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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mika Häkkinen "Vettel wäre für jedes Team eine große Verstärkung"
Der zweimalige Weltmeister erklärt, warum durch die Corona-Krise die Lage für die Formel 1 so ernst ist – und welche Folgen eine kürzere Saison für das Verhalten der Fahrer haben könnte.
Die Corona-Krise hat seit Wochen auch die Formel 1 voll erfasst: Der ursprüngliche Saisonstart in Australien Anfang März wurde verschoben, auch die folgenden neun Rennen wurden entweder abgesagt oder auf ein noch unbestimmtes Datum verlegt. Was für Folgen drohen der Königsklasse dadurch?
Mika Häkkinen beobachtet die aktuelle Situation ganz genau. Der zweimalige Weltmeister mit McLaren Mercedes (1998, 1999) und langjährige Rivale von Michael Schumacher ist heute Unternehmer, hat die Business-App "iNZDR" mitinitiiert, fährt gelegentlich auch noch Rennen. Der Formel 1 ist er aber trotzdem als Experte verbunden geblieben. Im Interview mit t-online.de spricht der Finne über die finanzielle Lage der Teams, direkte Folgen für das Geschehen auf der Strecke – und auch über die Zukunft von Sebastian Vettel.
Und dazu exklusiv bei t-online.de: Formel-1-Legende Mika Häkkinen beantwortet Leser-Fragen. Bitte nutzen Sie dazu die Kommentarfunktion unter diesem Artikel oder in der iNZDR-App. Die Antworten erscheinen bald auf t-online.de.
t-online.de: Der Saisonstart der Formel 1 ist aktuell für den 5. Juli beim Großen Preis von Österreich geplant – also mit fast vier Monaten Verspätung. Wie hätte der Fahrer Mika Häkkinen die lange Wartezeit verbracht?
Mika Häkkinen (51): Das ist eine gute Frage (überlegt). Diese Situation ist ja für alle neu und kompliziert, nicht nur für die Fahrer. Seit dem Saisonende 2019 in Abu Dhabi lief der Plan ja so ab: Winterpause, Testphase, und nun eine erneute Pause. Gefahren wurde also kaum. Das heißt aber nicht, dass man sich nicht weiter vorbereiten kann…
Das müssen Sie erklären.
Die Fahrer konnten Zeit mit ihren Familien verbringen, dazu gibt es heute alle Möglichkeiten, auch zuhause Fitness, Explosivität, Ausdauer und Reaktionsschnelligkeit zu trainieren. Dazu ist auch die Entwicklung im E-Sport und bei den Simulatoren spannend. Aber um damit Ihre Frage zu beantworten: Ich würde mich jetzt voll auf die Dinge konzentrieren, die ich selbst beeinflussen kann, die ich selbst in der Hand habe.
Sind Sie denn zufrieden mit den Entscheidungen von Formel 1 und FIA?
Ich beneide sie nicht um ihre Lage. Denn ein großes Problem ist ja, dass sich die Situation in der Corona-Krise ständig verändert. Was wir heute wissen, wussten wir vor wenigen Wochen noch nicht, also können Entscheidungen natürlich immer nur anhand der aktuellen Informationslage getroffen werden. Und dann müssen auch noch die Anteilseigner von Liberty Media (Eigentümer der Formel 1, Anm. d. Red.), die FIA, die Fans, die Teams, die Sponsoren und die Austragungsorte zufriedengestellt werden, wenn das mal reicht (lacht). Da kann es in erster Linie nur darum gehen, sicherzustellen, dass die Formel 1 weiter die Rennserie Nummer eins bleibt. Es ist also mindestens kompliziert (lacht).
Kompliziert kann die aktuelle Lage auch für die Teams werden. Finanzielle Engpässe werden befürchtet…
Jedem sollte klar sein, dass die Situation kritisch ist. Jedes Team ist betroffen, aber einige natürlich schwerer als andere. Schauen Sie sich nur mal an, wo das Geld der großen Teams herkommt. Ist da das Kerngeschäft betroffen? Ja! Ein Beispiel: Ich habe erst kürzlich gelesen, dass Google sein Marketing-Budget für die zweite Jahreshälfte 2020 um 50 Prozent gekürzt hat. Das bedeutet also, dass Google höchstwahrscheinlich auch weniger Sponsoring als üblich betreiben wird. Und wenn das in der Wirtschaft zum Trend wird, dann wird es auch für die Formel-1-Teams schwer, weil jeden Tag Ausgaben anfallen, die Einnahmen dann aber unsicher sind.
Ob Geisterrennen oder weitere Verschiebungen: Ein Saisonstart scheint damit ja schon finanziell wichtig. Was wäre Ihre Ideallösung?
Als Fan wünsche ich mir natürlich, dass die Saison so schnell wie möglich wieder losgeht. Aber selbstverständlich muss absolut sichergestellt sein, dass Menschen nicht gefährdet werden und die Gesundheit weiter an allererster Stelle steht. Und dazu muss man sich nach den Gesundheitsexperten und Medizinern richten und ihre Ratschläge befolgen, wie die Rennen so sicher wie möglich ausgetragen werden können – ob mit oder ohne Fans. Wenn die Saison dann erst mal losgeht, stellt sich aber auch den Fahrern eine große Herausforderung.
Was meinen Sie genau?
Jeder einzelne Fehler könnte noch gravierendere Folgen haben als sonst – denn wenn es weniger Rennen gibt, gibt es auch weniger Chancen, verlorene Punkte wieder aufzuholen. Fahrer werden auf der Strecke weniger Risiken eingehen, sondern kühl kalkulieren.
Wenn es denn mal weitergeht, könnte Mercedes-Pilot Lewis Hamilton seinen siebten WM-Titel gewinnen. Ist er erneut der Top-Favorit?
Lewis ist ein sehr reifer Fahrer, er macht wenig bis gar keine Fehler, kennt sein Auto in- und auswendig und lernt immer noch weiter dazu. Dass er schon sechs WM-Titel gewonnen hat, ist ja kein Zufall. Wenn Mercedes ihm wieder so ein schnelles und zuverlässiges Auto stellt, dann wird es für den Rest des Feldes ganz, ganz schwer.
Wem trauen Sie noch eine starke Saison zu?
Die "großen Drei" Mercedes, Ferrari und Red Bull werden weiter ganz vorne sein. Natürlich wäre es aber auch im Sinne der Fans schön, wenn es auch mal neue Teams und Fahrer auf das Podium schaffen. Ich hoffe ja, dass meine Freunde bei McLaren weitere Fortschritte machen und Carlos Sainz und Lando Norris öfter aufs Treppchen kommen.
Mercedes-Chef Toto Wolff wurde zuletzt mit einem Wechsel zu Aston Martin in Verbindung gebracht – halten Sie es für möglich, dass er die Silberpfeile verlässt?
Ich bin vor fast 30 Jahren in die Formel 1 gekommen. Gerüchte um Fahrer, Teams oder Ingenieure hat es schon immer gegeben. Toto kenne ich auch schon lange, ich schätze ihn nicht nur als Menschen, sondern auch für seine Verdienste um Mercedes und die ganze Formel 1. Er ist ein großartiger Botschafter für unseren Sport. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er bei einem neuen Team wie Aston Martin (die Briten kehren 2021 in die Formel 1 zurück, Anm. d. Red.) im Gespräch ist. Aber bei der aktuellen Lage, was die Saison 2020 und auch 2021 angeht, glaube ich, dass er bei Mercedes gut genug ausgelastet ist.
Bei Ferrari gibt es anhaltende Spekulationen um die Zukunft von Sebastian Vettel, dessen Vertrag Ende 2020 ausläuft. Wie sehen Sie die Situation des Deutschen bei der Scuderia?
Sebastian ist eine große Persönlichkeit, nicht nur wegen seiner vier WM-Titel. Letztes Jahr wurde ihm mit Charles Leclerc ein sehr talentierter junger Teamkollege an die Seite gestellt, der sich sofort sehr gut integriert hat…
… und ihm gleich die Rolle des ersten Fahrers streitig macht. Vettel selbst scheint eine Veränderung ja auch nicht auszuschließen.
Ich glaube, Sebastians Zukunft hängt einzig und allein von seiner persönlichen Motivation ab. Vom Alter her kann er noch viele Jahre mitfahren. Das Leben eines Formel-1-Fahrers verlangt dir viel ab und nimmt einen großen Teil deines Lebens ein. Wenn Sebastian nach dieser Saison also weitermachen will, dann wäre er eine große Verstärkung – für jedes Team.