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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Direkt gewählter Grünen-Abgeordneter Der höfliche Herr Lehmann
Sven Lehmann ist der erste Grünen-Politiker, der in Köln einen Wahlkreis direkt gewonnen hat. Ausgerechnet in der CDU-Hochburg im Südwesten der Stadt verwies er die Bewerber der anderen Parteien mit großem Abstand auf die weiteren Plätze. Von politischen Weggefährten wird er als hart in der Sache, aber zurückhaltend und höflich im persönlichen Umgang beschrieben.
Als Sven Lehmann vor vier Jahren zum ersten Mal in den Bundestag eingezogen ist, war vieles neu für ihn. Der Plenarsaal musste noch umgebaut werden, weil mehr Abgeordnete als zuvor in das Parlament gewählt worden waren. Und zunächst gab es für ihn kein Büro. Als er dann Wochen später einen Raum zugewiesen bekam, machte er sich daran, die vielen Pakete zu öffnen, die ihm von Gratulanten zugeschickt wurden. Ein Präsent mit Salz und Brot müffelte dabei schon etwas, erinnerte er sich: Das Brot war aufgrund der langen Lagerzeit verschimmelt.
Einer, der Sven Lehmann seit vielen Jahren kennt, ist Frank Jablonski. Er engagiert sich ehrenamtlich als Co-Vorsitzender des Kölner Kreisverbands von Bündnis 90/Die Grünen. Außerdem arbeitet er im Wahlkreisbüro von Lehmann. "Er ist ein sehr zugewandter Mensch, hört immer konzentriert zu und arbeitet sich in die Themen intensiv ein", erzählt Jablonski über seinen Chef: "Sven ist einer der höflichsten Menschen, die ich kenne."
Kritik an Hartz IV-Reformen – Soziale Frage ist Lehmann nicht egal
Sven Lehmann lebt in einer Partnerschaft mit Arndt Klocke in Köln. Beide waren mal NRW-Landesvorsitzende ihrer Partei. Klocke startete eine Karriere im Düsseldorfer Landtag, Lehmann ging in die Bundespolitik. Als sozialpolitischer Sprecher seiner Fraktion traute er sich, Hartz IV klar zu kritisieren – die Reform war unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder seinerzeit von den Grünen mitgetragen worden.
Der frühere Kölner SPD-Vorsitzende, der Landtagsabgeordnete Jochen Ott, beschreibt Lehmann deshalb nicht nur als menschlich und aufgeschlossen, er schätzt ihn besonders für seine politische Haltung in der Sozialpolitik: "Im Gegensatz zu vielen anderen Grünen ist für Sven die soziale Frage nicht egal", sagte Ott auf Anfrage von t-online. Ein weiterer Schwerpunkt von Lehmanns Arbeit im Bundestag ist die "Queer-Politik" – auch für diesen Bereich ist er bisher der Sprecher seiner Fraktion.
In seinem Wahlkreis holte Sven Lehmann jetzt fast 35 Prozent der Erststimmen. Das ist auch deshalb beachtlich, weil er damit mehr Zuspruch erntete als seine Partei, die bei den Zweitstimmen in dem Wahlkreis auf nur 32 Prozent kam. "Sven ist viel vor Ort, informiert sich bei den Menschen", erklärt sich Frank Jablonski diesen Erfolg: "Und das nicht erst in den letzten drei Monaten…" Beim Engagement gegen den Neubau einer Rheinbrücke im Kölner Süden und gegen Bauvorhaben des 1. FC Köln im Grüngürtel sucht Lehmann genauso die Kontakte zu Bürgerinnen und Bürgern oder Initiativen, wie er sich jüngst bei Einzelhändlern und Gastronomen über die Auswirkungen der Corona-Krise informierte.
Keine Jagd nach Schlagzeilen
Manche seiner Vor-Ort-Besuche machen keine Schlagzeilen, darauf legt er es bewusst nicht an. So fand ein Besuch in der Problem-Siedlung "Kölnberg" ohne Presse statt. Auch eher im Stillen setzt sich der Grünen-Politiker jahrelang für ein Denkmal ein, das in Köln-Müngersdorf an die Deportationen in der Zeit des Nationalsozialismus erinnert.
Nach der Verkündung des historischen Wahlergebnisses zeigte sich Sven Lehmann glücklich und stolz. Als seine Parteibasis am Wahlabend frenetisch applaudiert, guckt er fast ein bisschen schüchtern. Dann greift er zum Mikrofon, dankt seinen Unterstützern und umreißt kurz die wichtigsten Themen, die er im Bundestag aufgreifen will. Im Publikum sieht man viele nicken: Sven Lehmann zeigt wieder einmal, dass er zugehört hat und daraus Politik macht.
- Eigene Beobachtungen und Recherche
- Anfrage an Jochen Ott
- Gespräch mit Frank Jablonski