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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Spieler an der Belastungsgrenze Das Fitnessgeheimnis der Top-Trainer
Sowohl Carlo Ancelotti als auch Peter Bosz wurden dafür kritisiert, dass ihre Spieler nicht fit genug seien. Dabei war die vermeintlich geringere Kondition beabsichtigt. Andreas Schlumberger war für Trainer wie Ancelotti, Guardiola und Klopp tätig und erklärt, warum sich die Systeme so unterscheiden.
Der Januar ist ein besonderer Monat im Fußballjahr. Während die Spieler in England durch die Knochenmühle getrieben werden und im Drei-Tages-Rhythmus auf den Rasen müssen, dürfen sich die Profis hierzulande auf den zweiten Teil der Saison vorbereiten. Doch weder faulenzen sie wochenlang, noch sollten sie zu häufig zum kalorienreichen Weihnachtsgebäck greifen. Im modernen Fußball geht es um die Balance zwischen Hochbelastung und Ruhephasen.
Bis an die Schmerzgrenze oder langsame Steigerung?
Im Winter müssten die Trainer die Vorbereitung stärker raffen. Gerade in diesem Jahr bleibt den Bundesligisten aufgrund der kurzen Pause – eine Reaktion auf die Weltmeisterschaft im Sommer – wenig Zeit. Jeder Trainerstab möchte körperlich das Maximale herausholen. Aber: Eine führende Lehre, die jedes Trainerteam befolgt, gibt es nicht. Bisher finden die meisten Athletiktrainer über ein reguläres Sportstudium und ein entsprechendes Interesse am Fußball den Weg ins Geschäft. Die Vereinheitlichung der Ausbildung ist allenfalls in Konzeptpapieren zu finden, könnte aber womöglich mit der Eröffnung der neuen DFB-Akademie in Frankfurt am Main irgendwann Realität werden.
Was den Fitnessaufbau in der Bundesliga betrifft, so haben sich in den vergangenen Jahren zwei Trends herausgebildet: Es gibt den ganz klassischen Ansatz, wonach im Sommer die Fußballer bis an ihre Schmerzgrenze – und gerne auch darüber hinaus – getrieben werden. Die Teams wollen top vorbereitet sein, das Risiko der Überbelastung, im schlimmsten Fall eine Verletzungsflut, steigt.
Die Alternative ist ein stetiger Fitnessaufbau über die Saison hinweg. Die Profis kommen nach dem Sommerurlaub erholt ins Training und werden nicht unmittelbar ihrer Frische beraubt. Anhänger dieser Philosophie sind beispielsweise Carlo Ancelotti und Peter Bosz. „Ich versuche, die Kondition aufzubauen, ohne dass sich die Spieler verletzen. Als ich noch Spieler war, habe ich oft erlebt, dass nach dem Trainingslager neun, zehn Spieler verletzt waren“, erklärte Bosz, selbst Profi in den 80ern und 90ern, noch im Sommer.
Doch der Niederländer wurde von Borussia Dortmund ebenso wie Ancelotti von Bayern München während der Hinrunde vor die Tür gesetzt, ihre Arbeit im athletischen Bereich kritisiert. Ein Zeichen für zu lasches Training? Das bezweifeln manche Experten. Die Spieler seien es nur nicht gewohnt, behutsamer zu trainieren. Das Gefühl, sie würden zu wenig tun, gerade wenn die Erfolgserlebnisse auf dem Rasen ausblieben, käme jedoch schnell auf. Teilweise würden sogar private Fitnesstrainer außerhalb des Klubs angeheuert.
Balanceakt zwischen Belastung und Erholung
Einer, der jahrelang unter Top-Trainern gearbeitet hat, ist Andreas Schlumberger. Nach Stationen beim DFB war der anerkannte Sportwissenschaftler im Trainerstab von Jürgen Klopp in Dortmund und zuletzt für Pep Guardiola und Ancelotti in München tätig, bevor er im Sommer zu Borussia Mönchengladbach wechselte. Er kann aus eigener Erfahrung die Unterschiede selbst auf absolut höchstem Niveau bestätigen.
„Klopp zum Beispiel sieht das Training als Vorbereitung aufs Spiel. Er möchte durch härtere Fitnessarbeit die Spieler ‚stärker machen‘“, erklärt Schlumberger. Im Gegensatz dazu würden Guardiola oder Ancelotti das Training lediglich als „Simulation des Spiels im Kleinen“ ansehen. „Der beste Trainingsreiz ist immer noch der Spielreiz“, so Schlumberger. Was so viel bedeutet wie: Nichts kann die Wettkampferfahrung und den Stress, dem die Profis physisch wie mental ausgesetzt sind, simulieren. Der Balanceakt zwischen Belastung und Erholung ist auch gerade in den Wochen vonnöten, in denen der Terminkalender vollgepackt ist.
„Keiner kann im Sommer den Formaufbau für die kommenden zehn Monate vorbereiten“, fügt der 51-Jährige an. Der Unterschied zwischen den Trainerkoryphäen des Geschäfts liege auch im Spielstil, den sie bevorzugen. Der Pressingfußball Klopps verlangt einen anderen physischen Aufwand als etwa Guardiolas Ballbesitzstil. „Guardiola arbeitet mit deutlich geringerem Trainingsumfang als Klopp. Bei Ancelotti ist es noch weniger“, erinnert sich Schlumberger. Der eine möchte ein konstant hohes Fitnesslevel, der nächste maximale Energie für die entscheidenden Spielsituationen, der andere das Verletzungsrisiko minimieren.
So ist es auch zu erklären, weshalb es bei manchen Teams in Hochphasen bis zu drei Trainingseinheiten pro Tag, bei anderen lediglich eine gibt. Schlumberger selbst ist ein Anhänger eines hohen Trainingsvolumens. Aber die „Arbeit muss in Verbindung mit individualisierter Belastungssteuerung erfolgen“, ergänzt er und zitiert den australischen Experten Tim Gabbett: „Trainiere smart und hart, dann hast du die optimale Verbindung zwischen Leistungsentwicklung und Verletzungsprophylaxe!“ Reines Fitnessbolzen sollte Schnee von gestern sein.
Wettkampf im Verborgenen
Immer spezifischeres Training – abgestimmt auf Positionen, Systeme und individuelle Leistungsfähigkeit – hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend durchgesetzt. „Klopp zum Beispiel nutzt Trainingsformen fürs Gegenpressing und Umschaltspiel, die es nur bei ihm gibt“, so Schlumberger. „Es wird intensiv, aber eben auch taktisch hochspezifisch trainiert.“
Bei dieser Spezialisierung helfen technische Hilfsmittel. Die Erfassung von Laufdaten und Aktionen auf dem Spielfeld wird immer genauer. Der Computer kann nicht nur die Belastung der Kicker minuziös auswerten, sondern auch jeden Stellungsfehler, jeden falschen Laufweg gnadenlos offen legen. Kommt ein Spieler etwa beim Verteidigen immer einen Schritt zu spät, kann das vielerlei Gründe haben: Vielleicht ist er nicht spritzig, vielleicht nicht aufmerksam genug, oder vielleicht mangelt es ihm am Verständnis für die Situation.
„Der klassische deutsche Ansatz war: Ich zerlege die Sportart in Einzelteile und setze sie später wieder zusammen“, sagt Schlumberger. Doch zunehmend wird der Fußball als Ganzes unter die Lupe genommen. Dafür braucht es immer komplexere Forschung und Trainingsarbeit. Manche haben sich in der jüngeren Vergangenheit vor allem der Arbeit am neuronalen System der Sportler verschrieben. Zu ihnen gehören beispielsweise Martin Weddemann und Lars Lienhard vom Unternehmen „Focus On Performance“ sowie der ehemalige Nordische Kombinierer Steffen Tepel. Lienhard durfte 2014 sogar mit der deutschen Nationalmannschaft nach Brasilien reisen und dort seine Methoden bei der Betreuung der Sportler anwenden. Immer mehr Fußballer greifen auch abseits des Klubtrainings auf Lienhard, Tepel und Co. zurück.
Statt dem klassischen Waldlauf gibt es bei den Neuroathletiktrainern Übungen, die auf das Gehirn und von dem ausgehend auf das Bewegungssystem Einfluss haben. „Bevor überhaupt eine vernünftige Belastungssteuerung gemacht werden kann, sollte zuallererst die individuelle Bewegungssteuerung des Athleten optimal funktionieren“, erklärt Tepel. „Da bringen auch die teuersten Maschinen oder Blutwertuntersuchungen nichts.“ Haltungsfehler und eingefahrene Bewegungsmuster würden viel über den Fitnesszustand eines Spielers aussagen. Exzessives Krafttraining könne vielleicht kurzfristig fit machen, aber langfristig würden nur sogenannte „Kompensationsmuster“ geschult. Eine Verletzung sei vorprogrammiert. „Bewegungs- und Belastungssteuerung gehen Hand in Hand“, bringt es Weddemann auf den Punkt.
Im Moment ginge die Entwicklung rasend schnell, auch wenn quer durch den deutschen Fußball und die Ligen in Europa nicht alle an eine Lehre glauben. So spielt sich in diesen Tagen – verborgen vor dem Auge des Beobachters – ein Wettbewerb zwischen den Trainerstäben in der Bundesliga ab. Derjenige mit den besten Spielern und der besten Taktik gewinnt nicht zwangsläufig, sollte er die Pferdestärken seiner Mannschaft nicht ausreizen können. Veteran Schlumberger zeigt sich zuversichtlich: „Es gibt so viel Wissen, so viele Zugänge. Es geht darum, das in die richtigen Bahnen zu lenken.“