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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Keine Trendwende in Sicht Was Massenaustritte für das Kölner Erzbistum bedeuten
2021 erreichte die Zahl der Kirchenaustritte im Kölner Erzbistum Rekordhöhe. Ein Trend, der nicht ohne Folgen bleibt.
Noch nie sind so viele Menschen aus der Kirche ausgetreten wie jetzt. Allein das Erzbistum Köln verzeichnete im vergangenen Jahr einen Verlust von 19.340 Kirchenangehörigen – fast doppelt so viele wie im Rekordjahr 2019.
Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Bereits jetzt rechnet das Bistum damit, dass bis 2030 ein Viertel der Gläubigen aus der katholischen Kirche austreten wird. Das macht sich auch finanziell bemerkbar: schon 2022 mit einem geschätzten Jahresfehlbetrag von 27,5 Millionen Euro.
Doch was bedeutet das für die weit über Tausend kirchlichen Trägereinrichtungen in Köln? In der evangelischen Kirchengemeinde in Zollstock führte der Austrittstrend bereits zu einer Kitaschließung – und die Sorgen wachsen.
Erzbistum Köln: Seelsorge besonders betroffen
Solch ein Szenario könnte auch in katholischen Einrichtungen eintreten. "Die finanziellen Auswirkungen der Kirchenaustritte machen sich eher zeitverzögert bemerkbar", sagt Monsignore (Msgr.) Markus Bosbach, Leiter der Hauptabteilung für die Entwicklung Pastoraler Einheiten im Erzbistum. Am gravierendsten träfen die Veränderungen den seelsorgerischen Bereich in den Gemeinden vor Ort. "Wir spüren insgesamt einen großen Druck auf das System", sagt er.
Was den Abbau von kirchlichen Einrichtungen angehe, könne er heute noch keine verlässliche Prognose machen. So soll das finanzielle Defizit in diesem Jahr noch durch Rücklagen ausgeglichen werden.
"Wir verteilen die zur Verfügung stehenden Finanzmittel auf ganz verschiedene Bereiche kirchlichen Tuns", sagt Bosbach. "Bei zurückgehender Finanzkraft bedeutet das die Notwendigkeit einer Diskussion über pastorale Schwerpunkte. Wenn wir etwa katholische Kitas im heutigen Umfang erhalten wollen, müssen wir anderswo das Engagement deutlich zurückfahren", erklärt Bosbach.
Austrittstrend "Folge längerer Entfremdung"
Die finanziellen Auswirkungen sind nicht der einzige Aspekt, der Bosbach Sorge bereitet. Schon jetzt müssen wegen eines Mangels an Personal und Priestern immer mehr Gemeinden zusammengelegt werden. Bis 2030, schätzt das Erzbistum, werde sich die Zahl von Priestern, Diakonen und Referenten von derzeit 1.000 beinahe halbieren.
"Prognosen sehen den Zuwachs an Pastoralen Diensten bei rund acht Personen pro Jahr. Dies wird nicht ausreichend sein, um den Rückgang auszugleichen", heißt es aufseiten des Erzbistums. Bereits jetzt gebe es nicht genug Pfarrer, um alle Seelsorgebereiche zu leiten, erklärt Bosbach. Dass ein Pfarrer für mehrere Bereiche zuständig ist, ist gängige Praxis.
"Der Austrittstrend hat viele Gründe, ist aber oft die Folge längerer Entfremdung", sagt er. Zuletzt hatte dies eine aktuelle Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (SIEKD) herausgestellt. Fehlt der Pfarrer, fehlt auch die kirchliche Ansprache und Teilhabe für die Gläubigen vor Ort, was zu weiterer Entfremdung und in der Folge zu weiteren Kirchenaustritten führt.
Katholische Kirche: Die Ansprache ist nicht mehr da
Eine selbsterfüllende Prophezeiung, die auch Annemarie Hoffmann [Name geändert, Anm. d. Red.] seit Jahren in ihrer Gemeinde bei Köln beobachtet. "Es kümmert sich keiner mehr", sagt sie.
"Der Priester war immer der, der die Fäden in der Hand hatte und für die Seelsorge zuständig war." Heute springe der Dechant aus einer benachbarten Stadt lediglich ersatzweise ein. Eine Lösung, um den Posten langfristig zu besetzen, gebe es nicht.
"Ich kann die Austritte sehr gut verstehen, wenn keine Ansprache mehr da ist", erklärt Hoffmann. "Früher ging das viel über die Kinder und Jugendlichen, etwa über die kirchlichen Pfadfindergruppen. Heute haben wir nicht mal mehr einen Priester."
Kita in Porz: "Die kirchlichen Feiertage werden weiter gefeiert"
Hinzu käme, dass gerade junge Leute häufiger umzögen. "Ich habe eine Heimatgemeinde und wohne seit 50 Jahren hier. Mir ist alles vertraut", erzählt Hoffmann, die über ihr Ehrenamt stark in die Gemeinde eingebunden ist. "Wenn ich jetzt umziehen würde, wüsste ich nicht, ob ich in der neuen Gemeinde Kontakt finden würde."
In der katholischen Kita in Porz, in der Maike Breuer (19) einen Teil ihrer Ausbildung zur Erzieherin gemacht hat, sei das weniger ein Problem, berichtet sie. "Bei uns müssen die Kinder nicht Mitglied in der katholischen Kirche sein, aber die kirchlichen Feiertage wie Ostern oder Weihnachten werden weiterhin ganz normal gefeiert."
Manchmal nehme die Kita auch an dem monatlichen Kindergottesdienst in der benachbarten Kirche teil, einige Kinder helfen bei der Gottesdienstvorbereitung. "Die Kinder wissen noch nicht so viel, um sich kritisch mit dem Thema Kirche auseinanderzusetzen", sagt Breuer. In ihrer Generation spüre sie die Auswirkungen der Skandale dagegen deutlich. "Es passieren sehr viele Dinge, wo man sich fragen muss, ob man da wirklich hintersteht."
Verwaltungsreform soll Ressourcen einsparen
Dass sich immer mehr Erwachsene von der katholischen Kirche entfremdet fühlen, macht sich bislang vor allem auf personeller Ebene bemerkbar. Das Erzbistum will dieser und künftigen finanziellen Auswirkungen von Kirchenaustritten und demografischem Wandel begegnen. Neben einem wirtschaftlichen Rahmenplan hat es auch eine umfassende Verwaltungsreform auf den Weg gebracht.
Unter dem Titel #ZusammenFinden sollen bis Ende 2022 die 178 Seelsorgebereiche im Erzbistum zu 60 Pastoralen Verwaltungseinheiten zusammengeführt werden. Bereits jetzt sind mehrere Gemeinden zu je einem Seelsorgebereich zusammengefasst.
"Wir stellen schon seit vielen Jahren einen Rückgang der kirchlichen Aktivität fest. Nicht erst seit der jüngeren Krise, die das sicherlich noch einmal verstärkt hat. Und natürlich stellen wir auch einen Rückgang der Finanzkraft fest", sagt Bosbach. "Wir brauchen einen anderen Bezugsraum, in dem die Gemeinden gemeinsam in die Zukunft gehen, ihre Ressourcen planen und dann auch einsetzen können."
Gemeinden sollen von unten nach oben organisiert werden
Auf ein zentralistisches System mit je einer großen Gemeinde solle es jedoch nicht hinauslaufen, das Leben in den Gemeinden auch zukünftig erhalten bleiben.
"Wir wollen den Orten ermöglichen, auch weiter Gemeinde zu sein, wo die Menschen miteinander ihren Glauben leben und feiern", erklärt Bosbach. "Wenn es in einem Kirchenort keine Vitalität mehr gibt, braucht man da aber auch keine künstliche Energie mehr reinzupumpen."
Eigenständigkeit ist das Stichwort. Anstatt einer Verwaltung von oben will Bosbach die Gemeinden von unten herauf organisieren. Ideen, wie das aussehen könne, gebe es bereits. So sei anstelle einer hauptamtlichen Leitung auch ein Team von verantwortlichen Ehrenamtlichen denkbar, erklärt er. "Aber das geht nur da, wo es auch Ehrenamtler gibt. Menschen, die für einen Ort brennen", so Bosbach.
Kölner Erzbistum: Die Krippe als Baustelle
Auch wenn die Pläne noch nicht vollständig ausgearbeitet sind, setzt Annemarie Hoffmann große Hoffnungen auf das Projekt. "Die Verwaltungsleitungen haben wirklich viel zu tun", sagt sie, das Pfarrbüro und die Ehrenamtler seien überfordert. "Natürlich muss sich die Kirche damit auseinandersetzen und die Zeit gebe ich ihr, solange sie nichts kaputt macht."
Das Handtuch schmeißen wollen Hoffmann und die anderen Ehrenamtlichen in ihrer Gemeinde noch nicht, doch die Freude an der Arbeit lasse nach. So hat sich Hoffmann für den Aufbau der Krippe im vergangenen Jahr etwas Besonderes überlegt: Den Stall inszenierte sie als Baustelle, das Christuskind schlief in einer Schublade. Ein Sinnbild, in dem sich das Erzbistum dieser Tage wiederfindet.
- Gespräche mit Msgr. Markus Bosbach, Maike Breuer und Annemarie Hoffmann via Telefon
- Anfrage beim Erzbistum Köln
- Eigene Recherche
- Kirchenaustritte seit 2018: Wege und Anlässe (Studie)