Kritik an Versammlungsbehörde Polizei nach Stuttgart-Demo: "Das versteht keiner – auch wir nicht"
Die Kritik am Umgang mit den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen ist groß. Die Polizei aber weist sie von sich: Die Stadt sei schuld, dass nicht durchgegriffen werde, sagt der Landesvorsitzender der Polizeigewerkschaft.
Nach ausufernden Demonstrationen mit Tausenden Masken- und Abstandsverstößen in Stuttgart hat die Deutsche Polizeigewerkschaft die Stadt scharf kritisiert. "Das versteht keiner – auch wir nicht. Während in anderen Teilen des Landes die Versammlungsbehörden und die Polizei hart und konsequent reagieren und agieren, scheint es so, dass in Stuttgart alles möglich ist", sagte Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft am Sonntag. Wenn sich durch die Ereignisse die Infektionszahlen erhöhten, schade das der gesamten Bevölkerung.
Mehr als 10.000 Menschen – größtenteils ohne Masken und Abstand –hatten nach Angaben der Polizei am Karsamstag in Stuttgart bei einer Kundgebung der "Querdenken"-Bewegung gegen die Corona-Politik demonstriert. Hunderte Beamte waren im Einsatz, schritten wegen der Verstöße gegen die Corona-Regeln aber kaum ein. Das rief viel Kritik hervor – ebenso wie Angriffe auf Journalisten.
"Stadtverwaltung drückt sich um Entscheidungen"
Solche Demonstrationen könnten verboten werden, sagte Kusterer. "Friedlich und ohne Waffen heißt in Pandemiezeiten mit Abstand und mit Maske. Wer sich daran nicht hält, verhält sich asozial und macht sich strafbar". Die Zuständigkeit für ein Verbot liege bei der Stadt, die Polizei werde aber kritisiert, weil sie nicht eingeschritten sei. "Offensichtlich scheint es ein Missverständnis zu geben, wenn die Stuttgarter Stadtverwaltung und damit die Versammlungsbehörde sich um klare Entscheidungen drückt und der Polizei dann den Mist vor die Füße kippt."
Die Polizei muss laut Kusterer in die Lage versetzt werden, konsequent einschreiten zu können, wenn die Versammlungsbehörde wie in Stuttgart patze. "Hier erwarte ich Vorarbeiten und Vorgaben des Innenministeriums, klare gesetzliche Regelungen der Landesregierung und den klaren politischen Rückhalt."
"Schlag ins Gesicht": Gesundheitsminister will Demos in Zukunft verbieten
Auch Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) kritisierte die Demonstration in Stuttgart scharf. Er wolle nun alles dafür tun, dass sich solche Proteste mit Tausenden ohne Maske und Abstand nicht wiederholen. "Das, was gestern passiert ist, ist ein Schlag ins Gesicht all jener, die sich an die Pandemieregeln halten. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Gefährdung und dazu geeignet, die dritte Corona-Welle zu befördern", sagte Lucha am Sonntag.
Den Demonstranten sei es nicht um Freiheitsrechte gegangen, sondern darum, die demokratische Grundordnung zu stören. In der kommenden Woche werde es Gespräche mit der Stadt geben. "Wir werden die Situation analysieren", kündigte Lucha an.
Seiner Ansicht nach gibt die derzeit gültige Corona-Verordnung des Landes ein Verbot solcher Massenversammlungen her. Deshalb halte er eine Anpassung der Corona-Verordnung für nicht nötig.
Stadt Stuttgart: "Wir haben das Beste daraus gemacht"
Die Stadt Stuttgart sieht das anders. Sie verteidigt ihr Vorgehen bei der aus dem Ruder gelaufenen Demonstration. "Ich glaube, wir haben das Beste daraus gemacht", sagte Ordnungsbürgermeister Clemens Maier der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag. Bei den Demonstrationszügen, die sich zur zentralen Kundgebung der "Querdenken"-Bewegung auf den Cannstatter Wasen aufgemacht hatten, seien am Schluss 15.000 Teilnehmer gezählt worden.
"Wenn die Polizei die Versammlung auf Geheiß der Versammlungsbehörde aufgelöst hätte, hätte sie versuchen müssen, 15.000 Menschen nach Hause zu schicken", so Maier weiter. Diese wären aber nicht freiwillig gegangen. Die Polizei hätte massiv Gewalt einsetzen müssen. All das sei in Gesprächen mit der Polizei durchgespielt worden. "Wir können die Stadt nicht abriegeln."
Maier interpretiert die Rechtslage anders als Gesundheitsminister Lucha: Nach wie vor sei er der Ansicht, dass die Corona-Verordnung ein Verbot solcher Massenversammlungen nicht hergebe, sagte er.
Die Frage, die sich die Politiker vielmehr stellen müssten, sei, warum Menschen keine Masken tragen wollten, sagte Maier. "Warum erreicht die Politik Teile der Gesellschaft nicht? Das ist das eigentliche Problem", betonte der Ordnungsbürgermeister.
Insgesamt waren am Samstag mehr als 1.000 Polizisten im Einsatz. Zwei Wasserwerfer standen laut Maier bereit. Die baden-württembergischen Beamten wurden unterstützt von der Bundespolizei sowie von Polizisten aus Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen.
- Nachrichtenagentur dpa