Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Saisonbilanz ... dann zweifle ich am Verstand der Bayern-Bosse
Das Fazit der Bundesliga-Saison 2018/19 und die Auswirkungen auf die nächste Spielzeit: Es geht um Bayern, Götze, Favre und Hoeneß.
Der Kampf um die Meisterschaft war spannend – und das hat die Liga nach Jahren der Langeweile wiederbelebt. Die Bundesliga wird auch in den nächsten Jahren spannend bleiben, davon bin ich überzeugt. Aber bevor wir uns auf die neue Saison freuen, wollen wir Bilanz ziehen, den besten Spieler und Trainer des Jahres küren, sowie Auf- und Absteiger der Spielzeit benennen.
Der Spieler der Saison: Noch im vergangenen Sommer war Mario Götze am Boden. Medien und viele Experten waren sich einig: Das wird nichts mehr mit Götze und Dortmund. Die Frage war eigentlich nur noch, wohin und wann er flüchten muss. Er selbst tauchte mehr auf Veranstaltungen und seinem Instagram-Account auf als auf dem Platz. Trainer Lucien Favre strich ihn mehrfach aus dem Kader – und Bundestrainer Löw ließ ihn links liegen.
Götze hat daraufhin nicht etwa aufgegeben. Er hat sich voll auf den Fußball konzentriert und selbst wieder aus dem Leistungsloch herausgezogen. Das hat mich persönlich wirklich beeindruckt und tierisch gefreut. Er war einer der Hauptgründe, warum Borussia Dortmund den Kampf um die Meisterschaft bis zuletzt offengehalten hat. Er hat dazu gelernt, gearbeitet für das Team und konstant sehr gute Leistungen gebracht. Löw kommt nicht mehr an Götze vorbei, wenn er am morgigen Mittwoch seinen Kader für die Länderspiele am 8. Juni in Weißrussland und am 11. Juni gegen Estland nominiert. Mich würde es zumindest sehr wundern, wenn er ihn nicht zurückholt. Und genauso würde es mich wundern, wenn Borussia Dortmund den Vertrag mit Götze nicht über 2020 hinaus verlängert. Er hat fast den gleichen Status wie Marco Reus. Die beiden müssen die Gesichter des BVB für die Zukunft sein.
Mich haben auch andere Spieler wie Serge Gnabry überzeugt. Der hat eine unglaublich steile Karriere hingelegt – von der Tribüne beim FC Arsenal in England bis zum Stammplatz bei Bayern München. Wenn man hart arbeitet, bekommt man auch das Vertrauen. Und das hat er mit 13 Saisontoren und sieben Vorlagen zurückgezahlt. Der Spieler der Saison ist für mich aber Götze.
Der Trainer der Saison: Niko Kovac musste bei Bayern den Umbruch einleiten, die Langzeitverletzten ersetzen und Robben und Ribéry vermitteln, dass sie nicht mehr Stammspieler sind. Das hat er in Perfektion geschafft und am Ende die Meisterschaft geholt. Die größte Bestätigung hat er am vergangenen Samstag erfahren. Die Fans haben ihn gefeiert. Süd- und Haupttribüne haben sich erhoben. Das war mit Sicherheit Balsam auf seiner Seele. Gleichzeitig haben die Fans ein Bekenntnis abgegeben, dass Kovac aus ihrer Sicht bleiben muss.
Ich bin mir sicher, dass das, was am Wochenende passiert ist, ganz entscheidend war für die Zukunft von Niko Kovac. Die Verantwortlichen haben das natürlich mitbekommen. Sie haben auch das Banner gesehen, auf dem Stand, dass wirklich alle an ihrer Leistung gemessen werden müssen – nicht nur Kovac. Die Bosse können das nicht ignorieren. Wenn sie das ignorieren, zweifle ich am Verstand der Vereinsführung.
Kovac ist für mich der Trainer der Saison – doch auch zwei andere Trainer haben Überragendes geleistet.
Friedhelm Funkel hat mit Fortuna Düsseldorf die beste Platzierung seit 1990 geschafft – und das, obwohl der Verein mit einem Mini-Etat als Absteiger Nummer eins galt. Diese Leistung über 34 Spieltage zu bringen, das war absolut eindrucksvoll. Da sieht man, was der Zusammenhalt bewirken kann, wenn man vielleicht nicht die höchste Qualität im Kader hat. Funkel ist der Baumeister von dieser unglaublich erfolgreichen Saison. Und hat sich riesigen Respekt verdient!
Und auch Bruno Labbadia hat beim VfL Wolfsburg Großartiges geleistet. Die Bedingungen sind – wenn auch auf einem anderen Niveau – mit denen beim FC Bayern vergleichbar gewesen. Er hatte nicht die volle Rückendeckung der Vereinsspitze. Aber er hat die Mannschaft hinter sich gehabt bis zum Abpfiff des 34. Spieltages – sonst hätten sie es nicht noch in die Europa League geschafft. Das 8:1 am letzten Spieltag gegen Augsburg war natürlich ein wunderschöner Schlusspunkt, den sich Bruno absolut verdient hat.
Der Aufsteiger der Saison: Kai Havertz hat mit seinen 19 Jahren einen riesigen Anteil daran, dass es Bayer Leverkusen noch in die Champions League geschafft und damit einen riesigen Erfolg gefeiert hat. Er belebt das komplette Spiel der Mannschaft und ist ein Spieler, für den man ins Stadion geht. Havertz hat eine ganz, ganz große Karriere vor sich. Er muss weiter an sich arbeiten – und vor allem die richtigen Entscheidungen für seine Karriere treffen. Die nächste kann dabei aus meiner Sicht nur so ausfallen, dass er mindestens über den Sommer hinaus in Leverkusen bleibt. Er hat Leverkusen mit in die Champions League gebracht – jetzt wäre es für seine persönliche Entwicklung ganz wichtig, dort auf höchstem Niveau auch zu spielen. Sie haben ihn in Leverkusen aufgebaut, ihm das Vertrauen geschenkt. Das alles sollte er auf keinen Fall wegschmeißen. Ich rate ihm klar und deutlich von einem Wechsel ab.
Ein ähnlicher Fall ist Jadon Sancho von Borussia Dortmund, der eine unheimliche Qualität im Eins-gegen-Eins hat. Auch für Sancho gilt es, in Dortmund zu bleiben und im nächsten Jahr den Titel anzupeilen.
Beide haben Verträge bis 2022. Beide haben in ihren Vereinen ein riesiges Vertrauen – das ist megawichtig für junge Spieler, das darf man nicht unterschätzen. Beide sind auf dem Weg zur Genialität. Und bei beiden muss der Kopf sauber bleiben. Sie sollen sich nicht zu viel bequatschen lassen.
Der Absteiger der Saison: Wir haben bei einigen Vereinen gesehen: Wenn der Kader schlecht zusammengestellt ist, wird es schwierig – egal, wer Trainer ist. Deshalb sind die, die den Kader zusammenbauen, oft auch die wahren Schuldigen, wenn es nicht läuft.
Bei Hannover, Stuttgart und Schalke haben sie krasse Fehler gemacht. Überall ist der Sportdirektor entlassen und zur Verantwortung gezogen worden – und das war dann im Endeffekt auch richtig so. Man muss aber differenzieren, weil Schalke und Stuttgart ganz andere Möglichkeiten haben als Hannover. Dementsprechend sind Christian Heidel und insbesondere Michael Reschke die Verlierer der Saison.
Das Interessante ist jetzt, dass Reschke von einem der beiden Vereine ausgerechnet zum anderen geht. Da kann man sich eigentlich nur an den Kopf fassen. Wenn das schiefgeht, muss man die zur Verantwortung ziehen, die diese Entscheidung getroffen haben. Ich wünsche ihnen viel Erfolg auf Schalke, aber das ist versehen mit einem großen Kopfschütteln.
Die Überraschung des Jahres: In der Europa League haben die Vereine in den vergangenen Jahren immer wieder für neue Enttäuschungen gesorgt. Nach langer Zeit hat mit Eintracht Frankfurt endlich wieder ein deutscher Verein für Furore gesorgt und ist nach spannenden und spektakulären Spielen ins Halbfinale eingezogen. Erst da war Schluss gegen den FC Chelsea im Elfmeterschießen.
Der Verein ist topgeführt dank Fredi Bobic. Adi Hütter hat als Trainer nach dem missglückten Saisonstart alle überrascht – und Spieler wie Luka Jovic, Sebastien Haller oder Ante Rebic haben eine spektakuläre Saison gespielt.
In den letzten Bundesliga-Spielen ist ihnen leider etwas die Luft ausgegangen. Zum Glück haben sie völlig verdient noch erneut die Qualifikation für die Europa League geschafft. Alles andere wäre wirklich bitter gewesen.
Der Aufreger der Saison: Das war für mich der Videobeweis. Vorweg: Ich bin nach wie vor für den Videobeweis – und man muss auch die positiven Dinge herausstellen. Der Fußball ist fairer geworden – auch wenn die Emotionen ab und zu verloren gehen, wenn du nach einem Tor eine Minute warten musst. Auf der anderen Seite darfst du vielleicht noch ein zweites Mal jubeln, wenn der Videobeweis positiv ausfällt.
Aber: Die Schiedsrichter müssen es im nächsten Jahr hinbekommen, die Fehler und auch die diskussionswürdigen Entscheidungen auf ein Minimum zu reduzieren. Das hat in der abgelaufenen Saison noch nicht geklappt. Mir geht es selbst auf den Keks, wenn ich jedes Wochenende über drei, vier strittige Szenen sprechen muss. Es muss einfach endlich klare Regeln geben, an die sich jeder hält.
Der größte Fehler: Borussia Dortmund hat eine fantastische Saison gespielt. Aber sie hätten ein klares Zeichen senden müssen, dass sie Meister werden wollen, als sie mit neun Punkten Vorsprung an der Spitze lagen. Man muss Fehler machen und Fehler sind dazu da, dass man daraus lernt. Sie wissen jetzt: Sollten sie noch mal in so eine komfortable Situation kommen, dann müssen sie das auch kommunizieren. Berater Matthias Sammer hätte das von Anfang an anders kommuniziert, denke ich. Lucien Favre sieht und macht das anders. Das war in diesem Fall die falsche Entscheidung.
Nun haben die Dortmunder schon angekündigt, dass sie angreifen und Meister werden wollen. Sie haben also schon gelernt aus der Situation.
Ich finde es grundsätzlich gut, wenn man eine Ansage macht und seine Meisterambitionen kommuniziert. Julian Nagelsmann hat das vergangene Saison in Hoffenheim getan. Und er wird es bestimmt in Leipzig wieder tun. Dort hat er eine bessere Mannschaft in der kommenden Saison, da werden die Chancen noch weiter steigen.
Die größte Erkenntnis der Saison: Uli Hoeneß sagte, es müsse möglich sein, dass Bayern in den nächsten Jahren wieder früher Meister wird als am letzten Spieltag. Es ehrt ihn, dass er diese Kampfansage macht. Ich sehe das aber anders als er. Ich gehe davon aus, dass der Kampf um die Meisterschaft spannend bleibt.
Das liegt zum einen an Leipzig und Dortmund, denen ich zutraue, ernsthafte Konkurrenten zu bleiben. Zum anderen fehlen beim FC Bayern ein paar ganz entscheidende Faktoren: Ribéry und Robben zum Beispiel. Ich behaupte nicht, dass Bayern mit ihnen hätte verlängern sollen. Trotzdem verlieren sie mit den beiden eine unfassbare Qualität – als Backup. Auch von der Bank waren die beiden immer gefährlich. Wenn der Gegner gesehen hat, dass die Sieben oder die Zehn auf der Anzeigetafel aufleuchtete und einer der beiden ins Spiel kam, wussten sie: Jetzt müssen wir uns noch mal richtig zusammenreißen. Ribéry und Robben konnten innerhalb von fünf Minuten ein Spiel drehen – das war einzigartig in der Bundesliga.
Hinzu kommen die Abgänge von Jérôme Boateng und Rafinha, die zwar meist auf der Bank saßen, aber eben immer als Backup da waren. Wer sitzt in der kommenden Saison auf der Bank? Spieler mit dieser Qualität und Erfahrung sehe ich da noch nicht – stattdessen höchstens sehr junge Spieler. Und genau das könnte zum Problem für Bayern werden. Ich fürchte, dass sie das unterschätzen.
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Wir haben eine Kampfansage von Dortmund, eine von Leipzig und zunächst mal eine Schwächung bei Bayern – das kann nur spannend werden in der kommenden Saison.
- Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“