Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Sündenbock Leroy Sané "Die Kritik trifft den Falschen und bewirkt nur eines"
Die Fußballwelt ist sich einig: Nationalspieler Leroy Sané ist ein Ausnahmekönner. Die Kritik an ihm wird trotzdem immer größer. Weshalb kann er sein Potenzial nur so selten abrufen?
Die EM sollte sein endgültiger Durchbruch werden. Doch die Zweifel an Leroy Sané werden immer größer. "Er bringt Deutschland nicht weiter", behauptete Rekordnationalspieler Lothar Matthäus. "Er ruft sein Potenzial viel zu selten ab", sagte Michael Ballack. "Löw darf Sané in dieser Form nicht mehr von Beginn an aufstellen", forderte Stefan Effenberg in seiner Kolumne für t-online.
Das eine ist die sachliche Kritik, das andere sind Aussagen wie von Mehmet Scholl bei "Bild", Sané habe wie ein "Gag" gespielt und sei in der Berichterstattung der vergangenen Monate der "Running Gag".
Fakt ist: Nach zwei Kurzeinsätzen und einem ganz schwachen Auftritt gegen Ungarn werden die Zweifel an Sané immer größer. Sein Potenzial ist unbestritten. Er kann in der Offensive Lösungen finden, wo es eigentlich keine gibt. Aber: Der 25-Jährige ist auch labil, seine Körpersprache zweifelhaft. Schnell wird ihm Lustlosigkeit und Arroganz vorgeworfen.
Zu Unrecht, wie Matthias Sammer findet. Sané sei noch "in einem Entwicklungsprozess", sagte der Europameister von 1996 vor EM-Start: "Soll jetzt Leroy Sane bei Bayern München oder in der Nationalmannschaft Führungsspieler werden? Das ist doch die falsche Denkweise."
Ist die Kritik an Nationalspieler Leroy Sané übertrieben?
Ja, Kritik und Pfiffe bewirken nur eines
Die Nationalelf hat sich durch die EM-Vorrunde geduselt und um ein Haar blamiert. Schuld daran ist aber nur einer: Der 25-jährige Leroy Sané. Diesen Eindruck gewinnt, wer die Meinungen der Experten liest und die Pfiffe der Fans hört. Wohlgemerkt der eigenen. Das alles ist nicht nur übertrieben. Es trifft auch den Falschen.
Hat Löw nichts gelernt, wenn er noch heute den uneffektiven Ballbesitzfußball von 2018 spielen lässt? Warum haben wir keinen echten Mittelstürmer? Warum spielen Gündogan und Kroos nicht so gut wie bei ihren Klubs? Was ist eigentlich mit Gnabry los, der bisher an keinem Tor beteiligt war? Diese Fragen sind doch eigentlich viel spannender.
Stattdessen haben sich alle auf Sané eingeschossen. Auf das schlampige Genie, das nicht nach hinten arbeitet – und sich mit seinen extravaganten Outfits gut als Zielscheibe eignet.
Dabei ist es doch ganz einfach: Sané braucht für sein Spiel Selbstvertrauen und dafür das Vertrauen des Trainers. 2019 hat Löw ihn viermal in Folge über 90 Minuten spielen lassen. Ergebnis: Drei Tore, ein Assist. Heute ist Sané Lückenbüßer.
Kritik und Pfiffe bewirken letztlich nur eines: Sein Selbstbewusstsein sinkt und Sané ist womöglich auch gegen England keine große Hilfe.
Nein, jede Kritik an ihm ist berechtigt
Leroy Sané soll ein Unterschiedsspieler sein. Macht aber keinen Unterschied. Jede Kritik an ihm ist berechtigt. Solange sie sachlich bleibt. Gegen Ungarn stand er bei der EM erstmals in der Startelf. Aber es gelang ihm nichts. Offensiv blieb er blass, defensiv spielte er auf einem ähnlich schwachen Niveau, sah unter anderem beim zweiten Gegentor nicht gut aus. Die Folge: Während des Spiels wurde er von den eigenen Fans auf der Tribüne ausgepfiffen. Und das in seinem Heimstadion in München.
Das Problem mit Sané: Jeder in Deutschland weiß, was er fußballerisch eigentlich draufhat. Alle warten seit Jahren auf seine Leistungsexplosion. Denn man weiß, dass er es sein könnte, der die Nationalmannschaft in eine erfolgreiche sportliche Zukunft führt. Aber das gelingt Sané nicht. Und der angestaute Frust bei den Anhängern wird immer größer. Sané bekommt Chance um Chance, kann diese aber nie nutzen.
Man erinnert sich maximal an eine Handvoll Partien von ihm für die Nationalmannschaft, in denen er nicht enttäuschte. Das ist zu wenig. Ist er vielleicht gar kein Unterschiedsspieler?
Nun ist der Zeitpunkt gekommen, um zu akzeptieren, dass Sané einfach nur ein normaler Fußballprofi ist – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Nicht jeder kann ein Lewandowski, Ronaldo oder Messi werden.
Wer hat recht?
Im "Zweikampf der Woche" kommentieren wöchentlich Florian Wichert (Stellvertretender Chefredakteur bei t-online) und Robert Hiersemann (Head of Fußball und Sport) aktuelle Fußballthemen.
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