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Effenberg über Leistungsdruck: "Matthäus versteht das gar nicht"


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Nach Mertesacker-Beichte
Effenberg über Leistungsdruck: "Matthäus versteht das gar nicht"

MeinungDie Kolumne von Stefan Effenberg bei t-online.de

Aktualisiert am 20.03.2018Lesedauer: 6 Min.
Per Mertesacker beendet am Saisonende seine Karriere und wird Leiter der Jugendakademie von Arsenal. Stefan Effenberg glaubt, dass er diesen Job auf herausragende Art und Weise ausfüllen wird.Vergrößern des Bildes
Per Mertesacker beendet am Saisonende seine Karriere und wird Leiter der Jugendakademie von Arsenal. Stefan Effenberg glaubt, dass er diesen Job auf herausragende Art und Weise ausfüllen wird. (Quelle: imago-images-bilder)

Stefan Effenberg geht davon aus, dass der Fall Mertesacker nur die Spitze des Eisbergs ist und der Druck auf Fußballer noch viel schlimmer wird. Er kritisiert Matthäus und einige Medien.

Ich habe mir viele Gedanken über das Interview von Per Mertesacker im „Spiegel“ gemacht – und auch über die Reaktionen.

Viele Spieler schaffen das nicht so wie Mertesacker

Ich muss sagen, dass ich ihm dafür wirklich allerhöchsten Respekt zolle. Ich halte es für extrem wichtig, über das Thema Druck im Fußball zu reden und zu schreiben, weil ich mir sehr sicher bin, dass es noch viel mehr Spieler gibt, die Dinge mit sich herumtragen und nicht befreit sind. Per Mertesacker hat seine Leistung immer abgerufen, obwohl er so extrem unter dem Druck gelitten hat.

Viele Spieler schaffen das nicht – und das ist eine riesige Gefahr.

Mertesacker wurde dafür kritisiert, dass er das nicht schon 2006 angesprochen hat, als der Druck der WM auf seinen Schultern lastete. Aber wollen wir ernsthaft über den Zeitpunkt diskutieren? Ich möchte mich davon distanzieren. Ich bin mir sicher, dass er in einem Lernprozess gesteckt hat und dachte, das gehöre eben zum Profidasein dazu. Er war damals 21 Jahre jung. Er hat sich nicht wohlgefühlt, konnte aber trotzdem seine Leistung abrufen. Jetzt hat er die Reife und Erfahrung, dies öffentlich zu machen.

„Die verdienen Millionen“ – das Argument kotzt mich an

Der tragische Tod von Robert Enke hat gezeigt: Es muss leider Gottes fast immer erst etwas passieren, damit sich was ändert. Wenn ein Spieler früher ein Problem hatte, sei es eine Depression oder eine Alkoholsucht, dann wurde gesagt: "Das musst du ändern, setz‘ dich damit auseinander." So lapidar wurde das früher gehandhabt. Und das kann nicht sein. Nach dem Tod von Robert Enke hat man darüber nachgedacht, wie man Spielern helfen kann. Seitdem gibt es Psychologen in den Vereinen – das war ein Fortschritt.

Der Druck im Fußball ist enorm und er wird weiter wachsen. Gerade bei Topklubs wie Bayern oder Dortmund bist du zum Erfolg verdammt. Dieser Kampf, jeden Tag beim Training um einen Platz in der Mannschaft, diese Spiele alle drei Tage. Wenn man das abtut und sagt: „Die verdienen ja auch Millionen.“ Dann ist das ein Argument, dass mich ankotzt. Denn es handelt sich immer noch um Menschen.

Du musst vor 70.000 Leuten funktionieren

Ein aktuelles Beispiel: Mario Götze. Er hat Deutschland zum Weltmeister gemacht im Alter von 22 Jahren. Die Erwartungen sind so extrem und so groß geworden, dass er sie gar nicht erfüllen konnte. Dann hat man eine Phase, in der es nicht läuft wie bei Bayern oder auch jetzt in Dortmund. Er ist nicht befreit – und das ist der Grund, warum er nicht bei hundert Prozent ist.

Ich wünsche mir, dass Götze wieder zurückkommt – aber da spielen viele Faktoren eine Rolle.

Per Mertesacker oder Mario Götze sind mit Sicherheit sehr sensibel. Die führen einen Job aus, bei dem es heißt: "Die müssen funktionieren." Warum haben wir so viele vielversprechende Talente in Deutschland, die es nicht geschafft haben? Mit 18, 19 Jahren machst du normalerweise die ersten Schritte in ein selbstständiges Leben. Da machst du dein Abitur oder fängst an zu studieren – und als Fußballer musst du vor 70.000 Leuten einfach funktionieren – und dann wirst du teilweise noch Woche für Woche von den Medien angeschossen oder an den Pranger gestellt. Daran kann man zerbrechen. Gerade, wenn man den Rückhalt nicht hat, ob aus dem Elternhaus oder dem Verein.

Auch ich habe Tränen vergossen

Das große Problem ist, dass die Gehälter und Ablösesummen noch höher werden und der Druck sogar weiter steigt. Dass wir uns im Fußball öffnen, dass wir über Tabus sprechen – das würde man sich wünschen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es geht eher genau in die andere Richtung. Da wird mit Sicherheit in Zukunft noch viel mehr kommen, weil du dem gar nicht mehr standhalten kannst.

Spieler gehen mit Druck oder auch Niederlagen ganz anders um. Ich habe auch Druck gespürt. Ich kann die Worte von Per Mertesacker zu hundert Prozent nachvollziehen. Und ich habe Niederlagen erlitten: Das EM-Finale 1992, das Pokalfinale gegen Werder Bremen und das Champions-League-Finale 1999. Was meinen Sie, wie ich mich da in der Kabine gefühlt habe? Da habe ich auch Tränen vergossen. Es hieß immer: "Das ist der harte Stefan – der macht das schon". Aber das ist nur das Bild, das von den Medien gemacht wurde. Natürlich bin ich selbstbewusst gewesen und bin es nach wie vor. Natürlich war ich überzeugt von meiner Qualität auf dem Platz.

Der Grad zwischen Held und Versager wird schmaler

Aber auch ich habe öffentliche, harte und scharfe Kritik nicht einfach so vom Tisch wischen können. Das hat mich sehr schwer belastet.

Gerade Boulevardmedien spielen eine entscheidende Rolle, wenn es um Druck geht. Der Grad zwischen Held und Versager wird immer schmaler.

Ich weiß nicht, wo ich heute wäre, hätte ich die zwei Elfmeter im Champions-League-Finale 2001 nicht verwandelt. Diese beiden Elfmeter waren ganz entscheidend für mein Leben und meine Zukunft. Sie können eins und eins zusammenrechnen, was die Medien mit mir gemacht hätten, wenn ich verschossen hätte. Ich weiß nicht, ob ich da nochmal so aufgestanden wäre wie der harte und schmerzfreie Stefan Effenberg, als der ich immer dargestellt wurde.

Formulierungen wie Versager oder Luschen sind Hetze

Ganz entscheidend ist da Vertrauen von Trainern und Managern. Ich weiß nicht, was gewesen wäre, wenn ich das nicht gehabt hätte. Ottmar Hitzfeld hat mir immer gesagt: "Stefan, wir brauchen dich." Uli Hoeneß auch. "Du bist unser Mann" – das gibt dir die Stärke. Als Trainer in Paderborn war es bei mir andersrum. Da habe ich Spielern volles Vertrauen gegeben und wurde enttäuscht. Dann bist du verloren. Und dann bleibt das Negative haften. Da hieß es auch, ich habe versagt.

Oder nehmen wir den HSV. Da wird auch von HSV-Versagern geschrieben. Versagen ist für mich etwas anderes. Versagen tun die, die dafür hauptverantwortlich sind, den Krieg in Syrien zu beenden, wo jeden Tag Kinder sterben, aber es nicht schaffen.

Beim HSV ist es in Anführungszeichen nur Sport und nur Fußball. Formulierungen wie HSV-Luschen oder Versager – das ist Hetze.

Kein Wunder, dass Spieler sich zurückziehen

In Zukunft werden immer mehr Spieler froh sein, wenn sie das Weite suchen oder ihre Karriere mit 25 Jahren beenden.

Ich finde es auch fatal, dass die "Bild"-Zeitung eine Serie macht: "Partyalarm – hier können Sie mit den Bundesliga-Stars feiern… Wo sie essen, wo sie wohnen und wo sie shoppen". Das empfinde ich als absolute Unverschämtheit. Die wollen den Spielern auch den Rest der Privatsphäre nehmen. Kein Wunder, dass die Spieler sich in ihr Schneckenhaus zurückziehen. Kein Wunder, dass sie nicht mehr viel von sich preisgeben wollen. Am Ende ist es so, dass dein Leben 15 Jahre lang nur daraus besteht, vom Haus zum Trainingsplatz zu fahren, zu trainieren, dich behandeln zu lassen, nach Hause zu fahren und schnell wieder die Tür zuzumachen.

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Die DFL oder der DFB predigen immer Respekt – und dass man vernünftig miteinander umgeht. Das muss man auch im Umgang der Medien mit Trainern und Spielern erwarten – und da sehe ich bei manchen eine krasse Entwicklung, die in die falsche Richtung geht. Es gibt einen Pressekodex, dass das Privatleben geachtet werden muss. Ich möchte betonen, dass es sehr wohl viele gute und seriöse Journalisten gibt, aber es sind einige wenige, die das nicht sind. So wie in diesem Fall, wo der Pressekodex mit Füßen getreten wird.

Wenn sie es selbst transportieren über Twitter oder Instagram – dann ist es ihre eigene Verantwortung, aber wenn die "Bild"-Zeitung es den Leuten auf dem Silbertablett serviert ohne die Zustimmung der Spieler – das ist eine fatale Entwicklung und ein Eingriff in ihren privaten Bereich.

Matthäus versteht das gar nicht

Nun fragt Lothar Matthäus, wie Mertesacker den Job als Leiter der Jugendakademie von Arsenal nach seiner Beichte noch ausüben will. Das kann ja nur daran liegen, dass er sich nicht wirklich mit dem Thema beschäftigt hat.

Natürlich kann Mertesacker den Job ausüben – und zwar in einer herausragenden Art und Weise. Zum einen war er bei Arsenal ein überragender Spieler. Daher hat er schon mal ein Standing. Zum anderen macht ihn dieses Interview noch viel stärker und menschlicher. Du hast ganz junge Spieler in der Akademie. Er hat selbst die schwierige Erfahrung mit dem immensen Druck gemacht und kann sie weitergeben – das ist Gold wert. Er weiß, wovon er spricht. Er kennt die Situation.

Ich glaube eher, dass Lothar Matthäus in einer Jugendakademie ein Riesenproblem hätte, weil er das gar nicht versteht. Oder nicht verstehen will.

Was Per Mertesacker ausgesprochen hat, sollen Sportler nicht äußern dürfen, weil sie so teuer waren und Millionen verdienen? Das ist Quatsch, engstirnig und kleinkariert gedacht. Man kann nicht im Quadrat denken, man muss weiterschauen. Und genau aus diesen Gründen ist Per Mertesacker in der Akademie von Arsenal optimal aufgehoben.

Wenn der Kampf um reißerische Überschriften nicht aufhört, wird das Problem für alle Sportler in Deutschland immer größer.

Ich weiß, dass ich hiermit vielen Spielern aus der Seele spreche.

Transparenzhinweis
  • Stefan Effenberg ist Botschafter des FC Bayern München und sagt dazu: „Ich repräsentiere den FC Bayern, insbesondere im Ausland. Mein Engagement hat keinen Einfluss auf meine Kolumnen bei t-online. Hier setze ich mich weiterhin kritisch und unabhängig mit dem Fußball auseinander — auch und insbesondere mit dem FC Bayern.“
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