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Ex-Profi Nils Petersen: "Seit 17 Jahren nicht beim Geburtstag meiner Oma"


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Ex-DFB-Star übers Karriereende
"Seit 17 Jahren nicht beim Geburtstag meiner Oma"

  • Melanie Muschong
InterviewVon Melanie Muschong

Aktualisiert am 18.08.2023Lesedauer: 8 Min.
Nils Petersen: Er hat seine Karriere beendet und über die Branche gesprochenVergrößern des Bildes
Nils Petersen: Er hat seine Karriere beendet und über die Branche gesprochen (Quelle: DeFodi Images)
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Nils Petersen stand viele Jahre für den SC Freiburg auf dem Platz, ist dort eine Ikone. Nach seinem Karriereende hat er über die Branche gesprochen – und die Veränderungen dort.

Als Nils Petersen am 19. Mai in der 70. Minute ein letztes Mal für den SC Freiburg eingewechselt wurde, ahnte noch niemand, dass ihm sein erstes Joker-Tor der Saison gelingen würde. Und dass sein Abschiedsspiel durch seinen 34. Treffer nach einer Einwechslung noch emotionaler würde. Das Stadion jubelte mit dem Fußballgott aus dem Breisgau. Die Fans ehrten ihn zudem mit einem Banner, auf dem stand: "Danke Nils – Niemand ist größer als der Verein, aber du warst verdammt nah dran."

Es war ein Abschied, wie er nur wenigen Fußballprofis vergönnt ist. Seitdem sind rund drei Monate vergangen und der 34-Jährige hat Zeit für all das, was er neben dem Platz sonst nicht machen konnte. t-online hat mit dem Stürmer über die Zeit nach der Karriere gesprochen und die Entwicklungen in der Branche.

t-online: Hätten Sie sich Ihr Karriereende so gewünscht, wie es war?

Nils Petersen: Ich bin ehrlich: Man hat als Spieler natürlich Angst, dass noch etwas Blödes passieren könnte, ein Eigentor oder ein verschossener Elfmeter. Dass es so geklappt hat, war optimal. Fast ein kitschiges Drehbuch. Jeder träumt von solch einem perfekten Abschied. Am Ende war es mein einziges Saisontor, und das im letzten Spiel vor heimischem Publikum. Ich hätte es mir nicht schöner ausmalen können und habe es sehr genossen.

Freunde und Familie haben auf der Tribüne mitgejubelt.

Ich habe mich am meisten darüber gefreut, dass all die, die mir jahrelang die Daumen gedrückt haben, im letzten Spiel auch mit emotionalen Momenten belohnt worden sind. Es ist wundervoll für mich zu erleben, was ich meinen Mitmenschen bedeute. Dass ich etwas zurückgeben konnte, hat mich am meisten berührt.

Was hat den Spieler Nils Petersen ausgemacht?

Die Identifikation mit den Klubs. Ob in Freiburg, Bremen oder Cottbus. Dass die Leute gesagt haben, ich verkörpere den Verein bereits nach kurzer Zeit. Das war für mich immer das größte Kompliment. Wenn einige Leute in Bremen es heute noch schade finden, dass ich damals gegangen bin, oder Menschen in Freiburg mir danken, nach dem Abstieg geblieben zu sein, dann berührt mich das mehr als jedes einzelne Tor. Stolz ist fast schon eine Verniedlichung für dieses unbeschreibliche Gefühl.

Hat Sie etwas in Ihrer Karriere besonders geprägt?

Ich musste sehr oft geduldig sein und mich hintanstellen, habe viel über mich ergehen lassen. Es ist auch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen gewesen. Ich war ehrgeizig, hatte Ansprüche an mich und mein Team, habe aber nie einen Titel gewonnen. Die großen Erfolge sind ausgeblieben, und trotzdem hatte ich eine Fan-Base und immense Bekanntheit in Deutschland.

Bei Olympia 2016 haben Sie Silber mit dem Team gewonnen, und mit Freiburg sind Sie 2022 Vize-DFB-Pokalsieger geworden. Das ist ja nicht nichts.

Ich bin total stolz. Es ging darum, in Rio dabei zu sein. Das Gefühl, dass trotz meines verschossenen Elfmeters im Endspiel alles okay ist, wurde mir damals auch schnell vermittelt. Das Pokalfinale war neben Olympia mein sportliches Highlight. Es ist natürlich etwas anderes, ob ich mit Bayern als Nummer 19 im Olympiastadion sitze, oder als Freiburger Athlet, der mit dem Verein acht Jahre lang durch dick und dünn gegangen ist. Wir waren die Gewinner der Herzen, obwohl wir das Spiel verloren haben. Das war ein wahnsinnig schöner Moment, so bitter die Niederlage auch war.

Würden Sie rückblickend etwas in Ihrer Karriere anders machen?

Ich habe immer gesagt: Dass ich mit meinen bescheidenen Mitteln 295 Bundesligaspiele machen durfte, dazu A-Länderspiele und Olympia, das hätte ich im Leben nicht gedacht. Es kam immer noch etwas dazu. Ich bin unheimlich dankbar. Ein anderer würde sagen: 'Scheiße, dass ich nichts gewonnen habe.' Ich sage: Es war nah am Maximum.

In Freiburg sind Sie dafür eine Ikone.

Ich habe mal den Spruch gehört, dass Wertschätzung die härteste Währung ist. Bei allem Geld, das im Fußball fließt und bei allen Titeln, die es gibt, ist das schon etwas Besonderes. Auch, weil ich diese Wertschätzung bei allen Vereinen, wo ich war, erfahre, wenn ich dort bin.

Sie sind der beste Joker der Bundesliga-Geschichte. Was löst das in Ihnen aus?

Es macht mich unglaublich stolz. Ich habe 89 Bundesligatore erzielt. Das ist für einen Stürmer keine Wahnsinnsquote. Für mich schon, weil ich das nie gedacht hätte. Dazu die 34 Tore nach Einwechslung. Mal schauen, wann die jemand einholt, aber so lange genieße ich noch den Platz da oben. Ich werde in einer Bundesliga-Historie namentlich erwähnt, und der Rekord ist Lohn für meine Geduld.

Was mussten Sie in all den Jahren am meisten entbehren?

Zeit. Wir hatten selten zwei Tage am Stück frei. Das kommt vielleicht dreimal im Jahr vor. Ansonsten war ich wahnsinnig viel unterwegs. Am Ende des Jahres 2022 habe ich gesehen, dass ich durch den Fußball mit Bundesliga, Europa League und DFB-Pokal über 40 Mal verreist war. Das mag der eine oder andere schön finden, aber als Profi ist man dann nicht zu Hause. Auch auf Feierlichkeiten musste ich verzichten. Wie ich auch in meinem Buch ("Bank-Geheimnis: Selbstgespräche eines Fußballprofis", Anm. d. Red.) geschrieben habe, war ich seit 17 Jahren nicht beim Geburtstag meiner Oma. Trotzdem ist es natürlich ein privilegiertes Leben als Fußballer.

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Gab es Dinge in Ihrer Karriere, die Sie als Vorsichtsmaßnahme nicht gemacht haben?

Ich hätte gerne mal das Snowboardfahren oder Surfen ausprobiert. Aber ich habe meinen Sommerurlaub immer auf Erholung ausgerichtet. Deswegen hat es uns meist nach Mallorca verschlagen, wo wir wussten, was wir bekommen. Viele Profis haben ja auch Safaris gemacht oder sind mit dem Rucksack durch Asien gewandert, aber das wollte ich nicht, weil ich wusste, dass ich die Pause optimal nutzen muss. Nicht für den Spaß, sondern für die Erholung. Das wollen wir jetzt aber ändern und haben Wochenendreisen und ein paar Städte auf der Liste, wo wir noch nie waren: Wien, Paris, Rom. Größere Reisen können wir erst machen, wenn meine Frau Urlaub hat.

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Wie sieht Ihr Alltag nun nach dem Karriereende aus?

Das Arbeitnehmerleben in der Rolle eines Fußballers ist schon sehr angenehm. Man bekommt jeden Sonntag den Trainingsplan, erfüllt ihn und bekommt dafür gutes Gehalt. Jetzt sind das Gehalt und die Organisation von außen weg, aber ich genieße es, selbstbestimmt zu sein. Ich mache die Medienarbeit zusammen mit dem Freund, mit dem ich auch das Buch geschrieben habe, gehe jede Anfrage persönlich durch und denke darüber nach. Durch das Buch habe ich aktuell auch gut zu tun. Und sonst genieße ich die Freiheit. Mit dem SC ist vereinbart, dass wir ab September/Oktober sprechen, wie es weitergeht.

Welche Vorstellungen haben Sie?

Als wir uns darüber ausgetauscht haben, dass meine aktive Laufbahn endet, waren alle fair. Sie meinten, ich soll mich melden, wenn ich möchte. Wir haben mündlich vereinbart, dass ich ein Ausbildungsprogram starte, um in das Leben oberhalb des Kabinentrakts hineinzuschauen. Ich würde gerne alle Abteilungen durchlaufen, die es gibt. Einfach das Vereinsleben, das meist im Hintergrund abläuft, kennenlernen. Ich kenne ja nur den Alltag unten. Dass ich irgendwann nicht nur Fan bin, sondern auch abhängig vom Erfolg und nah dran am Team. Ich möchte in zehn Jahren noch im Fußballbereich tätig sein. Für mich ist dieser Sport das Schönste im Leben.

Gehen Sie auch weiterhin ins Stadion?

Ich habe den Dauerkartenplatz neben Carla ergattert. Sie wird auf ihre sonstigen Begleitungen verzichten müssen, weil ich dann dabei bin. Ich habe mir den Spielplan schon angesehen und die ersten beiden Heimspiele Zeit. Ich werde regelmäßiger Gast sein und vor allem Fan, darauf freue ich mich auch.

Sie haben ein gutes Verhältnis mit Christian Streich. Werden Sie sich weiterhin mit ihm austauschen?

Ja. Wir werden nicht täglich telefonieren oder WhatsApp-Nachrichten schreiben, aber wir wohnen nicht weit voneinander entfernt. Wir haben zu viel zusammen erlebt, als dass wir uns künftig meiden würden. Er weiß genau, wenn er meinen Rat bräuchte, kann er sich jederzeit melden. Und umgekehrt.

Wie blicken Sie auf die Entwicklung in der Fußballbranche?

Ich hatte das Glück, in meiner Kindheit ohne Handy groß geworden zu sein, das ist heute anders. Ich war früher acht Stunden auf dem Bolzplatz, die Jungs heute zwei Stunden, weil es andere Möglichkeiten gibt. Auf die weitere Entwicklung bin ich durchaus gespannt. Ich bin ja auch Deutschland-vernarrt und nie ins Ausland gewechselt und schon etwas überrascht, wie viele von den jungen Spielern ins Ausland und dort ihren Weg gehen. Mich wundert zudem, wie viele Spieler die Top-5-Ligen meiden und lieber nach Saudi-Arabien wechseln. Aber vermutlich ist das der Lauf der Zeit, und es sind unfassbare Gelder im Spiel.

Sie haben immer klar Ihre Meinung gesagt. Gibt es das heutzutage zu wenig in der Branche?

Ich selber habe mich nie als Typen gesehen, fand andere Spieler wie Sandro Wagner spannender. Aber ich habe zumindest versucht, in Interviews kein Blatt vor den Mund zu nehmen und einfach authentisch zu sein. Natürlich bekommt man auch hier und da Gegenwind, dafür sind Interviews auch da. Man schafft Diskussionsgrundlagen. Die jungen Spieler meiden Medien eher, weil sie sich auf den Fußball konzentrieren und sich nicht den Mund verbrennen wollen. Ich wäre als 20-Jähriger heute wahrscheinlich genauso.

Viele Vereine und auch die Nationalelf sind auf Stürmersuche. Stirbt der klassische Stürmer aus?

Die Position ist schon lange vakant in Deutschland. Es ist aber auch so, dass ein Stürmer im 4-3-2-1-System oder im 4-4-3-System der einzige Spieler ist, der gegen zwei Verteidiger spielt. Und somit weniger Aktionen im Spiel hat. In der Jugend wollen viele das Spiel ankurbeln. Vielleicht ist die Position nicht mehr so interessant. Ich habe die Position aber geliebt. Es gibt nicht viele echte Stürmer auf dem Markt. Wenn dann jemand wie Moukoko auf dem Markt ist, wird er gehypt. Das ist dann ein Vorteil – und gut für den Marktwert (lacht).

Wie schätzen Sie die DFB-Elf ein?

Niclas Füllkrug macht es super. Besser, als jeder erwartet hätte. Er gehört zu den besten Spielern Deutschlands und auch zu den treffsichersten Europas. Mit Havertz, Reus und Werner hat das DFB-Team ja zudem weitere gute Stürmer.

Wie sehen Sie die Chancen bei der Heim-EM im kommenden Jahr?

Die Hoffnungen sind groß, die Erwartungen nicht so sehr. Wir reden uns ein, dass wir eine Turniermannschaft sind und man nicht gegen Deutschland spielen will. Aber die jüngsten Ergebnisse und Turniere haben dafür gesorgt, dass der Respekt deutlich nachließ. Auch, wenn es nur wenige Prozent sind. Der Gegner weiß, dass wir gegen Belgien, Dänemark und die Ukraine nicht gewonnen und dass wir offensichtliche Probleme haben. Ich bin auch Deutschland-Fan und wünsche mir, dass die Mannschaft wieder für Furore sorgt und alle mitnimmt. Dass sich Kinder wieder Trikots kaufen und alle bei der EM Fans sind. Das geht meist aber nur mit sportlichen Erfolgen, das kann man nicht erzwingen oder herbeireden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Nils Petersen
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