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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-Profi vor Topspiel "Bayern-Krise? Dortmund ist der Gradmesser"
Wenn am Samstagabend der FC Bayern in Dortmund zu Gast ist, schaut ganz Fußball-Deutschland hin. Doch wie stehen die Chancen vor dem Topspiel?
Punktgleich gehen Borussia Dortmund und Bayern München ins Topspiel am Samstagabend (ab 18:30 Uhr im Liveticker bei t-online). Beide Teams haben 15 Zähler auf dem Konto – und wollen den jeweils anderen hinter sich lassen.
Thomas Helmer kennt beide Vereine bestens, spielte sowohl für Schwarz-Gelb (223 Spiele) als auch Rot-Weiß (244 Spiele). Vor der Partie hat Helmer bei t-online ausführlich über das Topspiel gesprochen.
t-online: Herr Helmer, Borussia Dortmund empfängt am Samstagabend den FC Bayern zum Topspiel der Bundesliga. Beide Teams sind punktgleich. Erwarten Sie auch ein Duell auf Augenhöhe?
Thomas Helmer: Wir reiben uns ja alle etwas verwundert die Augen, weil es das Duell Dritter gegen Vierter ist und nicht Erster gegen Zweiter. Ich sehe die Bayern leicht im Vorteil und halte sie für etwas stärker. Sie haben zum richtigen Zeitpunkt zwei Spiele gewonnen, viele Tore dabei geschossen und keinen Gegentreffer bekommen. Es hilft schon, dass sie nach der Kritik der letzten Wochen diese Erfolgserlebnisse hatten. Sie mögen solche Spiele, um ihre Stärke zu demonstrieren. Aber auch Dortmund hat nach der 2:3-Niederlage in Köln mit dem 4:1 in Sevilla zurück in die Erfolgsspur gefunden. Diese Reaktion war auch mit Blick auf die internen Zweifel und externen Diskussionen wichtig.
Werden die beiden Teams auch in dieser Saison die Meisterschaft unter sich ausmachen?
Ich hätte es Leipzig schon zugetraut, dass sie da mitmischen können. Aber nach dem schlechten Start wird das schwierig. Bayern gegen Dortmund ist das Spiel schlechthin, sie sind die beiden Titelkandidaten. Ich hoffe, dass der BVB den Münchnern dieses Mal Paroli bieten kann, damit es ein bisschen spannend bleibt.
Haben die Münchner ihre Herbstkrise mit dem 4:0 gegen Leverkusen und dem 5:0 gegen Pilsen bereits überwunden?
Das waren dankbare Gegner. Dortmund ist jetzt der Gradmesser und wird zeigen, ob die Bayern-Krise beendet ist. Bis auf das Spiel gegen Leverkusen haben die in der Bundesliga zuletzt ja nicht gerade überzeugt. Der BVB kann Bayern schon zurück in die Krise schießen.
Wie kritisch war diese Situation bereits für Julian Nagelsmann?
Ich glaube nicht, dass er in irgendeiner Form bei Bayern infrage gestellt wurde. Und wenn man aus so einer negativen Spirale wieder rauskommt, dann stärkt das einen. Das war für ihn eine ganz wichtige Erfahrung.
Die Leistungen seines Teams zeigen bislang große Ausschläge in beide Richtungen. Wo liegt die Wahrheit?
Auch in den Spielen, die sie nicht gewonnen haben, hatten sie unzählige Torchancen. Da hat nur die Effektivität gefehlt, die letzte Konzentration. In der Offensive sind sie richtig stark und für alle Teams nur sehr schwer aufzuhalten. Diese Power nach vorne ist gewaltig.
Aus Dortmund sind auch von Klubboss Hans-Joachim Watzke weiter forsche Töne zu hören. Hätte der BVB dafür die Schwächephase der Bayern nicht besser ausnutzen müssen?
Dortmund hat noch nicht so super überzeugt. Da waren viele knappe Siege dabei und unnötige Niederlagen in Köln und gegen Bremen. Es ist aber völlig legitim, dass Watzke angriffslustig ist. Er möchte auch mal wieder gewinnen, nachdem die letzten acht Duelle verloren gingen. Jetzt muss nur auch die Mannschaft mal so auftreten, wie er das gerade vorgibt. Bayern zu schlagen, würde ihnen neues Selbstvertrauen geben, den Glauben an sich und die Meisterschaft stärken. Endlich mal ein Zeichen zu setzen, dieses Erfolgserlebnis würde dem BVB extrem guttun.
Bayern hatte zuletzt Probleme mit tief stehenden Teams, der BVB überzeugte vor allem defensiv. Kann Dortmund ihnen damit Probleme bereiten?
Ein ganz wichtiger Faktor war Mats Hummels. Seitdem er nicht mehr spielen konnte, hat es da hinten deutlich mehr gescheppert. Er ist mit 33 ein bisschen älter und schon infrage gestellt worden. Seine Reaktion darauf ist herausragend. Er würde Dortmund sehr fehlen, wenn er nicht spielen sollte. In der Form, in der er war, ist er der stärkste und stabilste Innenverteidiger.
Stefan Effenberg schrieb in seiner t-online-Kolumne, dass Hummels für ihn so auch in der Nationalelf bei der WM gesetzt sein müsste. Gehen Sie da mit?
Wenn es nach Leistung geht, so wie Effe und ich das auch noch kennen, und Hummels weiter dieses Level hält, auf jeden Fall. Erst recht, wenn einer gut drauf ist und noch dazu die Erfahrung hat. Man muss ihm vielleicht seine Rolle erklären und definieren. Aber dann sehe ich da auch in der Nationalelf nicht so viele andere, die besser sind.
Auch, weil Niklas Süle nach seinem Wechsel aus München noch nicht wirklich in Dortmund angekommen ist?
Seine Leistungen sind noch zu schwankend, er muss konstanter werden. Aber wenn er in Topform ist, muss er sich vor keinem anderen Innenverteidiger verstecken, auch nicht vor denen der Bayern, die auch nicht immer Topleistungen abliefern.
Sie sehen das Abwehrduo, das Dayot Upamecano und Matthijs de Ligt dort aktuell bilden, also kritisch?
De Ligt hat zuletzt bei der Nationalelf überhaupt nicht mehr gespielt. Da müssen wir mal abwarten, um ihn richtig einschätzen zu können.
Was fehlt Ihnen bei de Ligt, der eigentlich als Abwehrchef geholt wurde, konkret?
Vielleicht braucht er noch Eingewöhnungszeit. Gegen Pilsen hat er im Spielaufbau viele leichte Fehler gemacht. Das war nicht das, was man heutzutage von einem Innenverteidiger und Abwehrchef erwartet. Da muss er sich steigern.
Und Upamecano?
Seine Entwicklung zeigt klar nach oben. Auch bei ihm hatte ich letzte Saison das Gefühl, dass er sich erst in München zurechtfinden muss. Ich halte sehr viel von ihm. Er bringt alles mit für einen perfekten Innenverteidiger: Schnelligkeit, ist körperlich robust, kann einen guten Ball spielen. Er macht mittlerweile einen viel sichereren Eindruck.
In der Offensive haben beide Teams mit Erling Haaland und Robert Lewandowski ihren zentralen Stürmer verloren. Welches Fehlen schmerzt mehr?
Wenn man sieht, was Haaland gerade in Manchester abliefert, hat sein Abschied Dortmund mehr getroffen als der von Lewandowski die Bayern. Die haben vor allem am Anfang der Saison schon gezeigt, dass es auch ohne ihn geht. Beides sind herausragende Stürmer, aber der Verlust für Dortmund wiegt schwerer.
Der BVB spielte im Angriff zuletzt meist mit Anthony Modeste, in Sevilla nun mit dem 17-jährigen Youssoufa Moukoko. Auf wen würden Sie setzen?
Sie können froh sein, beide zu haben. Die Nachverpflichtung von Modeste war zu dem Zeitpunkt fast logisch. Da gab es kaum jemanden, der den Mittelstürmertyp verkörpert. Aber Moukoko gehört die Zukunft. Das ist fast schon ein Luxusproblem.
Mit Jamal Musiala bei den Bayern und Jude Bellingham, der beim BVB sogar Kapitän ist, gehören zwei 19-Jährige bereits zu den Hauptprotagonisten ihrer jeweiligen Mannschaft. Beeindruckend, oder?
Darauf können wir uns auch beim Topspiel definitiv freuen: Bellingham gegen Musiala. Das sind zwei absolute Ausnahmetalente, die den Unterschied ausmachen können. Für diese Spieler geht man ins Stadion und schaut ihnen gerne zu. Sie sind schnell, dynamisch, torgefährlich – bringen alles mit, was man sich als Fußballfan wünscht. Ich bin sehr gespannt darauf.
- Interview mit Thomas Helmer