aber kein Fußballfachmann. Daher drängt sich die Frage auf: Was steht bei Mario Götze im Vordergrund? Das Sportliche oder das Geschäftliche? Aktuell scheint Letzteres im Fokus zu stehen. Und so wird weiter am Image des Youngsters gefeilt. Ein Werbespot für eine Automarke zeigt ihn in einem Boxring und soll an Film-Legende James Dean erinnern. Götze selbst, umlagert wie ein Popstar, gibt sich obendrein wie einer. Augenbrauen gezupft, Kettchen an der richtigen Stelle, möglichst cool wirkend und sehr aufs Äußere bedacht. Das ist zwar für einen 21-Jährigen das Normalste von der Welt, doch all das zusammen sorgt dafür, dass Götze immer mehr als arroganter Schnösel wahrgenommen wird.
Aber das ist er keinesfalls. Er wirkt in seiner neuen Umgebung eher wie ein unsicherer, nachdenklicher Mensch, der aus dieser Unsicherheit heraus alle beruflichen Entscheidungen seinem Berater überlässt. Bleibt zu hoffen, dass der Spagat zwischen dem Image, das Götze bedienen soll, und seiner wahren Persönlichkeit nicht so groß wird, dass irgendwann eine Sehne reißt. Seine Aussage, "ich möchte einfach nur Fußball spielen", bekommt vor diesem Hintergrund tatsächlich eine tiefere Bedeutung.
Guardiola äußert sich kryptisch
Einzig auf dem Rasen ist Götze der Bestimmer. Hier macht ihm keiner etwas vor. Interessant ist dabei die Art und Weise wie Coach Guardiola über Götze spricht. Er lobt ihn zwar dafür, dass er auf engstem Raum und in kürzester Zeit die richtigen Entscheidungen trifft, ansonsten hält sich der Spanier öffentlich auffällig zurück.
Während er von anderen Spielern fast schon übertrieben schwärmt, wählte Guardiola vor dem Spiel gegen Pilsen ausgerechnet bei Götze, der unbestritten die größte fußballerische Veranlagung von allen Spielern im Bayern-Kader mitbringt, eine neue Beschreibung. Mario sei ein "spezieller Spieler", sagte Guardiola und benutzte ein Wort, dass viel Interpretationsspielraum zulässt.