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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Weiser über Social Media Harte Kritik von Bundesligaprofi: "Dreiste Lügen werden als Fakten verkauft"
Leverkusens Mitchell Weiser spricht im Interview mit t-online.de über seine vegane Ernährung, seinen Einsatz für Nachhaltigkeit und die Probleme, welche Falschmeldungen in den Sozialen Medien mit sich bringen.
Seit dem Jahr 2018 spielt Mitchell Weiser für Bayer Leverkusen. Diese Saison lief für den Verteidiger bisher noch nicht optimal. Kurz vor der Winterpause erlitt er einen Bänderriss im Sprunggelenk. Nun ist er wieder dabei, seine Top-Form zu finden.
Im Interview mit t-online.de spricht der 25-Jährige über seine Zeit in der Reha, seinen verlorenen Stammplatz und gibt private Einblicke. Nicht nur in sein Leben als Veganer, sondern auch über sein Engagement für mehr Nachhaltigkeit.
t-online.de: Herr Weiser, Sie fehlten zuletzt wegen einen Bänderrisses, konnten gegen Paderborn aber wieder einige Minuten spielen. Wie geht es Ihnen heute?
Mitchell Weiser: Ich habe nicht so lange gespielt, aber es war wichtig, um auf Bundesliganiveau wieder ein paar Minuten sammeln zu können. Meinem Fuß geht es ganz gut, auch wenn noch nicht alles wie zu der Zeit vor der Verletzung ist. Bei einhundert Prozent bin ich noch nicht.
Wie wichtig sind Ihnen Einsatzminuten, wie zuletzt?
Für den Kopf ist das sehr wichtig. Ich will immer spielen. Auf der Tribüne zu sitzen mag ich nicht so gerne. Wenn ich die Jungs spielen sehe, bekomme ich auch große Lust mitzuspielen. Auf der Tribüne bin ich Fan. Wenn ich spiele, bin ich aufgeregt, aber nicht nervös. Vor dem Fernseher bei Auswärtsspielen ist das ähnlich. Wenn ich jedoch vor Ort dabei bin, gibt mir die Mannschaft Kraft und Ruhe.
Wie haben Sie sich während der Verletzungszeit motiviert?
Weil wir unsere Reha oben in der BayArena absolvieren, war ich trotzdem nah an der Mannschaft dran. Ich brauche das auch. Deswegen spiele ich auch Fußball. Das Schönste am Fußball ist die Zeit mit der Mannschaft. Vor allem, wenn man sich gut mit den Teamkollegen versteht.
Sie gehen offen damit um, dass Sie vegan leben. Seit wann machen Sie das und was waren Ihre Beweggründe?
Ich hatte zu meiner Zeit bei der Hertha in Berlin ein halbes Jahr lang Muskelprobleme. Erst waren es nur kleine Probleme, dann war es ein Faserriss, danach folgte die nächste Muskelverletzung an derselben Stelle. Ich habe vieles versucht, beispielsweise die Statik meines Körpers prüfen lassen, aber ich wurde die Probleme nicht los. Dann habe ich die vegane Ernährung ausprobiert. Seitdem fühle ich mich besser. Beim Sport, aber auch allgemein nach dem Essen. Ich ziehe das durch und habe auf dem Weg mehr zu dem Thema erfahren. Für mich ist es undenkbar, mich noch einmal anders zu ernähren.
Haben Sie das auch kommuniziert, als Sie nach Leverkusen gekommen sind?
Ich habe das in Leverkusen gleich angesprochen, das war mir wichtig. In Berlin wurde darauf nicht so viel Rücksicht genommen. Die Verantwortlichen von Bayer 04 haben mir damals gesagt, dass das kein Problem sei. Es ist immer etwas für mich da und so abwechslungsreich, wie es eben geht. Ich koche nicht selbst, aber ich kann das gut einschätzen, wenn es beispielsweise bei Auswärtsfahrten etwas schwieriger ist. Die anderen essen die veganen Speisen mittlerweile auch.
Haben Sie jemanden von den Jungs damit "angesteckt"?
Ein bisschen hat das schon geklappt, aber die Jungs sind noch zu schwach, um das konsequent durchzuziehen (lacht). Spieler wie Karim (Bellarabi, Anm. d. Red.) und Jonathan (Tah, Anm. d. Red.) ernähren sich bereits bewusster. Die beiden haben es auch zwei Wochen durchgehalten, komplett vegan zu leben. Über Weihnachten sind sie etwas rückfällig geworden. Sie merken aber selbst, dass es ihnen gut tut.
Worin liegt Ihrer Meinung nach die größte Herausforderung?
Wir sind mit einer anderen Esskultur aufgewachsen. Man hat bisher nicht genug darüber nachgedacht. Vor allem im Sport herrscht das konservative Bild vor, dass man viel Fleisch essen soll, um stark zu sein. Das ist in den meisten Köpfen drin. Um sich davon zu lösen, muss man voll davon überzeugt sein. Wenn das nicht der Fall ist, ist es schwer. Dass übertriebener Fleischkonsum nicht gut ist, wissen mittlerweile alle.
Welche Vorteile bietet Ihnen die Ernährung?
Seitdem habe ich keine muskulären Problemen mehr gehabt. Der Bänderriss jetzt war Pech, Folge eines Zweikampfes. Seit meiner Ernährungsumstellung hatte ich keine muskuläre Verletzung mehr. Ich regeneriere viel schneller, bin nicht so kaputt. Wenn man englische Wochen spielt, ist das besonders wertvoll. Ich bin auch keine 20 mehr und muss daher auf Regeneration mehr Wert legen.
Haben Sie das Gefühl, dass man als Fußballer heutzutage mehr Wert auf Achtsamkeit und Nachhaltigkeit legen muss als früher?
Nicht nur als Fußballer. Ich finde es allgemein wichtig. Jeder muss verstehen, dass wir in ein Zeitalter reingeboren sind, in dem vieles im Überfluss vorhanden ist. Wenn man ältere Menschen fragt, dann bestätigen sie, dass es viele Dinge in dieser Menge früher nicht gegeben hat. Für mich ist das Ziel, Schüler und Kinder für das Thema Nachhaltigkeit zu sensibilisieren.
Sehen Sie sich in der Vorbildfunktion?
Ich möchte kein klassisches Vorbild sein. Aber ich denke, es ist wichtig, dass man zu hören bekommt, dass es auch anders geht. Man wird nur stark, wenn man Milch trinkt, weil das gut für die Knochen sein soll: So ein Blödsinn. Das habe ich selbst auch zu hören bekommen. Im Endeffekt sind das Floskeln, die wenig mit der Realität zu tun haben. Es ist nicht so schwer, seine Ernährung umzustellen, das versuche ich zu vermitteln.
Was haben Sie für konkrete Pläne?
Ich möchte gezielt in Schulen gehen und mit Kindern reden. Auch der richtige Umgang mit Social Media liegt mir am Herzen. Dreiste Lügen werden als Fakten verkauft. Ich sehe das auch bei meinem 14-jährigen Bruder, er schenkt den Dingen Glauben, die auf Social Media stehen. Das ist gefährlich.
Glauben Sie, es kann etwas verändert werden in Bezug auf Fake-News in sozialen Netzwerken?
Ich glaube, das ist schwer. Social Media wird weiterhin eine wichtige Rolle in der Mediennutzung von jungen Menschen spielen. Man sollte jedoch den persönlichen Kontakt nicht vernachlässigen. Sich direkt auszutauschen, ist in meinen Augen viel wertvoller. Das versuche ich auch selbst zu beherzigen.
Wollen Sie auch das Image des Fußballers verändern?
Das ist einfacher gesagt als getan. Es ist verführerisch, sich auf den Plattformen mitzuteilen, wenn man zu den Profis hochkommt und Geld verdient. Leute reagieren darauf, was du postest. Viele nutzen das für ihre Selbstdarstellung und um zu zeigen, was sie alles haben. Es gibt aber auch Spieler, die das anders machen. Ich war früher auch so, habe mich aber geändert. Ich nutze Social Media inzwischen nicht mehr zur Selbstdarstellung, sondern mehr dazu auf Themen hinzuweisen, die mir wichtig sind.
Was hält Sie persönlich am Boden?
In erster Linie übernehme ich das selbst. Ich reflektiere sehr genau, was ich tue und wie das ankommt. Dabei ist meine Entwicklung noch nicht abgeschlossen, ich kann noch so viel dazulernen. Ich will nicht nur zeigen, was ich habe. Das ist nicht das Coole daran, Fußballer zu sein. Sondern im Stadion zu spielen. Das ist das, wovon ich als Kind geträumt habe. Nicht davon, welche Klamotten ich trage und welche Autos ich fahre. Ich bin sehr froh, dass ich das Tag für Tag machen darf. Die Leute, die mir auf Social Media folgen, versuche ich eher darüber aufzuklären, dass man nicht den klassischen Fleischkonsum braucht, auch mit Rücksicht auf die Umwelt.
Leben Sie dann privat nicht nur vegan, sondern generell nachhaltig?
Ich arbeite daran, noch mehr zu machen. Bis vor zwei Jahren habe ich sehr viel geshoppt und viele Klamotten gekauft. Inzwischen habe ich das reduziert. Ich versuche auch gerade beim Auto auf ein Elektro-Fahrzeug umzusteigen. Alles geht nicht von heute auf morgen, aber das sind kleine Schritte, die ich gehen möchte.
Haben Sie jemanden, der das mit Ihnen zusammen macht?
Ich habe meine Freundin auch damit angesteckt. Ich will auch gar kein Besserwisser sein, aber das Thema kommt meist automatisch auf. Wenn man zum Beispiel mit Freunden etwas essen gehen möchte oder etwas unternehmen will. Ich habe damit schon einige Leute zum Nachdenken angeregt. Sie leben nicht komplett vegan, aber bewusster. Es ist wichtig, sich zu verändern. Mich haben Filme zum Nachdenken angeregt. Vor allem Dokus über Massentierhaltung. Als ich das gesehen habe, dachte ich: ich kann das nicht mehr unterstützen. Ich werbe zum Beispiel dafür, auf Fast-Food zu verzichten.
Warum glauben Sie, wird Veganismus und Nachhaltigkeit auch im Fußball immer wichtiger?
In Deutschland stehen Fußballer stark in der Öffentlichkeit. Ihnen wird zugehört. Themen wie das Vermeiden von Plastik-Müll werden immer präsenter. Auch in Supermärkten findet man zusehends mehr vegane Produkte. Das zeigt, dass wir auf einem guten Weg sind.
Tauschen Sie sich auch mit Spielern aus anderen Vereinen aus, die sich vegan ernähren und für Nachhaltigkeit einstehen?
Ein sehr guter Freund von mir, Yannick Gerhardt, ist auch Veganer. Ich habe mich gerade am Anfang mit ihm viel darüber unterhalten. Auch mit Serge Gnabry habe ich ab und zu über das Thema geredet. Ich habe den Eindruck, dass mehr und mehr Spieler dafür offen sind. Man braucht allerdings Selbstbewusstsein, um das durchzuziehen. Und wahrscheinlich viele positive Beispiele, an denen sich dann andere orientieren.
Mussten Sie sich viele Sprüche anhören?
Ich war schon immer selbstbewusst. Es kamen Sprüche, und es kommen immer noch Sprüche. Ich reagiere mittlerweile gar nicht mehr darauf. Mich stört das nicht. Wenn jemand jedoch ernsthaft darüber diskutieren möchte, dann stehe ich immer zur Verfügung.
Sie können sich also auch nicht vorstellen, nach dem Karriereende wieder Fleisch zu essen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dann wieder Fleisch zu essen. Für mich ist das eine Lebenseinstellung.
Sollte es Ihrer Meinung nach im Stadion mehr vegane Angebote geben?
Natürlich, man sollte den Leuten Optionen geben. Es gibt genügend Ersatzmöglichkeiten, die auch gut schmecken. Vegetarische Essensangebote gibt es ja bereits. Es kommt langsam.
Apropos, Sie haben vorher gesagt, dass ihre Verletzung noch nicht ausgeheilt ist. Sie brauchen auf dem Platz auch noch etwas Zeit, momentan liegt lhr Team auf dem sechsten Tabellenplatz. Was glauben Sie ist in dieser Saison noch möglich?
Die Champions League ist auf jeden Fall drin und das ist auch unser Anspruch. Ich bin sicher, dass wir das schaffen werden. Wir haben einen guten Start hingelegt, aber wir müssen konstanter spielen. Das war das, was uns in der Hinrunde Punkte gekostet hat, gerade gegen vermeintlich schwächere Gegner. Ich hoffe, wir haben daraus gelernt. Die Mannschaft weiß, dass wir uns steigern müssen im Vergleich zur Hinrunde. Für mich ist Bayer 04 ein Champions-League-Verein, das muss jede Saison unser Ziel sein. Wir sind gut dabei.
Möchten Sie mit Bayer in den nächsten Jahren die Deutsche Meisterschaft gewinnen?
Man hat nicht immer die Möglichkeit, das offensiv zu formulieren, aber natürlich will man als Profi-Fußballer auch Titel gewinnen. Ich denke, dass der Verein das in sich hat. Aber wir sind eine Mannschaft in einer Entwicklung. Wir sind keine Top-Mannschaft, aber eine sehr gute Mannschaft. Man braucht Konstanz, das habe ich bei Bayern gesehen, sie sind immer sehr fokussiert. Sie liefern auf dem Punkt ab. Das lernt man nicht von heute auf morgen. Seit ich bei Bayer 04 bin ist die Mannschaft in großen Teilen zusammengeblieben, wir haben zwei, drei gute Spieler bekommen. Vom Gefühl her haben wir durchaus die Qualität ganz oben mitzuspielen.
Was hat Bayer Leverkusen, was Bayern München nicht hat?
Das Familiäre, es geht persönlicher zu. Das brauche ich zum Beispiel und das finde ich sehr gut hier. Wenn ich in die Kabine komme, haben wir bei aller Ernsthaftigkeit auch immer Spaß. Das ist wichtig. Auch, dass jeder mit jedem kann. Das ist hier gegeben.
Was sind Ihre persönlichen Ziele?
Ich möchte so schnell wie möglich zu hundert Prozent fit werden. Ich möchte mir meinen Stammplatz zurückerkämpfen, den ich durch die Verletzung verloren habe. Der Trainer hat im Trainingslager mit jedem Spieler gesprochen, das ist sehr gut und das macht auch nicht jeder Trainer. Bei mir war noch nicht alles perfekt, aber mit Einsätzen, so wie gegen Paderborn, kommt das Gefühl nach und nach zurück. Ich fühle mich schon besser als letzte Woche. Vom Gefühl her kann ich nächste Woche schon wieder bei hundert Prozent sein und hoffe, dass ich im Verlauf der Rückrunde auf meine Einsätze komme.