Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Diskussion um Thomas Tuchel Sie können gar nicht anders
Der FC Bayern verliert zum sechsten Mal in dieser Saison, die Champions League gilt plötzlich nicht mehr als sicher. Dennoch bleibt der Trainer, weil der Klub kaum eine Wahl hat.
Für Max Eberl und Christoph Freund war es keine Diskussion. Der Sportvorstand und der Sportdirektor des FC Bayern waren klar in der Frage, ob Thomas Tuchel Trainer bleibt. "Ja, zu hundert Prozent", sagte Freund bei Sky. "Den Gedanken (an eine Entlassung) hatte ich nicht", fügte Eberl an.
Dennoch hätte es genug Gründe für diesen Gedanken gegeben. Der FC Bayern hat zum ersten Mal seit der Saison 2010/11 mehr als fünf Bundesliga-Spiele verloren. Zudem hat Tuchel nach der Niederlage 25,5 Prozent seiner Spiele als Cheftrainer des Rekordmeisters verloren (13 von 51) – die höchste Quote seit Sören Lerby in der Saison 1991/92 (41,1 Prozent). Die Bosse der Bayern sehen aber die Mannschaft in der Pflicht. "Der FC Bayern hat schon Trainer entlassen, trotzdem steht man da, wo man steht. Es ist nicht immer nur ein Trainerproblem", betonte Eberl.
Ein Monat voller Rückendeckung
Es ist die Fortsetzung einer klaren Linie. Schon Anfang März, vor dem Rückspiel gegen Lazio im Champions-League-Achtelfinale, hatte Eberl klargemacht, dass Tuchel auch im Falle eines Ausscheidens Trainer bleibe. "Ja, momentan gibt es keine andere Meinung", sagte er beim Streamingdienst Prime Video.
Zwei Wochen später betonte er im Interview mit der "Sport Bild", dass er hinter dem Beschluss seiner Kollegen stehe, sich erst im Sommer von Tuchel zu trennen. "Es gab keine Diskussion, keinen Gedanken, dass wir an dieser Entscheidung nicht festhalten werden", so Eberl, der erst zwei Wochen nach dem beschlossenen Aus des Trainers in München anfing.
Auch nach dem 0:2 gegen den BVB in der vergangenen Woche stellte sich der 50-Jährige hinter Tuchel: "Man kann natürlich den nächsten Trainer rauswerfen und sagen: Wieder der nächste Trainer und wieder der nächste Trainer. Also es sind da schon noch die Jungs auf dem Platz, die ihre Leistung bringen müssen."
Eberl war schon zu Gladbacher Zeiten dafür bekannt, lange an Trainern festzuhalten, ihnen das Vertrauen zu schenken. Dazu steht er auch jetzt.
Wer hätte es machen sollen?
Gleichzeitig hat die Chefetage des FC Bayern auch ein Problem: Mannschaft und Trainer passen offensichtlich nicht mehr wirklich zusammen. Auch nach dem 2:3 gegen Heidenheim am Samstag hatte Thomas Tuchel keine Erklärung für den Einbruch in der zweiten Hälfte. Am Sky-Mikrofon sagte er zu den Gründen lediglich: "Keine Ahnung."
Und das wenige Tage vor dem bisher wichtigsten Spiel der Saison. In London trifft der deutsche Rekordmeister im Hinspiel des Champions-League-Viertelfinals auf den FC Arsenal. Die Königsklasse ist der letzte Wettbewerb, in dem die Bayern noch Titelchancen haben. Im DFB-Pokal sind sie raus, in der Bundesliga 16 Punkte hinter Spitzenreiter Leverkusen.
Thomas Tuchel sofort zu entlassen, hätte den Bayern-Bossen nach den letzten Wochen nicht nur in ihrer Glaubwürdigkeit einen Kratzer verpasst. Es hätte sie auch vor die schwierige Aufgabe gestellt, bis Dienstag einen Trainer zu finden, der die Mannschaft kennenlernt und für das Arsenal-Spiel richtig einstellt. Verfügbare Trainer aus der Kategorie Hansi Flick oder Zinédine Zidane werden dieses Risiko wohl kaum eingehen, schließlich könnte ihr Ruf erheblichen Schaden nehmen, sollte das Projekt schiefgehen. Gerade, wenn sie für eine Rolle ab Sommer bei anderen Vereinen – Flick beim FC Barcelona, Zidane bei Juventus Turin – im Gespräch sind.
Damit bleiben nur Trainer aus einer anderen Kategorie übrig. Namen mit Bayern-Vergangenheit wie Miroslav Klose oder Tim Walter, die kurz nach dem Abpfiff von einzelnen Fans in Foren oder sozialen Medien als Wünsche kursierten, wären ein immenses Risiko gewesen. Wenn so ein Projekt nicht funktioniert, wäre die Unruhe im Klub nur noch größer.
In der Zwickmühle
Es hätte für einen neuen Trainer mehr Vorlaufzeit benötigt, um noch mitten in der Rückrunde Impulse setzen zu können. Die Länderspielpause im März wäre solch ein Zeitpunkt gewesen. In diese ging Tuchel aber mit einem 3:0 gegen Lazio Rom, einem 8:1 gegen Mainz und einem 5:2 gegen Darmstadt. Sich dann, wenn es nach einer Wende aussieht, vom Trainer zu trennen, hätte den Druck auf die Bosse erhöht und die Frage nach dem "Warum jetzt?" aufgeworfen.
So hielt der Rekordmeister an seiner Entscheidung fest – und steckt einige Wochen und zwei Niederlagen aus zwei Spielen später in dieser Zwickmühle fest. Jetzt müssen die Münchner hoffen, dass Tuchel die Mannschaft zumindest für die Champions League irgendwie erreicht. Es sei "schwer zu beantworten", wie er jetzt einen positiven Impuls setzen wolle, gab der Trainer bei Sky zu: "Wir setzen ihn schon. Aber wir setzen ihn morgen oder übermorgen, wir haben noch zwei Tage Zeit."
Sportvorstand Eberl appellierte zudem an die Ehre der Spieler: "Wir sollten uns heute alle ein Stück weit schämen. Und wir sollten gucken, dass wir relativ schnell das Bayern-Wappen würdiger vertreten." Eine mögliche Interpretation der Aussage: Wenn nicht für den Trainer, dann wenigstens für die Fans und den Anspruch an sich selbst. Thomas Müller hatte diesen relativ schnell. Er selbst sei "fast schon wieder im Kampfmodus Richtung Dienstag", kündigte der Weltmeister an. Auch da werde die Mannschaft "wieder alles geben", versicherte er.
Das Szenario für ein vorzeitiges Tuchel-Aus
Einen neuen Trainer sucht Max Eberl in jedem Fall. Die Gespräche laufen bereits seit Wochen. Eine Entscheidung, wer Thomas Tuchel ab Sommer beerben soll, gibt es noch nicht. Einen zweiten, kurzfristigen Trainer bis Sommer will Eberl nicht suchen.
"Es ist für mich völlig klar, dass er am nächsten Dienstag auf der Bank sitzt und am Samstag gegen Köln auf der Bank sitzt", stellte Eberl klar, auch wenn Tuchel gegen Köln aufgrund einer Gelbsperre tatsächlich auf der Tribüne sitzen wird.
Der Sportvorstand machte aber auch klar, was die Mindestanforderung für den Noch-Trainer ist. "Wir müssen schon gucken, die Champions League zu erreichen", so Eberl bei Sky. Angesichts von nur noch sieben Punkten Vorsprung auf den BVB auf Rang fünf ist das gar nicht mehr so sicher, wie einige dachten.
Sollten die Bayern also in den letzten sechs Saisonspielen, bei denen es unter anderem noch nach Stuttgart und Berlin geht, weitere Punkte auf die Verfolger einbüßen, könnte Eberl doch noch die Reißleine ziehen. Bleibt nur die Frage, auf wen er dann setzt.
- Eigene Beobachtungen
- TV-Übertragung des Spiels 1.FC Heidenheim gegen FC Bayern München auf Sky
- sport1.de: "Tuchel-Aus? Eberl legt sich fest"
- transfermarkt.de: "Sören Lerby"
- bild.de: "Warum mit Tuchel auf jeden Fall Schluss ist" (kostenpflichtig)
- t-online.de: "Interne Zweifel an drei Kandidaten – Bosse unter Druck"
- Nachrichtenagenturen SID, dpa