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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kirchenrechtler zu Kölner Kardinal "Woelki schiebt die Verantwortung an den Papst"
Kardinal Rainer Maria Woelki ist zurück. Auch nach seiner Auszeit muss er massiv Kritik einstecken. Ein Kirchenrechtler erklärt, warum er findet, dass Woelki sich mit seinem Rücktrittsgesuch aus der Verantwortung zieht.
Selbst als Kardinal Rainer Maria Woelki nicht da war, war er hochumstritten. Fünf Monate lang befand sich der Kölner Erzbischof in einer Auszeit. Dem vorhergegangen waren zwei Missbrauchsgutachten, die ihm viel Kritik eingebracht hatten – das erste hatte er nicht veröffentlichen wollen, das zweite entlastete ihn. Viele Menschen sahen jedoch ein grundsätzliches strukturelles Problem im Erzbistum, das durch Woelki nicht beseitigt werden könne.
Einen Rücktritt lehnte Woelki stets ab – bis jetzt. Nachdem der Kölner Kardinal am Aschermittwoch zurück ins Amt gekommen war, hatte er sozusagen als erste Amtshandlung verlauten lassen, dass er dem Papst seinen Rücktritt angeboten habe. Papst Franziskus hatte zuvor von großen Fehlern in der Aufarbeitung gesprochen – auf Woelkis Angebot ging er bislang allerdings nicht ein.
Georg Bier ist Professor für Kirchenrecht und kirchliche Rechtsgeschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Im Gespräch mit t-online erklärt er, warum Woelki für sein Rücktrittsgesuch zunächst wieder zurückkommen musste – und warum er sich klar dazu positionieren sollte, ob er sein Amt überhaupt weiter ausführen möchte.
Herr Bier, im Erzbistum Köln sorgt die Debatte um Kardinal Rainer Maria Woelki seit Monaten für Unruhe. Es gibt sehr viele Kirchenaustritte, Woelki war monatelang in einer Auszeit. Wieso ist er überhaupt ins Amt zurückgekehrt?
Prof. Georg Bier: Kirchenrechtlich ist es in der katholischen Kirche so, dass ein Amtsträger nicht von sich aus sein Amt zurückgeben kann. Kardinal Woelki kann nicht sagen: "Ich trete zurück", sondern er kann nur den Amtsverzicht anbieten. Ein solcher Amtsverzicht muss durch die zuständige höhere Autorität, die das Amt verliehen hat, auch angenommen werden. Das ist für den Erzbischof von Köln der Heilige Vater in Rom. Diesen Verzicht hat Kardinal Woelki angeboten.
Kann der Kardinal jetzt noch etwas tun, außer abzuwarten?
Er hat seinen Amtsverzicht angeboten, der Papst hat ihn gebeten, zunächst seinen Dienst wiederaufzunehmen. Solange die Entscheidung des Papstes nicht gefallen ist, ist Kardinal Woelki Erzbischof von Köln. Damit ist aber noch keine Entscheidung getroffen oder kein Zeichen gegeben, wie der Papst mit dem Amtsverzichtsangebot umgehen wird.
Wie lange kann so eine Entscheidung dauern?
Ab dem Zeitpunkt des Verzichtangebots läuft eine Frist von drei Monaten, in der über den Amtsverzicht entschieden werden muss. Es ist also nicht so, dass das bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag in der Schwebe bleibt, sondern der Amtsverzicht bedarf einer Annahme innerhalb von drei Monaten, sonst verliert Woelkis Angebot seine Rechtskraft. Allerdings wissen wir nicht, wann genau Woelki das Angebot gemacht hat. Und dann kommt hinzu, dass der Papst nun mal der Papst ist und sich über die Gesetzgebung hinwegsetzen und sagen kann, er nimmt sich mehr Zeit für seine Entscheidung.
Also ist Woelki gewissermaßen machtlos, bis die Entscheidung gefallen ist?
Nein, er ist nicht machtlos. Er ist bis auf Weiteres Erzbischof von Köln, mit allen Rechten und Pflichten. Er signalisiert aber auch: "Ich persönlich bin frei und klebe nicht am Amt – ich überlasse es dem Papst, über meine Zukunft zu entscheiden." Damit delegiert er die Verantwortung an den Papst. Der Papst ist ohnehin zuständig, aber Kardinal Woelki signalisiert dem Papst, dass er mit beiden möglichen Entscheidungen gut leben kann. Damit ist es der Papst, der in die Kritik geraten kann, je nachdem wie er entscheidet. Woelki könnte sich auch klarer positionieren.
In seinem Schreiben bitte Woelki die Gläubigen ja explizit um eine zweite Chance.
Es fällt auf: Zu Beginn seines Briefes spricht Kardinal Woelki davon, ihm sei deutlich geworden, dass seine Person oder auch die Rückkehr ins Amt zu Verunsicherung und Unverständnis führt, dass ihm mit Misstrauen begegnet wird, bis hin zur Ablehnung seiner Person. Er sieht deutliche Probleme auf ihn zukommen, die sich daraus ergeben, dass ein großer Vertrauensverlust stattgefunden hat. Er benennt aber diese Aspekte gerade nicht als Motiv für das Angebot seines Amtsverzichts. Sondern er schreibt, sein Angebot des Amtsverzichts sei Ausdruck einer Haltung innerer Freiheit, die ihn jetzt motiviert, dem Papst die Entscheidung zu überlassen. Das finde ich merkwürdig.
Wieso?
Wenn der Kardinal die von ihm selbst benannten Aspekte wie Verunsicherung, Unverständnis und so weiter nicht für rücktrittsrelevant hält, dann resultiert daraus doch eigentlich die Pflicht, im Amt zu bleiben. Die Ausübung eines solchen anvertrauten Amtes ist ja nicht einfach in das Belieben des Amtsträgers gestellt.
Woelki zieht sich also ein Stück weit aus der Verantwortung?
Ja, der Eindruck entsteht für mich. Er lässt jetzt den Papst entscheiden, sagt aber nicht, was seine Präferenz ist. Ob er glaubt, dass ein Rücktritt entweder alternativlos oder gar nicht erforderlich ist. Der Papst ist jetzt aufgerufen, Schiedsrichter zu spielen, obwohl der Kardinal doch viel präziser abschätzen können sollte, was in Köln noch möglich ist oder nicht – und ob er sich zutraut, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen oder nicht.
Demnach ist es völlig offen, ob Woelki im Amt bleibt?
Der Papst hat in der jüngeren Vergangenheit an Bischöfen festgehalten und ihre Amtsverzichte abgelehnt, zum Beispiel bei Kardinal Marx, Erzbischof Heße in Hamburg und den Kölner Hilfsbischöfen Puff und Schwaderlapp. Meines Erachtens sendet er damit ein problematisches Signal: Es war alles nicht so schlimm! Ich kann mir gut vorstellen, dass er auch im Fall von Kardinal Woelki so entscheidet. Aber das ist pure Spekulation.
Ist es in diesem speziellen Fall nicht so, dass die Gemeinde mehr oder minder ein Mitspracherecht hat, wenn sie entscheidet, Woelki nicht mehr anzunehmen? Oder anders: Kann der Papst in so einem Fall trotzdem an Woelki festhalten?
Kirchenrechtlich hat die Gemeinschaft der Gläubigen kein Mitwirkungsrecht. Wenn die Gläubigen sich in großer Zahl verweigern, würde es für Kardinal Woelki sehr schwierig, sein Amt so wahrzunehmen, wie er es wahrnehmen soll. Es stellt sich aber die Frage: Wer bemisst nach welchen Maßstäben, ob das nicht trotz aller Schwierigkeiten noch möglich ist?
Zahlreiche Kirchenaustritte gab es ja schon.
Das ist ein Zeichen, das aber auch nicht dazu führen muss, dass der Papst sagt, es geht nicht mehr. Die Gläubigen können protestieren, können sagen, wir möchten Kardinal Woelki nicht mehr bei Firmungen dabeihaben oder wir arbeiten nicht mehr in seinen Räten mit. Aber der Kardinal könnte dann versuchen, andere Leute zu finden, die zur Zusammenarbeit mit ihm bereit sind. Also ja, der Papst kann durchaus an Kardinal Woelki festhalten, selbst wenn die Mehrheit der Gläubigen ihn ablehnt.
Das klingt nicht danach, als wäre Woelki dann befriedet im Amt.
Ich nehme wahr, dass sehr viele Menschen, die sich in der Erzdiözese in Köln engagieren, sagen, es geht nicht mehr. Wenn der Papst den Amtsverzicht nicht annimmt, würden sich vermutlich weitere Gläubige abwenden, aber vielleicht eben doch nicht alle. Und vielleicht gibt es auch ein paar, die bereit sind, wieder zu einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit dem Kardinal zu kommen. Ob das gelingen könnte, vermag ich nicht einzuschätzen.
- Gespräch mit Professor Georg Bier
- Eigene Recherche