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Tumulte auf der JHV: Wie ein tiefer Graben den FC Bayern durchzieht


Tumulte bei Hauptversammlung
Wie ein tiefer Graben den FC Bayern durchzieht


Aktualisiert am 26.11.2021Lesedauer: 4 Min.
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Auf der Jahreshauptversammlung erntet Präsident Herbert Hainer beim Thema Katar Pfiffe und Buhrufe. (Quelle: sid)

Die Jahreshauptversammlung des FC Bayern endet in einem wilden Tumult der Ultras. Uli Hoeneß ist geschockt, Präsident Herbert Hainer überfordert. Erlebnisbericht eines denkwürdigen Abends in München.

Es ist bitterkalt. Münchner Westen. Rudi-Sedlmayer-Halle, erbaut für Olympia 1972, mit rustikalen Sitzschalen in Orange. Hier steigt am Donnerstagabend die Jahreshauptversammlung des FC Bayern. Auch drinnen ist es kalt, die Lüftung läuft wegen Corona auf Hochtouren. Trotzdem soll es schon bald hitzig werden. Rund um die Imbisse haben sich viele Ultras versammelt.


Es gibt Pizzaschnitten mit Schinken oder Salami. Und nur ein Gesprächsthema. Nein, es geht ausnahmsweise nicht um den ungeimpften Joshua Kimmich, der nach einem positiven Corona-Test seine Quarantäne nahtlos fortsetzen muss. Die meisten Fans reden über den "Katar-Antrag" von Mitglied Michael Ott.

Dessen Angaben zufolge eingereicht am 26. Oktober. Beantwortet vom FC Bayern? Angeblich nie. Ott und seine Mitstreiter wollen darüber abstimmen lassen, dass ihr Klub den Sponsorenvertrag mit Qatar Airways nicht verlängert. Einem Staatsunternehmen des Emirats Katar, dem im Zusammenhang mit der Fußball-WM 2022 Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden.

Strenge Corona-Regeln, hitzige Stimmung

293.000 Mitglieder zählt der Bundesliga-Riese, knapp 800 sind unter strengen Covid-Regeln (2G und Maskenpflicht) gekommen. Den Großteil bilden junge Frauen und Männer in Kapuzenpullis. Es sind mutmaßlich jene, die in der "Südkurve" stehen, die, die zu den Auswärtsspielen mitfahren. Präsidium und Vorstand – im feinen Zwirn und mit roter Krawatte – versuchen zu beschwichtigen. Ehrenpräsident Uli Hoeneß wird hinterher sagen: "Es war die schlimmste Veranstaltung, die ich je bei Bayern erlebt habe."

Zum Anfang läuft der Song von Gerd Müller ("Dann macht es bumm"), parallel wird eine Video-Hommage an den verstorbenen "Bomber der Nation" eingespielt. "Eine Legende!", ruft ein Fan. Stolz wird die Titelsammlung präsentiert – elf Trophäen. Eine Meisterschale bringt Leroy Sané. Er ist nach einer Stunde wieder weg. Dann betritt der Mann das Rednerpult, dem die pure Wut Hunderter Ultras entgegenschlagen wird: FCB-Präsident Herbert Hainer. Er beginnt zu sprechen. Zu hören ist – nichts. Das Mikrofon ist nicht angeschaltet. Es sind böse Vorboten.

Herbert Hainer von Ultras scharf kritisiert

"Es ist nicht in Ordnung, unseren Joshua Kimmich an den Pranger zu stellen", sagt der Niederbayer, nachdem er wenige Sequenzen zuvor emotional für das Impfen warb. Der 67-jährige Hainer witzelt über den Stadtrivalen TSV 1860 München. "Vergangene Woche haben wir unsere Allianz Arena in Blau beleuchtet", sagt er und meint zu Buhrufen: "Ich weiß, das geht gar nicht. Aber es sind die Farben der Unicef."

Plötzlich wird es ernst. "Ich möchte das Thema Katar nicht ausklammern. Wir als Verein stellen uns jedem Diskurs", meint der Vereinschef. Heftiger Protest von den Rängen. Als das Präsidium entlastet werden soll, häufen sich die Unmutsäußerungen. Entlastet wird trotzdem. Oliver Kahn ist an der Reihe. Es wird still. Alle hören dem neuen Vorstandschef der AG gebannt zu, der die "Investoren-Klubs" aus England kritisiert, die "in die tiefen Taschen ihrer Investoren" greifen. Auch diese Attacke wird zur Randnotiz.

Mehr als drei Stunden sind vergangen, als zuerst Mitglied Robin Feinauer einen Antrag einreicht. "Der Klub bekennt sich zum Respekt gegenüber allen international anerkannten Menschenrechten", soll in die Satzung aufgenommen werden. Kahn lehnt Boss-like in seinem Stuhl und hört sich alles aufmerksam an.

Fan Michael Ott gegen Münchner Chefs

Auch, als Fan Ott die Bühne betritt und Katar als "Verbrecherstaat" bezeichnet. Er bringt einen sogenannten Spontanantrag ein, nachdem das Amtsgericht München I tags zuvor eine einstweilige Verfügung abgelehnt hatte. Ott fordert, den bis 2023 datierenden Sponsoringvertrag mit Katar auslaufen zu lassen. Es wird hitzig. Prof. Dr. Dieter Mayer ergreift das Wort, Notar und 1. Vizepräsident: "Ich weiß schon, dass ich heute nicht der Liebling des Abends werde", sagt er und verweist auf die Entscheidung des Amtsgerichts. Wieder wilde Proteste.

Ott, ein schmächtiger junger Mann mit Brille, wirft dem Präsidium "undemokratische" und "abschreckende" Hürden für Anträge vor. Mayer attackiert Ott für "fleißige Interviews" und zieht einen kuriosen Vergleich. Er wolle nicht vor lauter Anträgen, "dass wir am Schluss im blau-weißen Trikot (TSV 1860 München, d. Red.) spielen". Polemik? Einer jungen Frau mit Stirnband reicht es. Sie steht auf, schreit: "Das Problem ist, dass Ihnen die Menschenrechte scheißegal sind." Während der Abstimmung wird, etwas unwirklich, Lounge-Musik eingespielt. Das Präsidium bietet einen deutlich entschärften Kompromiss an. 268 Mitglieder sind dafür, 503 dagegen – abgelehnt. Jubel auf den Rängen. Kahn lehnt noch immer in seinem Stuhl.

Aufmerksam hört auch FCB-Coach Julian Nagelsmann zu, der in grauem Anzug in der ersten Reihe sitzt. Hainer wird nervös. Als in einem weiteren Antrag darüber abgestimmt wird, der Verein müsse statt 70 verbindlich 75 Prozent an der Profi-AG halten, greift der Präsident versehentlich zu seiner Abstimmungskarte. Er merkt es im letzten Moment. "Danke, Herbert", ruft ein Fan. Die erforderliche Dreiviertelmehrheit wird nicht erreicht. Markant: Wäre der Antrag vor der JHV in die Tagesordnung aufgenommen worden, hätte er die in diesem Fall erforderliche Mehrheit von 50 Prozent erreicht.

Nagelsmann und Hoeneß bleiben trotz Tumult

Die Anträge, wonach der Verein die Anerkennung der Menschenrechte nach den Kriterien der Vereinten Nationen aufnehmen soll, werden von der Versammlung dagegen mit großer Mehrheit (77,87 %) angenommen. "Oleeeee, oleeeee, FC Bayern, oleeee, oleeee", skandieren die Ultras. Als der Präsident um 0.17 Uhr die Versammlung beendet, eskaliert die Lage. Ultras stürmen Richtung Bühne. Es dürften mehr als 200 sein, als ein Wortführer das Präsidium anprangert, das von Securitys aus dem Saal gebracht wird.

Vier Polizisten kommen, viel zu wenige. Patron Hoeneß bleibt, hört sich die Kritik an. Ebenso Trainer Nagelsmann, der an einem Ausgang stehen bleibt. Sie alle haben an diesem denkwürdigen Abend einen tiefen Graben zwischen organisierten Fans und Klub-Führung gesehen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen vor Ort
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