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SC Freiburg: Kommentar zum Rücktritt von Christian Streich


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Zum Rücktritt von Christian Streich
Der ist nicht mal Freiburger


Aktualisiert am 19.03.2024Lesedauer: 4 Min.
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Christian Streich verabschiedet sich vom SC Freiburg. (Quelle: Michael Weber IMAGEPOWER via www.imago-images.de/imago)

Christian Streich macht nach zwölf Jahren als Cheftrainer des SC Freiburg im Sommer Schluss. Trainerwechsel gehören im Fußball zum Alltag. Aber diese Personalie ist anders.

Christian Streich steht so sehr für Freiburg, für den Verein wie für die Stadt, dass man etwas ganz Entscheidendes leicht vergisst: Der Mann ist gar kein Freiburger.

Streich ist in Eimeldingen aufgewachsen. Eimeldingen liegt 70 Kilometer südlich von Freiburg im Dreiländereck, einen Steinwurf nach Westen von der französischen Grenze entfernt. Wirft man den Stein zweimal nach Süden, ist man in der Schweiz. In Eimeldingen leben keine 5000 Menschen – ein Dorf im besten Sinne, in dem Kirche und Musikverein wichtig sind und man auf der Orts-Homepage stolz darauf ist, dass es sogar Geldautomaten gibt. Eimeldingen hat mit der Universitätsstadt Freiburg wirklich nicht viel gemein.

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Und auch Christian Streich passt gar nicht so wirklich nach Freiburg. Wäre der Metzgersohn aus Eimeldingen nicht seit zwölf Jahren Trainer des SC, viele Ur-Freiburger würden über ihn lächeln. "Der kunnt vum Dorf", würde man im urbanen Stadtteil Wiehre sagen, der ein bisschen aussieht wie der Prenzlauer Berg in Berlin. Und im stolzen Viertel Herdern, wo alte Villen stehen und moderne Einfamilienhäuser, wo Rechtsanwälte leben, Mediziner und die Uni-Prominenz, könnte sich ein Eimeldinger schwerlich eine Wohnung leisten, wäre er nicht ... Christian Streich.

Und dennoch ist Streich das Gesicht der Stadt geworden, des Vereins sowieso, und der ganzen Region. Das liegt vor allem an seiner Art und seinen Talenten. Wer hätte in Berlin, in Bremen oder Leipzig früher gewusst, wie sich Freiburg "anhört"? Christian Streich hat diesen Dialekt in Deutschlands Ohren getragen – dieses verschmitzte Alemannisch mit seinen niedlichen Verkleinerungsformen, dem achselzuckenden Understatement und der lakonischen Wortkargheit.

Streichs Händchen für junge Menschen, sein Job als Fußball-"Lehrer", sein Gespür für die Ausbildung junger Fußballer passt zu einer Stadt, die vor allem für ihre Universität berühmt ist und die für viele Menschen vor allem deshalb so attraktiv ist, weil man hier wunderbar seine Kinder großziehen kann.

Und warum kann man das? Es ist objektiv ein freundlicher Ort, ein sicherer und ein wunderschöner dazu. Und: In Freiburg wohnen – soweit das Klischee – viele gute Menschen. In Freiburg wird viel gelächelt, viel gegrüßt und viel umarmt. Das kommt von der Sonne, glauben die Einheimischen, die deutschlandweit nirgends mehr scheint als im Breisgau.

Zu diesem sonnigen, freundlichen Ort passte der SC-Trainer immer perfekt. Nicht nur, wie er den SC Freiburg prägte und führte, diesen Ausbildungsverein, der "schönen" Fußball spielen will, taktisch modern, strebsam-fleißig und demütig als Underdog im Big Business Bundesliga. Auch der "Gutmensch" Christian Streich passte in die Stadt: Im grün-alternativen Freiburg spricht man gerne über Politik, über die kleine Welt nebenan und die große weite ohnehin.

Von Anfang an streute Streich in seine Pressekonferenzen und Interviews immer wieder Gedanken ein darüber, wie er sie sieht, diese Welt. Dass man Flüchtlingen helfen müsse, hat er immer wieder betont, und dass man Fremdenfeindlichkeit bekämpfen soll. Dass für Judenfeindlichkeit in Deutschland kein Platz ist. Dass die AfD eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland sei und Donald Trump ein Rassist und Menschenfeind.

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Manchmal wurde das zugegebenermaßen ein bisschen anstrengend, wenn Christian Streich wieder die Welt erklärte. Natürlich, die Journalisten haben ihm immer wieder Fragen zur Politik gestellt, wenn der SC-Trainer zur Pressekonferenz geladen hatte. Weil sie wussten, dass er zuverlässig zitierfähige Sätze abliefert und klick-trächtige Videoschnipsel. Streich hätte natürlich auch schweigen können. Sich auf den Fußball beschränken. Es hat ihn niemand gezwungen zu antworten.

Aber auch das ist Streich: Einen kleinen Hauch Eitelkeit meinte man manchmal zu verspüren, wenn er wieder zu dozieren begann, vor dieser Sponsorenwand mit den Logos eines Fahrrad-Leasingunternehmens, eines Ökostromanbieters und einer Molkerei. Der Vorwurf, dass ihm diese Rolle vielleicht gefiel, ist falsch. Streich spielte diesen Mann nicht, der da über Politik sprach. Er ist es.

Aber die große Aufmerksamkeit, die gefiel ihm schon, kann man unterstellen. Sie machte Streich einerseits zum Feindbild der Rechten und andererseits zum Zerrbild des Zeigefinger hebenden Moralisten, zur Karikatur einer links-alternativen Bohème, die anderen gerne erklärt, wie die Dinge so sind und wie sie zu laufen haben.

Die Freiburger fühlten sich entweder gut vertreten von ihm, oder sie haben ihm seinen leichten Hang zum Schwadronieren immer wieder schnell verziehen. Warum? Weil die Stadt ihm unfassbar viel zu verdanken hat, diesem Metzgersohn aus Eimeldingen, der eigentlich viel zu sehr Landei gewesen ist für Freiburg.

Es war Christian Streich, der den putzigen Provinzklub aus dem Südwesten zu einer der ersten Adressen im deutschen Fußball gemacht hat. Dank Streich empfängt man hier inzwischen Juventus Turin und West Ham United statt nur Augsburg und Heidenheim. Dank Streich wurden beim SC Freiburg junge Talente und anderswo Gescheiterte zu Bundesliga-Stars und Nationalspielern.

Dank seiner Arbeit spülte der Verkauf von Spielern wie Matthias Ginter, Mark Flekken und Nico Schlotterbeck Millionen in die Vereinskasse, und auch dank dieser Einnahmen kickt der kleine Club heute in einer nagelneuen, topmodernen Fußball-Arena am Rande der Stadt. Freiburg ist bekannter geworden durch Streich. Ja, sogar größer. Darauf sind sie stolz in der Stadt.

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Diesen Stolz kann man sehen. An jeder Ecke in der Stadt. Bei jedem Heimspiel des Sportclubs, wenn mehr als 30.000 Fans das Badnerlied anstimmen und die etwas gewöhnungsbedürftige Vereinshymne "SC Freiburg vor", die ein bisschen wie ein Kinderlied klingt. Und auch auswärts: Unvergessen, wie 27.000 Freiburger Fans beim Pokalfinale 2022 das Berliner Olympiastadion in einen rotweißen Hexenkessel verwandelten. Trotz der Niederlage im Elfmeterschießen gegen RB Leizig – den kompletten Gegenentwurf zum SCF – feierten sie Christian Streich minutenlang als "besten Mann". Nicht nur er hatte Tränen in den Augen.

Der Mann aus dem kleinen Eimeldingen hinterlässt gigantische Fußstapfen. Nicht nur in Freiburg, aber vor allem dort, in dieser Stadt, die er verkörpert wie niemand sonst. In Freiburg sagt man "Adieu", wenn man geht. Alemannisch korrekt mit der Betonung auf der ersten Silbe. In diesem Sinne: A-dieu, Christian Streich.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen.
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