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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Klinikpersonal erschöpft "Bin gezwungen, auf einer Station zu arbeiten, obwohl ich das nicht will"
Die vierte Corona-Welle rollt und füllt die Krankenhäuser. Die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte steigt immer weiter. Doch die Lage ist nicht nur auf den Corona-Stationen prekär. Ein Klinikdirektor und eine Krankenschwester erzählen.
Seit dem Spätsommer bedroht neben der Corona-Pandemie die Welle der saisonalen Erkältungskrankheiten die Kinderzimmer. Das heißt, zusätzlich zu dem Druck auf die Erwachsenenstationen, die chronisch unterbesetzt sind, steigt nun auch das Arbeitspensum der Kinderpflegerinnen und -pfleger.
"Wir sind voll bis zum letzten Bett", berichtet Professor Jörg Dötsch, Leiter der Kinderklinik der Uniklinik Köln. Weil die Klinik Teil eines informellen regionalen Kinderkliniknetzes ist, in das bei hoher Belastung Patienten verlegt werden können, sei die Lage für die Kinder und Jugendlichen aber noch nicht bedrohlich. Kinder mit den gleichen Erkrankungen oder diejenigen ohne ansteckende Krankheit können so jeweils zusammengelegt werden.
Die größten Sorgen bereiten allerdings zurzeit vor allem die Neu- und Frühgeborenen oder immungeschwächte Patienten mit Atemwegserkrankungen. Diese würden häufig intensive Behandlung benötigen und viel Zeit in Anspruch nehmen. Dauerhaft liegen derzeit rund 20 Patienten mit RS-Virus und anderen Erkältungsviren auf Station, zwei bis drei davon auf der Intensivstation.
Kinderkrankenhäuser in der Region: Viele Betten belegt durch das RS-Virus
Andere Kliniken in der Region ächzen ebenfalls unter der ungewöhnlich hohen Zahl an Kindern mit dem RS-Virus. Im Kinderkrankenhaus an der Amsterdamer Straße ist die Bettenkapazität teilweise stark ausgelastet. Mitunter müssten Patienten in Kliniken außerhalb Kölns verlegt werden, teilt Prof. Dr. Michael Weiß, der Ärztliche Direktor, auf Anfrage mit.
In Köln-Porz seien in den vergangenen Wochen teilweise bis zu 90 Prozent der Betten mit Kindern mit RSV belegt gewesen, was vor dem Hintergrund des bestehenden Personalmangels in der Pflege zu einer schwierigen Situation führe, berichtet der dortige Chefarzt Dr. Lars Welzing. Am Klinikum Leverkusen sei hingegen die Zahl der RS-Patienten nicht höher als üblich, erklärte man dort.
Kinder müssen über Nacht auf ein freies Bett warten
Bei der aktuellen Belastung der Kinderkrankenpflege und aller anderen Berufsgruppen in der Klinik lastet dementsprechend viel Druck auf jedem Einzelnen, weiß auch Dötsch. "Das Personal ist erschöpft und das macht die Situation so schwierig. Hinzu kommt: Wir haben eine riesige Infektwelle nicht nur bei Patienten, sondern auch beim Personal und deren eigenen Kindern."
Wie sehr die Erkältungswelle die Kinderklinik belastet, merken auch die kleinen Patienten in der Notaufnahme. "Teilweise müssen Kinder die Nacht in der Notaufnahme verbringen, bis ein Bett frei wird", berichtet Dötsch. In der Uniklinik sei das Problem noch beherrschbar, da man sehr vom Vorstand unterstützt werde.
Kliniken entlassen Personal in den Sommermonaten
In Kliniken, die ihr Personal im Sommer häufig entlassen würden, gebe es deutlich mehr Probleme, sagt der Kinderarzt. Träger, die Gewinne aus Mitteln des Solidarbeitrags erzielen wollen, gingen den falschen Weg. "Man darf Gesundheit nicht als kommerzielles Gut sehen", findet Dötsch, der auch Präsident der Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin ist.
Er fordert, dass die Kinder- und Jugendmedizin mit ihren Besonderheiten besser berücksichtigt werden müsse: "Die saisonalen Spitzen kommen jedes Jahr. Dafür brauchen wir einen festen und angemessenen Personalstamm." Seiner Meinung nach könnte außerdem eine ausreichend finanzierte ambulante Versorgung in Spezialambulanzen für chronisch kranke Kinder den Druck auf die Stationen reduzieren. Denn so könnten stationäre Aufenthalte kompetent im Vorfeld abgefangen werden.
Das hätte den positiven Effekt, dass der Druck auf die Pflege geringer werden würde. Wenn das passiere, so Dötsch, werde auch der Beruf attraktiver.
Krankheitsbedingte Ausfälle auch in psychiatrischen Kliniken
Anna (Name geändert) teilt diese Meinung. Sie ist Krankenschwester in einer psychiatrischen Klinik in Köln – und auch dort ist die Situation alles andere als entspannt. Anna wäre froh, wenn sie mehr Zeit hätte, sich ihren Patienten zu widmen. Zeit mit ihren Patienten zu verbringen, sie zu motivieren und mit ihnen etwas zu unternehmen, ist das, was ihr an ihrem Beruf gefällt. Nur fehlt dafür das Personal. "Als wir noch mehr Leute waren, sind wir auch schon mal mit den Patienten rausgegangen – zum Markt oder in den Zoo. Das ist überhaupt nicht mehr möglich."
Genau das wäre aber wichtig für Menschen mit psychischen Erkrankungen: Ablenkung und Aufmerksamkeit für ihre Probleme. Hier ist die Lage zwar nicht so ernst wie in den anderen Kliniken, die mit RS-Viren oder Corona zu tun haben. Die hohe Arbeitsbelastung durch den Personalmangel sorgt trotzdem auch hier für immer mehr Krankheitsfälle beim Personal.
Vor allem psychische Probleme unter den Pflegern auf den geschlossenen Stationen seien der Grund für Ausfälle. Zusätzlich dazu grassieren auch noch die saisonalen Erkältungskrankheiten. Für Anna bedeutet das, dass sie oft keine geregelte Pause hat. Außerdem muss sie öfter auf der geschlossenen Station aushelfen. "Ich bin gezwungen, auf einer Station zu arbeiten, auf der ich eigentlich nicht arbeiten möchte. Das belastet mich dann auch sehr und ist mit ein Grund, warum ich den Job wechsle."
Denn auf der geschlossenen Station sei das Konflikt- und Gewaltpotenzial höher als auf der offenen Station – für welche sie sich bewusst beworben hatte.
Pflegerin: "Im Moment machen wir nur Schadensbegrenzung"
Unter der angespannten Personalsituation hätten aber nicht zuletzt die Patienten zu leiden. Oft müssten sie warten – auf die nächste Ergo- oder Gruppentherapie. Das Problem ist die coronabedingt geringere Gruppengröße. Auch bei Ergotherapeuten gebe es oft Krankheitsfälle und keine Vertretung. Das sorgt einerseits für unzufriedene Patienten, andererseits zieht sich der Aufenthalt in der Psychiatrie immer weiter in die Länge, weil nötige Therapien einfach nicht stattfinden.
"Was wir machen, ist im Moment nur Schadensbegrenzung", sagt Anna enttäuscht. Sie könne, wenn sie auf ihrer Station ganz alleine ist, nur das Nötigste tun, verteile Essen und Medikamente. Gespräche müsse sie aus Zeitmangel hingegen häufig abwürgen.
Viele Pflegeschüler hören schon nach der Probezeit auf
Glücklich kann sich schätzen, wer einen FSJler oder Pflegeschüler an seiner Seite hat. Dann können diese sich den Patienten widmen und mit ihnen mal ein Spiel spielen. Leider fehlt aber auch hier der Nachwuchs. Für Anna nicht verwunderlich: "Die lernen einen Beruf, in dem alle völlig überlastet und unzufrieden sind. Nach der Probezeit sind viele Pflegeschüler dann schon wieder weg."
Wie unattraktiv der Job geworden ist, sieht man auch an den sinkenden Schülerzahlen auf Annas Station. Früher hätten in einem Kurs 20 Pflegeschüler gesessen, heute seien es nur noch 16. Davon hätten bereits nach drei Monaten drei die Ausbildung abgebrochen. Die unattraktiven Arbeitsbedingungen aufgrund von Überlastung sorgen dafür, dass immer weniger den Beruf ergreifen wollen. Dabei wären es Nachwuchskräfte, die die Situation entlasten könnten – ein Teufelskreis.
Soziales Pflichtjahr als Lösung?
Anna schlägt deshalb ein verpflichtendes soziales Jahr für alle Schulabgänger vor. So erhofft sie sich mehr Verständnis und Interesse für den Pflegeberuf. Denn obwohl Anna in wenigen Wochen den Schwesternkittel an den Nagel hängen wird, hat der Beruf seine schönen Seiten.
"Was mir Spaß macht, ist das Miteinander mit den Patienten, füreinander da zu sein, Menschen helfen zu können und die Dankbarkeit der Patienten zurückzubekommen." Diese schönen Seiten sollten viel mehr in den Vordergrund gerückt werden, anstatt immer nur von Arbeitsüberlastung zu reden, findet sie.
- Gespräche mit Prof. Jörg Dötsch und Pflegerin Anna
- Schriftliche Stellungnahmen des Kinderkrankenhauses Amsterdamer Straße, des Krankenhauses Porz am Rhein und des Klinikums Leverkusen