Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Oben-ohne-Verbot im Freibad Liebe Wessis, macht euch mal locker!
Die Diskussion ums Oben-ohne-Verbot in Freibädern ist verklemmt und typisch westdeutsch. Im Osten ist man da längst weiter.
Okay, ich gebe es gleich zu: Ich komme aus dem Osten und noch dazu von der Ostsee. Nackte Menschen beim Baden finde ich völlig normal, ich bin damit aufgewachsen. Mama, Papa, Opa, Oma, meine Jugendkumpels und auch Kumpelinen: alle waren immer nackt beim Baden – glücklich, frei und goldbraun gebrannt. So lebten wir.
Eines Tages kamen Menschen an den Strand, die sich eigenartig verhielten. Von riesigen Strohhüten beschattet und in weißes Leinenzeug gewandet, staksten sie durch den heißen Sand und beglotzten uns, die nackten Eingeborenen. Ich ahnte Schlimmes.
Tatsächlich: Verschämt begann einer, sich ein Handtuch um die Hüfte zu schlingen und darunter mit umständlichen Verrenkungen in die Badehose zu wechseln. Ich zerbiss vor Schreck meinen Strohhalm, denn nun war klar, womit wir es zu tun hatten: Wessis!
Sie ertragen keine nackten Körper, denn sie denken dabei nur an Sex. Und das macht sie unruhig. Schuld daran ist ein Mix aus Kirche, Ehegattensplitting und Kapitalismus – Zustände, die wir im Osten längst überwunden hatten.
Die Badekleidung: Nichts als ein nasser Lappen
Wir Nackedeis waren weder Nudisten noch FKKler, keine Hippies oder Orgiasten. Nein, es war so einfach am praktischsten und auch am schönsten. Warum soll man zum Schwimmen und Sonnen etwas anziehen? Das ergibt, denkt man mal darüber nach, keinen Sinn. Die Badehose ist das sinnloseste Kleidungsstück aller Zeiten. Nichts als ein nasser Lappen.
Auch historisch gesehen fühlten wir, die Nackten, uns auf der richtigen Seite: Menschen haben jahrtausendelang nackt gebadet. Der Zwang zur Badeklamotte stammt aus der Zeit, in der das Spießbürgertum erfunden wurde, um die Menschen zu knechten. Und damit wären wir auch beim eigentlichen Thema: Das Oben-ohne-Verbot in westdeutschen Freibädern und der Protest dagegen.
Dass es auch heutzutage in einigen Teilen unseres Landes tatsächlich verboten ist, in Freibädern auch nur das Bikinioberteil auszuziehen, hat mich ein wenig verblüfft. Leben wir denn noch in den Fünfzigerjahren? Warum soll es unsittsam, sogar verboten sein, dass Frauen oberkörperfrei zum Baden gehen?
Doch es stimmt, die Hausordnungen vieler Freibäder schreiben vor, primäre und sekundäre Geschlechtsmerkmale beim Besuch zu verdecken. Gern wird das Argument angeführt, Kinder müssten vor schockierenden Anblicken geschützt werden. Aber mal im Ernst: Welches Kind schert sich denn ernsthaft darum, ob Tante Heide und Onkel August nebenan nackig sind? Traumatisiert werden Kinder, wenn man ihnen vermittelt, Körper, so wie sie sind, wären irgendwie anstößig, dreckig und schlecht.
Feministischer Protest gegen Oben-ohne-Verbot: Es gibt kein richtiges Leben im falschen
Feministische Gruppen und eine Hamburger Lokalpolitikerin thematisierten die Verbote jüngst und forderten: "Free the nipples!", Freiheit für die weibliche Brust. Es ging ihnen darum, dass auch Frauen gestattet sein soll, was Männer dürfen.
Leider wird aber auch der durchaus berechtigte Protest von feministischen Gruppen gegen das Oben-Ohne-Verbot einigermaßen spießig ausgeführt. Sie sind eben auch nur die Kinder ihrer Eltern. In Bremen beispielsweise präsentiert man sich gleichsam stolz und empört oberkörperfrei in sozialen Medien. Wen interessiert das eigentlich?
Da werden Busen in die Kamera gehalten, als wäre das irgendwas Besonderes. Ist es aber nicht. Die Fünfziger sind vorbei. Das alles wirkt ebenso peinlich wie Nacktradeldemos, auch so eine verklemmte westdeutsche Spezialität.
Die Reichweite, die von den Protestierenden hier hergestellt wird, basiert auf genau demselben Prozess, den sie so hart kritisieren, nämlich einem völlig durchsexualisierten Blick des Publikums auf ihre nackte Brust. Aber es gibt kein richtiges Leben im falschen.
Nackte Körper sind keine Pornografie, sie haben mit Sex nichts zu tun
Wenn allerdings alle beim Baden einfach nackt herumlaufen, dann stellt sich in kurzer Zeit ein ganz erstaunlicher Effekt ein: Es interessiert plötzlich kein Schwein mehr. Ich kann das aus jahrzehntelanger Praxis bestätigen.
Das Sexuelle verliert sich schnell, wenn an einem öffentlichen Ort alle Leute nackt sind. Das Pornografische existiert nämlich nur in unseren Köpfen. Also, in euren Köpfen, genau genommen. Von so was muss an sich befreien, es ist nicht schwer.
Nackte Körper an sich sind keine Pornografie, sie haben nichts mit Sex zu tun. Nur Sex hat was mit Sex zu tun. Also, liebe Wessis, kleiner Rat von drüben: Macht euch mal locker! Wenn ihr wollt, zieht blank, wenn nicht, lasst es bleiben. Ist auch okay. Und schafft diese Nacktverbote ab, das ist ja peinlich.
- Eigene Erfahrungen
- Twitter: Posting von "Feministischer Streik Bremen" am 16. Juli 2022