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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Schalke-Manager Heidel lobt Erzrivalen BVB für "brutal gute Entscheidungen"
Am Sonntag ist das Derby gegen den BVB. Schalke-Boss Heidel spricht vorher im Interview mit t-online.de über das 4:4 in der Hinrunde und erklärt, warum Trainer Tedesco über Bayern nicht mal nachdenken würde.
Schalkes Vorstand Christian Heidel hat den Verein gemeinsam mit Trainer Domenico Tedesco auf Platz zwei in der Bundesliga und somit auf Champions-League-Kurs gebracht. Vor dem Derby am Sonntag gegen Borussia Dortmund (15.30 Uhr, im Liveticker bei t-online.de) erklärt er, wie das 4:4 in der Hinrunde auch die Zukunft von Schalke beeinflusst. Heidel verspricht, dass Tedesco noch lange bleibt und glaubt, dass sein Trainer auch nicht über ein Angebot des FC Bayern nachdenken würde. Und: Heidel erzählt von seinem ersten Gespräch mit Thomas Tuchel ...
t-online.de: Herr Heidel, Sonntag ist das Derby gegen den BVB. Im Hinspiel gab es das schon jetzt legendäre 4:4, bei dem Schalke einen 0:4-Rückstand aufgeholt hat …
Christian Heidel (54): Das Spiel hat ganz Schalke zusammengeschweißt und in der eigenen Wahrnehmung unheimlich starkgemacht. Ein 0:4 aufholen zu können und das sogar in Dortmund, das gibt einer Mannschaft natürlich Selbstvertrauen. Dieses Spiel ging in die Derby-Historie ein. Wenn wir mal 0:2 oder 0:3 zurückliegen, wird es auch in Jahren oder Jahrzehnten auf der Tribüne noch heißen: "Warte mal ab – wir haben damals auch ein 0:4 in Dortmund aufgeholt." Das war besser als ein 1:0-Sieg.
Beim BVB herrschte in den vergangenen Wochen Untergangsstimmung. Haben sie auch das Gefühl, dass Schalke seit Jahren mal wieder weniger Baustellen hat als der BVB?
Borussia Dortmund hatte eine überragende Zeit und hat alles richtig gemacht. Mit der Verpflichtung von Jürgen Klopp und Thomas Tuchel haben sie zwei brutal gute Entscheidungen getroffen und Weltklasse-Trainer gehabt. Jetzt sind sie – nach neun erfolgreichen Jahren – mal wieder in einer Phase, wo sie sich neu aufstellen müssen. Und das werden sie auch hinbekommen, weil der Verein eine große Kraft hat.
Und Schalke?
Hier herrscht eine große Aufbruchsstimmung, wir haben das Gefühl, auf einem guten Weg zu sein. Wir haben den ganzen Profibereich auf den Kopf gestellt: eine neue medizinische Abteilung sowie ein neues Scoutingsystem installiert, außerdem bauen wir derzeit eine komplett neue Infrastruktur. Aber dieser Prozess wird noch Jahre andauern und es wird auch Rückschläge geben. Doch das wird uns nicht mehr umwerfen, weil der Verein inzwischen sehr stabil geworden ist.
Sie selbst haben diese grandiosen Trainer Klopp und Tuchel in Mainz entdeckt, bevor sie zu Dortmund gegangen sind. Trauen Sie Ihrem aktuellen Trainer Tedesco eine ähnliche Karriere zu wie den beiden?
Ich möchte Domenico nicht einen solchen Rucksack aufsetzen, weil ich weiß, was daraus entstehen kann. Dann heißt die Überschrift auf einmal: "Heidel sieht in Tedesco den neuen Klopp oder Tuchel". Ich will es anders formulieren.
Das ist Christian Heidel
Geboren am 2. Juni 1963 in Mainz, absolvierte Heidel nach dem Abitur eine Bankausbildung, wurde dann kaufmännischer Geschäftsführer eines mittelständischen Autohauses. Von 1992 bis 2016 war Heidel Vorstand und Manager beim FSV Mainz, wo er die Trainer Jürgen Klopp und Thomas Tuchel entdeckte und zu Cheftrainern beförderte. Seit zwei Jahren ist Heidel als Vorstand und Manager beim FC Schalke.
Gerne.
Ich glaube mit felsenfester Überzeugung, dass der Trainer die wichtigste Person in einem Fußballverein ist. Er ist am nächsten dran an dem, worum es am Ende geht: An der Mannschaft, die mit dem sportlichen Erfolg oder Misserfolg alles entscheidet. Das ist mir durch Jürgen Klopp bewusst geworden. In den 90er-Jahren habe ich in Mainz regelmäßig die Trainer gewechselt. Wir waren immer ein Abstiegskandidat in der 2. Bundesliga. Dann kam Jürgen Klopp, der das komplett anders angegangen ist.
Und dann?
Da habe ich erfahren, dass ein sehr guter Trainer aus einer durchschnittlichen Mannschaft eine gute machen kann. Und später habe ich auch festgestellt, dass ein schwächerer Trainer aus einer guten Mannschaft eine durchschnittliche oder sogar schlechte Mannschaft machen kann. Das zeigt die Wertigkeit des Trainerjobs. Es gibt so viele Beispiele in Deutschland und international, die das belegen. Trainer machen den Unterschied aus. Davon bin ich hundertprozentig überzeugt.
Was bedeutet das in Bezug auf Tedesco?
Bei Domenico Tedesco habe ich von Beginn an sehr, sehr vieles gehört, gesehen und verstanden, was mich an die sehr guten Trainer erinnert hat, die ich schon hatte: Von der Herangehensweise, von der Rhetorik, aber auch von der Idee und vom Auftritt her.
Woran genau machen Sie das fest?
Wenn man sich mit einem Trainerkandidaten unterhält, gibt es danach zwei Möglichkeiten. Entweder man denkt danach über das Gespräch überhaupt nicht mehr nach oder man setzt sich selbst noch mal stundenlang hin und grübelt über das nach, was er erzählt hat. Nach meinem ersten einstündigen Gespräch mit Tuchel – vor seiner Einstellung als Jugendtrainer in Mainz – habe ich danach noch eine Stunde da gesessen und gedacht: "Was war das denn gerade?"
Und bei Tedesco?
Bei Domenico ging es mir so ähnlich. Er hat mir nicht nach dem Mund geredet, weil er den Job wollte, sondern auch widersprochen. Es gibt Trainer, die geben dir in so einem Gespräch sogar recht, wenn du ihnen erzählst, dass der Ball viereckig ist. Ich hatte schon beim ersten Gespräch das Gefühl: Da ist etwas Besonderes.
Sie klingen begeistert.
Er geht seinen Weg, er geht keinen Schwierigkeiten aus dem Weg. Er ist authentisch, ehrlich und korrekt. Und er ist hochintelligent. Meiner Erfahrung nach ist das die Grundvoraussetzung für einen guten Trainer. Und er hat ein brutales Fachwissen, unabhängig davon, dass er nie in der Bundesliga gespielt hat. Früher war die Ansicht in Deutschland, dass ein guter Trainer vorher als Spieler 200 Bundesligaspiele und 30 Länderspiele gemacht haben muss.
Sonst wisse er gar nicht, wovon er redet …
Genau (lacht). Klopp hat in der zweiten Liga weiter gestoppt als geschossen. Tuchel hat – glaube ich – ein paar Spiele in der dritten Liga gemacht. Mourinho, Rangnick: Diese besonderen Trainertypen waren keine erfolgreichen Profis. Und das habe ich früh verstanden. Man muss sich davon lösen, dass man das Fußballspiel nur dann verstehen kann, wenn man es selbst gespielt hat. Bei Domenico hatte ich mich eigentlich schon nach dem ersten Gespräch entschieden, obwohl ich es damals noch niemandem verraten habe.
Warum nicht?
Wir haben weitere Gespräche mit ihm geführt. Dabei hat er uns erklärt, wie er unsere Mannschaft sieht und was er anders machen würde. Es war hochinteressant zu hören, wie er sie trainieren würde. Einen guten Trainer zeichnet aus, dass man das, was man unter der Woche trainiert, am Wochenende auch auf dem Platz sieht. Was unseren Spielern so gefällt: Sie bekommen für jedes Spiel einen Plan.
Das ist der Unterschied?
Ich habe auch Trainer gehabt, die zehn Minuten vor dem Training nicht wussten, was sie trainieren lassen sollen. Bei ihm ist akribische Vorbereitung angesagt.
Hoffen Sie, dass Tedesco langfristig auf Schalke bleibt?
Er wird langfristig bleiben – Punkt (energisch). Ich hatte Trainer immer langfristig, außer – um es klar zu sagen – ich war nicht überzeugt von ihnen. Ich habe mit Kloppo mal sieben Spiele in Folge verloren und danach zweimal unentschieden gespielt, da war es in Mainz auch nicht gerade ruhig. Da hieß es auch: Denk mal über den Trainer nach. Aber Kloppo hätte auch noch drei weitere Spiele verlieren können und ich hätte an ihm festgehalten, weil er der beste Trainer war, den es für Mainz gab.
Ist Tedesco momentan der beste Trainer, den es für Schalke gibt?
Ja, ich kann mir keinen besseren vorstellen und kein Szenario, das das ändern könnte. Schalke hat jetzt die große Chance, hier etwas kontinuierlich und nachhaltig aufzubauen.
Haben Sie keine Angst, dass Ihr Trainer mittelfristig von einem Topklub weggelotst werden könnte?
Schalke ist unter den Top-Klubs der Welt – mit einem wahnsinnigen Potenzial. Da muss schon einiges kommen, dass der Trainer sagt: Ich muss jetzt unbedingt woanders hingehen. Wer Domenico kennt und erlebt, wie er sich emotional der Sache hier verschrieben hat, der kann sich gar nicht vorstellen, welcher Verein da kommen soll.
Was macht sie so sicher?
Es gibt bestimmt ein paar größere Klubs, es gibt aber kaum einen Klub mit mehr Emotionen als Schalke. Und Domenico ist Halb-Italiener, der braucht das (lacht). Ich habe jeden Tag den Eindruck, dass Domenico extrem glücklich hier ist und die Aufgabe ihn total erfüllt. Wir beide wissen, dass wir hier noch viele Schritte vor uns haben. Ob man dann bei einem Klub, der sportlich noch ein bisschen besser steht und vielleicht ein paar Euro mehr bezahlt, auch diese Erfüllung hat, weiß ich nicht.
Fakt ist aber auch, dass der erfolgreichste deutsche Verein für die nächste Saison einen Trainer sucht und sich auch in der Bundesliga umguckt.
Er ist jetzt zehn Monate hier und sein Job ist noch nicht erledigt – genau wie bei Kloppo in Liverpool. Ich kann nicht für ihn sprechen. Mein Eindruck: Domenico würde darüber überhaupt nicht nachdenken, weil er weiß, dass er hier in diesem großen Verein mit 32 Jahren und 12 Zweitligaspielen im Rücken eine Chance bekommen hat. Domenico ist ein Mensch mit einem großen Pflichtgefühl, der etwas zurückgeben möchte. Da gibt es nullkommanull Chancen.
Der Vertrag von Tedesco soll sich bei einer Europacup-Quali um zwei Jahre bis 2021 verlängern. Schalke soll auch ohne Europa die Chance haben, diese Option zu ziehen.
Über vertragliche Dinge werde ich mich in der Öffentlichkeit nie äußern. Aber ich bin da ganz entspannt.
Sie haben gesagt, wir sollten Schalke nicht kleiner machen als es ist. Trotzdem verlassen junge Spieler wie Leon Goretzka und Max Meyer den Verein. Hätten Sie Verständnis, wenn Meyer innerhalb der Bundesliga zu Leipzig oder Hoffenheim wechseln würde?
Es geht überhaupt nicht um Verständnis. Das wäre eine Entscheidung, die wir akzeptieren würden.
Wenn Meyer jetzt noch zu Ihnen kommen würde und um eine Verlängerung bitten, würden Sie ihm noch eine Hintertür offen halten?
Max und sein Berater planen die Zukunft von Max und ich plane mit dem Trainer die Zukunft von Schalke. Ich würde immer mit Max sprechen, wenn er zu mir kommt. Ob dabei aber noch eine Vertragsverlängerung herausspringen würde, lasse ich einfach mal offen.
Haben Sie keine Bedenken, nachdem schon Goretzka seinen Wechsel zu Bayern verkündet hat?
Nein. Leon ist ein super Spieler, das ist gar keine Frage. Aber gucken sie die Statistik an, wie viele Spiele wir auch ohne ihn gewonnen haben. Es ist schade, dass er geht, aber wir werden das kompensieren. Das wird Schalke nicht das Genick brechen, ebenso wenig wie der Weggang von Max Meyer. Der Stamm bleibt zusammen. Mit Mark Uth kriegen wir einen perfekten Spieler, der auf verschiedenen Positionen spielen kann und vor dem Tor die Chancen eiskalt nutzt – das fehlt uns ein bisschen. Wir werden andere Spieler verpflichten, die Schalke weiter verbessern werden. Wichtig ist, dass der Klub agiert und nicht wartet, bis ein Berater anruft und einen Spieler anbietet. Wir wollen diejenigen sein, die zuerst zum Hörer greifen.