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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Zerschnitten und beschmiert Bücher als Angriffsziel für Radikale – wie sich Bibliotheken wehren
Die Gemüter sind aufgeheizt in der politischen Debatte. Bibliotheken sind seit jeher Quell des Wissens. Wie wappnen sie sich gegen mögliche Angriffe auf politische Bücher?
Winnetou, Sarrazin und Co.: In den Regalen der Büchereien dieser Welt steht nicht nur reihenweise Lese-, sondern auch Diskussionsstoff. Bücher sind häufig kontrovers, manchmal provozieren sie sogar. Wie stark sind Büchereien schon in den Fokus von Radikalen geraten?
In einer Berliner Stadtbibliothek war das Entsetzen groß, als Mitarbeiter Bücher entdeckten, die offensichtlich aus politischen Gründen beschädigt worden waren: zerschnitten und beschmiert. Der Leiter spricht von einem "antidemokratischen Akt".
Auch die Universitätsbibliothek der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) beschäftigt das. Dort habe es zwar noch keine politischen Zerstörungen gegeben. Dafür aber die Forderung, Bücher eines bestimmten Autors zu entfernen. Das erklärt eine Sprecherin der FAU im Gespräch mit t-online. Der Wunsch sei von einer Privatperson an die Bibliothek herangetragen worden.
Es handle sich um Bücher von Michael Winterhoff, einem "äußerst umstrittenen Kinderpsychiater, gegen den Strafanzeige wegen seiner Arbeitsmethode gestellt wurde". Die Universitätsbibliothek aber versteht sich als Ort der wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Deshalb seien sie der Forderung nicht nachgekommen.
Politische Buchbeschädigungen: Uni als Ort der Auseinandersetzung
Vielmehr stehen andere Bücher auf dem Index: "Von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indizierte Medien dürfen nicht frei zugänglich aufgestellt werden", erklärt die FAU-Sprecherin. Dies seien unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien, heißt es auf der entsprechenden Webseite. Wer solche Bücher für seine Forschung braucht, muss sein Forschungsinteresse nachweisen, etwa durch eine Bestätigung seines Lehrstuhls.
Auch in der Stadtbibliothek in Nürnberg sei das Personal sensibilisiert, Diebstahl wie Sachbeschädigung zu erkennen. Das erklärt Rita Kamm-Schuberth, die die Öffentlichkeitsarbeit unter anderem der Bibliothek der Stadt Nürnberg leitet. Bislang aber habe es hier keine mutwillig oder erkennbar politisch motivierten Zerstörungen von Büchern gegeben.
Freier Zugang zu Information
Kernauftrag der Bücherei sei es immerhin, freien und ungehinderten Zugang zu einem umfassenden und ausgewogenen Informationsangebot zu ermöglichen, betont die Sprecherin. Dazu gehörten auch gesellschaftlich und politisch kontrovers diskutierte Titel. "Von diesen wird in der Regel ein Exemplar für das Gesamtsystem angeschafft." Davon ausgenommen seien die indizierten Medien. Am liebsten werden laut der Sprecherin Kindermedien ausgeliehen, genauso wie fremdsprachige Bücher oder Lernhilfen.
In Berlin waren es im Sommer 2021 übrigens sieben Bücher, die absichtlich beschädigt wurden. Sie alle setzten sich kritisch mit rechtspopulistischen Strömungen in der Gesellschaft oder linken Vordenkern wie Karl Marx auseinander. Der Leiter sprach von einer "deutlich rechtsextremen Motivation". Es ist dort nicht der erste Vorfall dieser Art. Und es sei nicht der materielle Schaden, der schmerze, sondern die politische Symbolkraft, die dahinterstecke – das sagte Boryano Rickum in einem Interview.
Gedenkveranstaltungen zu Bücherverbrennungen 1933
In Nürnberg und Erlangen fühlt man sich verpflichtet, an ein wichtiges historisches Ereignis zu erinnern, das sich 2023 zum 90. Mal jährt. Und das die Politisierung und Bedeutung von Büchern schmerzhaft vor Augen führt. Am 10. Mai 1933 wurden in deutschen Städten Tausende Bücher verbrannt. Die "Aktion wider den undeutschen Geist" der nationalsozialistisch dominierten Deutschen Studentenschaft richtete sich gegen jüdische und andere verfemte Autoren.
Dem will sich die Nürnberger Stadtbibliothek mit einer interaktiven Ausstellung sowie Vorträgen und Workshops widmen. Auch die FAU will mit einer Gedenkveranstaltung daran erinnern. Immerhin gehe es in den Bibliotheken laut Kamm-Schuberth um Vermittlungsarbeit und den Umgang mit Informationen mit all seinen Facetten.
- Anfrage an FAU
- Anfrage an Stadtbibliothek
- spiegel.de: "Hinter der Tat sehe ich eine deutliche rechtsextreme Motivation" (13.8.21)
- bzkj.de: Homepage (1.12.22)