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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Import nach Deutschland Millionen Schnelltests landen in Nürnberg – eine kuriose Geschichte
Am Nürnberger Flughafen kommen derzeit Millionen Corona-Schnelltests an. Das zuständige Unternehmen veranstaltet eigentlich Festivals – und ist jetzt ein führender Lieferant von Antigentests.
Etwa eine Million "Passagiere" haben die Dreamliner, die derzeit in Nürnberg landen. Alle 48 Stunden kommt am Flughafen derzeit eine Boeing 787 an, die normalerweise 200 bis 300 Menschen transportiert. Aktuell an Bord: eine Million Antigen-Schnelltests. Normalerweise werden solche Waren mit Frachtflugzeugen transportiert, doch die sind derzeit ausgebucht. Also stapeln sich die Kisten mit den Tests nun auf den Sitzen und in der Kabine des Dreamliners, selbst die Gepäckfächer werden vollgeladen. Die Pandemie erfordert Anpassungen.
Das kann wohl kaum jemand besser unterstreichen als Lion Heuschkel. Mit seiner Firma Kingline GmbH ist er verantwortlich für die Schnelltests, die derzeit in Nürnberg ankommen und dann in ganz Deutschland ausgeliefert werden. Während die Flugbranche von Passagier- auf Frachtflüge umsteigt, hat er von Bühne und Bass auf Stäbchen und Masken umgesattelt. Eigentlich veranstaltet das Unternehmen Festivals, unter anderem die "Sommerliebe" am Dutzendteich. Als die Pandemie zuschlug, war Heuschkel plötzlich beschäftigungslos. Jetzt ist er mit Kingline einer der größten Lieferanten von Schnelltests in Deutschland. "Das ist eigentlich total verrückt", sagt er gegenüber t-online.
"Wir hatten zu Beginn von Tuten und Blasen keine Ahnung"
Angefangen hat alles mit 1.000 Masken, die Heuschkel für seinen Bekanntenkreis beschaffte, als man sie kaum irgendwo herbekam. Mittlerweile importiert Kingline zusammen mit einer in Paderborn ansässigen Partnergesellschaft selbst aus China – und aus den 1.000 Masken sind 100 Millionen Teile geworden: Schnelltests, Masken, Schutzkittel.
Etwa ein Fünftel bis ein Viertel aller in Deutschland verwendeten Antigen-Schnelltests, schätzt Heuschkel selbst, hat Kingline importiert. Er beliefert nicht nur Apotheken und Altenheime in Mittelfranken, sondern deutschlandweit DAX-Konzerne, alle großen Einzelhandelsketten und vier Landesregierungen, darunter auch Bayern. Wenn ein Kind in einer bayerischen Schule einen Schnelltest durchführt, ist dieser also mit hoher Wahrscheinlichkeit zuvor in Nürnberg gelandet.
Ganz reibungslos ging dieser Aufschwung nicht immer vonstatten. "Wir hatten zu Beginn ja von Tuten und Blasen keine Ahnung", gibt Heuschkel unumwunden zu. Ware wurde nicht rechtzeitig ins Flugzeug gebracht, kam beschädigt oder durchnässt an oder war gefälscht. "Wir hatten auch die Größenverhältnisse gar nicht vor Augen", erzählt er weiter.
Die Doppelgarage seines Wohnhauses in Erlangen benutzte Kingline anfangs als Zwischenlager. "Dann fuhren plötzlich die Sattelzüge ins Wohngebiet", lacht Heuschkel. "Die kamen dann gar nicht mehr raus und mussten mit sieben, acht Helfern wieder rausmanövriert werden. Das war eigentlich Irrsinn, ein Bild für die Götter."
Nürnberger Flughafen als "Hauptdrehscheibe"
Mittlerweile unterhält Kingline deutschlandweit mehrere Zentrallager, die von der Firma gecharterten Flugzeuge mit Schnelltests an Bord landen nicht nur in Nürnberg, sondern auch in Frankfurt Hahn und Leipzig. "Nürnberg", betont Heuschkel aber, "ist unsere Hauptdrehscheibe für Deutschland". Über die Hälfte der Ware komme dort an. "Die anderen Flughäfen sind zurzeit überlastet mit Frachtflugzeugen", erklärt er. "Da dauert es nach der Landung teilweise Tage, bis es weitergeht."
Hintergrund: Leipzig und Frankfurt Hahn sind – anders als Nürnberg – ausgewiesene Frachtflughäfen und daher derzeit viel gefragt. Der Albrecht Dürer Airport kann deshalb den Prozess schneller abwickeln – und muss in einer Zeit, in der der Passagierverkehr zum Teil zum Erliegen gekommen ist, ohnehin verstärkt auf das zweite Standbein setzen. "Wir als Flughafen bemühen uns aktuell verstärkt um das Frachtgeschäft, das auch unabhängig von der Pandemie läuft", erklärt Flughafensprecher Christian Albrecht.
Vorerst bis Ende Mai soll noch jeden zweiten Tag ein Flugzeug mit einer Million Schnelltests an Bord in Nürnberg landen. "Danach müssen wir weiterschauen", betont Heuschkel. "Wir sind da vorsichtig und beobachten den Verlauf der Pandemie." Denn eigentlich hofft er, nicht mehr allzu lange mit Schnelltests und Masken handeln zu müssen.
Sein Team besteht derzeit aus 25 Mitarbeitern, die allesamt ihre Arbeit durch Corona verloren haben, viele kommen aus der Gastronomie. Man sei bei Kingline zwar dankbar, durch das Schnelltest-Geschäft während der Pandemie Arbeit zu haben, sagt Heuschkel, "aber wir würden alle gerne in unseren alten Job zurück".
- Gespräche mit Lion Heuschkel und Christian Albrecht
- Eigene Recherchen