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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Trennungsgerüchte Die Causa Thomas Müller: Verliert der FC Bayern sein "Mia san mia"?
Mitten in der Länderspielpause polarisiert die Personalie Thomas Müller. Der Weltmeister erwägt, München zu verlassen. Auch der Abschied von Uli Hoeneß steht unmittelbar bevor. Ringt der FC Bayern um seine Identität? Zwei Ex-Spieler machen den Fans Hoffnung. Ein Einblick in den bayerischen Kosmos.
Der Volksmund sagt, dass südlich von München, in der Voralpenidylle zwischen Tegernsee, Starnberger See und Schliersee die Seele Bayerns zuhause sei. Die Gemeinde Otterfing, keine 5.000 Einwohner groß, liegt genau in der Mitte dieser bayerischen Herzkammer.
Thomas Müller beim FC Bayern vor Abschied?
Schon vor Jahren ließ sich Weltmeister Thomas Müller dort nieder, kaufte seiner Frau Lisa ein Pferdegestüt. Hier, 30 Kilometer südlich von München, wo ur-bayerische Chalet-Häuser und volkstümliche Maibäume das Dorfbild prägen. Gerade weit genug weg vom Trubel der Millionenstadt, die Müllers fußballerische Heimat ist.
Müller liebt Bayern, und die Bayern lieben Müller. Wie ein Paukenschlag brach da die Meldung der "Sport Bild" über dem Kosmos des Rekordmeisters herein, der 30-Jährige wolle den Klub schon im Winter verlassen. Zuerst Bastian Schweinsteiger, dann Philipp Lahm, bald Uli Hoeneß, und dann auch noch Thomas Müller?
Verliert der FC Bayern gerade seine bayerische Identität? t-online.de wagt eine Einordnung – und lässt Fans zu Wort kommen.
Thomas Müller: Die Bayern-Fans lieben ihn
Es waren Sätze, die den Bayern-Kosmos tief erschüttert haben. "In den vergangenen fünf Spielen war ein Trend zu erkennen, der mich nicht glücklich macht. Wenn das Trainerteam mich in Zukunft nur noch in der Rolle des Ersatzspielers sieht, muss ich mir meine Gedanken machen. Ich habe diese Entwicklung so nicht erwartet", teilte Müller seinem Trainer Niko Kovac via "Kicker" mit.
Wenig charmant hatte der kroatische Coach seinen Offensivallrounder zuvor für verzichtbar erklärt. "Wenn Not am Mann sein sollte, wird er mit Sicherheit auch seine Minuten bekommen", hatte Kovac im Rahmen des 1:2 gegen 1899 Hoffenheim bei Sky gesagt. Nach dem Spiel, in der Mixed Zone, versuchte Hasan Salihamidzic noch zu retten, was nicht mehr zu retten war. Der Sportdirektor referierte, dass Kovac eben "eine Grundformation" wolle.
- Müller-Abgang? Das sagt Joshua Kimmich
Die Bayern-Fans halten zu ihrer Identifikationsfigur. "Ich bin im Glauben an den FC Bayern großgezogen worden", erzählt Michael Grantner t-online.de: "Es wäre schwer vorstellbar, ihn (Thomas Müller, Anm. d. Red.) in einem anderen Trikot zu sehen. Er ist ein Ur-Bayer." Der 19-jährige Student aus Passau fährt mit dem Fanklub "Neuhof '94'" so oft es geht aus Niederbayern in die Allianz Arena und schaut sich die Heimspiele im Epizentrum der bayerischen Fanseele an – der Südkurve.
FC Bayern: Klarer Auftrag an Hoeneß und Rummenigge
"Für viele bei uns im Fanclub wäre es ein großer Verlust, weil der Name Müller mit dem FC Bayern fast gleichzusetzen ist", meint indes Gerhard Stadler, der Vorsitzende des "FCB Fanklub Floss e.V." und bezeichnet Kovacs Notnagel-Aussage als "blöde Äußerung".
"Er ist der letzte Spieler, bei dem man sagt, er kommt aus dem FC Bayern München. Ihn verbindet man mit dem Mia san mia", erklärt Stadler t-online.de und sagt: "Der FC Bayern ohne Müller? Ich kann und will das nicht glauben. Das ist eine Illusion!" Und trotzdem sportlich vertretbar? "Für mich würde der FC Bayern nicht seine Identität verlieren, eher einen Sympathieträger", sagt Andreas Peters, Bayern-Fan seit 1990: "Müllers Zeit ist nun mal vorbei, da er lange nicht mehr in der Form von 2014 ist."
Auch Martin Kantop, gebürtig ein Schwabe, seit 2016 in München, oft in der Allianz Arena, und – was er betont – "Bayern-Fan ein Leben lang", relativiert nüchtern. "Das habe ich beim Schweinsteiger damals auch gedacht: Bayern wäre ohne ihn als Identifikationsfigur undenkbar", meint er: "Aber so hat sich der Fußball entwickelt." Der 30-Jährige hat aus Fanperspektive einen klaren Auftrag an die Vereinsführung: "Auf jeden Fall geht es um die Identität. Es wäre wichtig, dass die Mannschaft immer ein, zwei, vielleicht drei lokale Identifikationsfiguren hat."
Hoeneß und Rummenigge: Vereinspatron bleibt, "Kalle" hört auf
Die Vereinsführung, das sind aktuell (noch) Uli Hoeneß und Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge. Ein FC Bayern ohne Müller wäre auch insofern eine Entwöhnung im Express-Tempo, weil Hoeneß auf der mit Spannung erwarteten Hauptversammlung am 15. November in der riesigen Olympiahalle nicht mehr für das Präsidentenamt kandidieren wird – und sich anschließend in die zweite Reihe zurückziehen will.
"Ich bin nicht bei der Schickeria dabei, also bei den ganz harten Fans. Aber bei uns im Fanklub gibt es öfter Diskussionen über die Identität. Vor allem nachdem sich Hoeneß und Rummenigge in dieser sagenumwobenen Pressekonferenz (im Oktober 2018, d. Red.) hingesetzt hatten, wurde diskutiert, ob das noch der FC Bayern ist, ob sie jetzt spinnen", meint Niederbayer Grantner weiter.
Der 67-jährige Hoeneß, gebürtig ein Schwabe, behält seinen Platz im Aufsichtsrat. Rummenigge wird derweil seinen Posten an der Spitze des Vorstands zum 31. Dezember 2021 räumen. Geht es nach Fan Peters, hat sich die Priorisierung zwischen Identität und globaler Marke dann längst vollzogen. "Seine bayerische Herkunft zeigt der FC Bayern nur noch beim jährlichen Besuch des Käferzelts auf dem Oktoberfest oder beim Lederhosen-Fotoshooting für einen Bier-Sponsor", sagt der 39-Jährige, der einst aus Berlin nach München zog – und somit auch die nicht-bajuwarische Außenperspektiven kennt. Rummenigge gilt für viele Beobachter als der Motor der Internationalisierung.
Oliver Kahn: Er kennt den FC Bayern aus dem Effeff
Er wird von einer anderen Vereinsikone beerbt werden, von Ex-Weltklasse-Torwart Oliver Kahn. Der 64-Jährige will den 50-Jährigen im kommenden Jahr anlernen. Was schon Monate vorher unter den Fans viel Zuspruch erfährt.
"Kahn ist eine Respektsperson, er ist für den Job gemacht, hat fachlich im Fußball und in der Wirtschaft Ahnung. Er war jahrelang Führungsspieler beim FC Bayern, die Fans konnten sich immer mit ihm identifizieren. Ihn mit einzubeziehen, ist die logische Konsequenz", meint Fan Kantop.
Für den lebenslangen Bayern-Fan geht es auch darum, öffentlich einen Kontrast zum hemdsärmeligen Hoeneß zu schaffen. "Er ist vom Typ her anders, überlegt erst, redet dann und packt nicht gleich die Verbalaxt aus wie Hoeneß", sagt er: "Das tut dem FC Bayern gut."
Bastian Schweinsteiger: Alle wollen den Weltmeister bei Bayern sehen
Kahn alleine wird es aber, "Titan" hin oder her, nicht richten können. Alle Blicke richten sich nun auf Schweinsteiger, der gerade seine Spielerkarriere beendet hat – in Zukunft jedoch zunächst als TV-Experte für die ARD tätig sein wird. Im Werben um den Weltmeister, wie Müller im tiefsten Oberbayern geboren, wurde dagegen Rummenigge konkret.
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"Ich habe zu Basti relativ viel Kontakt, wir texten regelmäßig und telefonieren auch mal. Ich habe ihm gesagt, er soll sich mal gedanklich damit auseinandersetzen, ob das eine reizvolle Option für ihn ist", erklärte der Bayern-Boss – was nicht zuletzt Fan Grantner freut: "Oliver Kahn und Bastian Schweinsteiger, das wäre sicherlich kein schlechtes Führungsduo. Vielleicht noch Philipp Lahm dazu, die Drei, die hätten Ahnung."
Der gebürtige Münchner Lahm hat sich jedoch offensichtlich (vorerst) für eine Karriere beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) entschieden, ist Botschafter für die vier Münchner Spiele der paneuropäischen EM 2020 sowie Chef des Organisationskomitees für die EM 2024 in Deutschland. Kommt dafür Schweinsteiger an die Säbener Straße zurück?
"Schweinsteiger ist eine der größten Identifikationsfiguren überhaupt"
"Wie beliebt Schweinsteiger bei allen Bayern-Fans, aber speziell den Ultra-Gruppen ist, hat man beim Abschiedsspiel gesehen. Im Stadion ist es ja gerne mal etwas ruhiger, aber beim Freundschaftsspiel zum Abschied Schweinsteigers war eine Wahnsinnsstimmung in der Arena", meint Südkurven-Steher Grantner: "Da hat man gemerkt, dass Schweinsteiger eine der größten Identifikationsfiguren für den FC Bayern überhaupt ist." Doch was könnte der 35-Jährige beim Rekordmeister genau machen? Es wird zumindest schon eifrig diskutiert.
"Er ist zu einer großen Persönlichkeit gereift. Er ist mehrsprachig, da kann ich mir vorstellen, dass es im Management funktionieren kann", erklärte sein Ex-Coach Jupp Heynckes einmal. "Ich sehe ihn nicht als Manager oder Sportdirektor. Er kann gut mit jungen Leuten umgehen, ist ein Vorbild für die Jugend. Ich sehe ihn eher in der Nachwuchsabteilung", meint dagegen Fan Kantop und erklärt: "Das wäre derselbe Weg, den sein bester Kumpel, Ex-Skirennfahrer Felix Neureuther, eingeschlagen hat. Beide sind richtige Typen, können junge deutsche Talente mitreißen."
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Eine tiefe Verwurzelung Schweinsteigers beim FC Bayern und in München ist belegt. Als er einst, 2010, in der Allianz Arena verkündete, dass er seinen Vertag um fünf Jahre verlängert habe, herrschte eine Euphorie, als sei der Klub gerade ins Champions-League-Finale eingezogen. Schweinsteiger brüllte ins Mikrofon: "Hoch lebe Bayern!" Mehr Identifikation und Identität gehen wohl kaum.
- eigene Beobachtungen
- Kicker.de: Müller im Interview: "Der Trend macht mich nicht glücklich"