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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Alt und jung kämpfen gemeinsam Schummelt Vonovia bei den Nebenkosten? Mieter sammeln Beweise
Mieter in Leipzig beschuldigen den Immobilienkonzern Vonovia, absichtlich die Nebenkosten hochzutreiben. Sie prüften jahrelang Belege und Abrechnungen.
Wolfgang Schmidt* steht im Innenhof des Häuserblocks in Leipzig, in dem er seit mehr als 50 Jahren wohnt, und blickt auf die Sandgrube zu seinen Füßen. Bloß, Sand kann man das nicht wirklich nennen, was hier in einem etwa zehn mal fünf Meter großen Becken liegt. Das Gemisch unter der Rutsche ist gräulich und mit Laub und groben Kieselsteinen durchzogen.
Über diesen Zustand ärgert sich Schmidt. Noch mehr gräme ihn aber, dass sein Vermieter, der Immobilienkonzern Vonovia, über die Nebenkosten einen Tausch des Spielsandes abrechne. "2019 wurden für 14 Kubikmeter Sand fast 1.200 Euro abgerechnet und 2020 stehen für sechs Kubikmeter über 800 Euro auf der Abrechnung", erzählt er.
Wolfgang Schmidt und andere Mieter des Carrés sind sich aber sicher, dass der Sand 2019 gar nicht getauscht wurde und im Folgejahr zumindest nicht in dem angegebenen Umfang.
Mieter in Leipzig: "Reinigung von Räumen abgerechnet, die es gar nicht mehr gibt"
Von solchen Beispielen kennt Schmidt viele, denn der Rentner guckt sich die Nebenabrechnungen ganz genau an. So führe Vonovia unter seinen Leistungen die "Reinigung der Gemeinschaftsräume" auf. "Dabei gibt es die schon seit vielen Jahren nicht mehr." Schmidt ist sich sicher: "So verdient Vonovia an Leistungen, die gar nicht erbracht werden."
Vonovia ist Deutschlands größter Wohnungsvermieter. 2017 erwarb der Immobilienkonzern die Schönefelder Höfe im Leipziger Osten, ein "schönes und intaktes Gründerzeitquartier", wie der Konzern auf seine Homepage angibt.
Mit mehr als 3.000 Bewohnerinnen und Bewohnern in rund 1.600 Wohnungen ist es für Vonovia laut eigener Aussage der größte zusammenhängende Bestand in Leipzig. Vor Ort gibt es ein Büro, das einen direkten Kontakt zum Unternehmen ermöglichen soll. Die Stimmung im Quartier sei gut, sagt ein Sprecher des Unternehmens auf Anfrage von t-online.
Das sieht Wolfgang Schmidt anders. Schon mit der vorherigen Eigentümerfirma hatte es manchmal Ärger gegeben, erzählt er, aber insgesamt seien die Nebenkosten "moderat und nachvollziehbar" gewesen. Nachdem Vonovia übernommen hatte, seien seine Nebenkosten plötzlich in die Höhe geschossen, sagt er. Seine Nebenkostenabrechnung beinhaltete plötzlich einen Posten für Warmwasser, obwohl er gar nicht an die Warmwasserversorgung des Hauses angeschlossen sei, weil er seinen eigenen Boiler habe, klagt Schmidt.
Vorwürfe gegen Immobilienkonzern: "Warum sollen wir zweimal zahlen?"
Vonovia habe zudem die Hauswarte des Vorgängerunternehmens durch neue Objektbetreuer ersetzt. Diese hätten laut einer Auflistung von Vonovia plötzlich zahlreiche neue Aufgaben übernommen, die den Mieterinnen und Mietern ebenfalls in Rechnung gestellt worden seien.
So pflegten die Objektbetreuer angeblich den Garten an der Spielfläche, deren Sand laut Schmidt nicht getauscht wird. "Eine Tochterfirma von Vonovia stellt aber ebenfalls den Posten Gartenpflege in Rechnung", sagt der Rentner. "Warum sollen wir das zweimal zahlen?"
Vonovia hingegen sieht die Probleme als gelöst an. Der Spielsand sei getauscht und gereinigt worden, die Reinigung der Gemeinschaftsräume habe man 2020 aus den Abrechnungen entfernt, die Abrechnung der Warmwasserkosten seien korrigiert worden. Der Objektbetreuer führe vor Ort Kontrollen durch, die eine eigene Leistung darstellen würden. "Vonovia erbringt umlagefähige Dienstleistungen professionell und rechtmäßig – und rechnet sie korrekt ab", sagt Matthias Wulff, ein Sprecher des Unternehmens.
Jahrelang ärgerte Schmidt sich über seinen Vermieter, legte Einspruch ein und schrieb Widersprüche. "Es hat mich viele Nerven gekostet", sagt er. Vor etwa drei Jahren bekam er mit, dass eine Gruppe junger Menschen die Mieter der Schönefelder Höfe zu Treffen einlud, um sich zu vernetzen.
Einer dieser jungen Menschen ist der 28-jährige Marc René Schwerhoff. Der Student ist so wie die meisten Mitinitiatoren der Mietergemeinschaft Schönefelder Höfe selbst kein Mieter von Vonovia. Er begründet seine Motivation mit einem "stadtpolitischen Interesse". Er und seine Mitstreiter gingen in den Schönefelder Höfen von Tür zu Tür, führten Gespräche und verteilten Informationen. Zum ersten Treffen kamen dennoch nur etwa 20 Leute.
Leipzig: "Viele sagen, lass mich damit in Frieden"
"Während der Lockdowns war es schwierig, Leute zu mobilisieren", erzählt Schwerhoff. Wolfgang Schmidt sieht noch einen anderen Grund: "Viele sagen, lass mich damit in Frieden. Junge Menschen mit gutem Gehalt wollen sich damit nicht beschäftigen und die älteren Mieter blicken nicht mehr richtig durch."
Schmidt, Schwerhoff und ihre Mitstreiter forderten zuerst Belege über die Betriebskosten bei Vonovia an. Und staunten nicht schlecht, als sie mehrere Kartons mit jeweils 1.600 doppelseitig bedruckten Dokumenten erhielten.
Das sei Teil einer Strategie, die Vonovia bundesweit verfolge, meint Knut Unger, Sprecher des "MieterInnenvereins Witten" und der "Plattform kritischer Immobilienaktionär*innen". Ebenso wie die Mieter der Schönefelder Höfe ist er außerdem Mitwirkender des "VoNO!via-MieterInnenbündnis". Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Unternehmen.
"Mit so viel Material ist der einzelne Mieter überfordert", erklärt Unger. So ging es auch den Mietern der Schönefelder Höfe, bis sie die Belege gemeinsam systematisch durcharbeiteten. Aber die Dokumente seien nicht wirklich aufschlussreich, sagen sie.
"Verträge sind teilweise unvollständig und es wird keine Einsicht in die Originale gewährt. Vonovia legt auch keine prüffähigen Belege über tatsächliche Zahlungen vor", berichtet Marc René Schwerhoff. Eigentlich handle es nur um Ausdrucke aus dem internen Buchungssystem. "Das Unternehmen legt die tatsächlichen Kosten nicht offen."
Mieterinitiative: "Ist die komplexe Struktur des Unternehmens ein Trick?"
Auch hierin sieht Unger das Kalkül des Unternehmens. Das nämlich habe sich über die Jahre eine komplexe Struktur mit vielen Tochterunternehmen aufgebaut, die als Dienstleister auftreten. "Vom Konzern beherrschte Dienstleistungsunternehmen schreiben Rechnungen über angebliche Nebenkosten an die ebenso vom Konzern beherrschten Grundeigentumsgesellschaften", sagt er.
Vonovia argumentiere, dass es sich hier um eigenständige Unternehmen handle. "Das aber trifft schon nach dem Aktiengesetz nicht zu. Die Rechnungen der Tochterunternehmen hat der Konzern sich selbst ausgestellt", sagt Knut Unger. Es handle sich also um konzerninterne Umbuchungen, nicht um tatsächliche Rechnungen. "Vonovia macht so Rendite mit den Betriebskosten, die teilweise konstruiert werden", meint Unger.
Vonovia hingegen sagt, dass die Erbringung von Dienstleistungen durch eigene Kolleginnen und Kollegen eine hohe Qualität zu fairen Preisen garantiere. Dadurch würden die durchschnittlichen Nebenkosten im Bereich des Betriebskostenspiegel des Deutschen Mieterbundes liegen. Außerdem sende der Konzern nur die Belege, die nötig sind. Bei größeren Mietobjekten fielen aber eben mehr Belege an. "Dass unser Vorgehen korrekt ist, hat außerdem der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen bestätigt," so Unternehmenssprecher Wulff. Damit verweist das Unternehmen auf ein Urteil vom Oktober 2021.
Damals hatten Mieter aus Dresden geklagt, weil sie Einsicht in die Reinigungskosten des Wohnumfeldes erlangen wollten. Hier verloren die Mieter, da im von Vonovia vorgelegten Vertrag Preisangaben standen.
Das Gericht entschied, dass Mieter kein generelles Einsichtsrecht in die tatsächlichen Kosten der Vonovia-Subunternehmen hätten. Verschiedene Mietervertretungen kritisieren aber, dass der Bundesgerichtshof sich nicht ausreichend mit der Konzernstruktur auseinandergesetzt habe.
Es gab allerdings ein zweites Urteil des Bundesgerichtshofes. Die Mieter aus Dresden hatten nämlich auch gefordert, die Rechnungen des Objektbetreuers einsehen zu können. Hier sprach das Gericht den Mietern dieses Recht zu, um prüfen zu können, "ob tatsächlich nur die der Immobilien Service GmbH erstandenen Kosten auf sie umgelegt wurden". Ein Recht darauf, konkrete Leistungen und vertraglich festgelegte Einzelpreise offen zu legen, sah das Gericht aber auch hier nicht gegeben.
Mit steigenden Energiekosten könnte sich die Lage im Herbst zuspitzen
Mehr als 100 Mieter der Schönefelder Höfe in Leipzig haben mittlerweile Einwendungserklärungen gegen die Betriebskostenabrechnungen unterzeichnet. Außerdem unterschrieben verschiedene Gruppen im Frühjahr 2021 einen Offenen Brief an den Immobilienkonzern.
Darin fordern sie transparente Abrechnungen für alle Vonovia-Mieter. Mit den steigenden Energiekosten könnte sich die Lage ab Herbst und im kommenden Jahr zuspitzen, denkt Knut Unger. "Es könnten für jede Wohnung hohe Mehrkosten anfallen", sagt er. "Wir meinen aber, dass Vonovia in den letzten Jahren genug Gewinne gemacht hat und die Mehrkosten, die jetzt anfallen könnten, nicht auf die Mieter umlegen sollte."
Wenn Mieter die Abrechnung erhalten haben, sollten sie gemeinschaftlich den Beleg fordern und bis dahin Erhöhungen und Nachforderungen zurückbehalten, rät Unger. Wer Kostensteigerungen befürchtet, sollte zur Sicherheit Geld zurücklegen. Vonovia seinerseits hat angekündigt, die Nachttemperaturen der Gaszentralheizungen auf 17 Grad herabsetzen zu wollen. So sollen auch die Mieter Kosten sparen.
* Name von der Redaktion geändert
- Eigene Recherchen, Gespräche und Beobachtungen vor Ort
- Bundesgerichtshof.de: Urteile des BHG zu den Aktenzeichen VIII ZR 102/21 und VIII ZR 114/21
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