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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Entscheidung, die keiner treffen möchte" Schüsse auf Verurteilten – Bewährung für Polizist
Das Kölner Landgericht hat eine Bewährungsstrafe gegen einen Polizisten
"Wir hatten für unsere Einschätzung acht Verhandlungstage Zeit, aber Sie hatten nur wenige Sekunden für eine Entscheidung, die wahrscheinlich keiner von uns treffen möchte", sagte Richter Peter Sommer zu einem Polizisten, der vor dem Kölner Landgericht angeklagt war.
Sommer, der Vorsitzende der 10. Großen Strafkammer, würdigte, dass der Fahnder in einem Dilemma gesteckt habe: Am 10. Juli 2019 stand er vor der Entscheidung, einen verurteilten Gewaltverbrecher entkommen zu lassen oder auf ihn zu schießen. Verschiedene Maßnahmen waren zuvor bereits gescheitert. Es kam zum Showdown in einem Getränkemarkt im Agnesviertel, der Polizist setzte fünf Schüsse ab. Nach Einschätzung der Kammer versäumte er es jedoch, den Flüchtigen vorher eindeutig zu warnen.
Entscheidende Warnung blieb aus
Den Ausführungen des Vorsitzenden zufolge müsse ein Polizeibeamter in einer solchen Situation sagen: "Stehen bleiben oder ich schieße!" Auch müsse er dann zunächst einen Moment abwarten, ob die angesprochene Person der Warnung Folge leiste. "Wir glauben, diese Förmlichkeit, die das Gesetz vorsieht, ist Ihnen durchgegangen", so Sommer. Nach Einschätzung der Kammer hat sich der Angeklagte damit der gefährlichen Körperverletzung im Amt schuldig gemacht.
"Mit systematischer Polizeigewalt, mit Hass oder dem Vergnügen, anderen zu schaden, hatte das aber nichts zu tun", betonte Sommer. Der Angeklagte sei zu jedem Verhandlungstag pünktlich erschienen, habe sich bei seinem Opfer entschuldigt und sich trotz spürbarer Abneigung aus dem Publikum dem Verfahren gestellt: "Das ist nicht selbstverständlich. Es war eine Spontantat, mit der Sie Ihren Job erfüllen wollten. Ihr Job dient der Gemeinschaft, dem Staat – und übrigens auch den Zuschauern, denn jeder von uns möchte, dass Haftbefehle vollstreckt werden."
Trotzdem sei zu berücksichtigen, dass durch die Schüsse der Flüchtige erheblich verletzt worden sei. Die insgesamt fünf Schüsse des Polizisten trafen den damals Heranwachsenden am Bein und in den Oberkörper. Der Angeklagte hatte in seiner umfangreichen Aussage betont, dass er nur die Beine habe treffen wollen. Nach Einschätzung eines Rechtsmediziners sei das glaubwürdig, so Sommer. Spuren vom Tatort würden darauf hindeuten. Außerdem sei es nicht ungewöhnlich, wenn ein sportlicher junger Mann beim Laufen den Oberkörper vorneige. Die entsprechenden Verletzungen seien damit zu erklären.
"Sie dachten, Sie handeln richtig"
Die Richter verurteilten den Polizisten zu einer Haftstrafe von acht Monaten, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Außerdem muss er die Kosten des Verfahrens tragen, auch die des Angeschossenen, der als Nebenkläger auftrat. Die Kammer folgt damit dem Antrag der Staatsanwaltschaft und berücksichtigte, dass der Angeklagte gedacht habe, er handele richtig.
Eventuell sei es notwendig, in der polizeilichen Ausbildung stärker darauf hinzuweisen, dass dem Einsatz von Schusswaffen eine explizite Warnung vorangehen müsse. Ob für den Beamten weitere Folgen aus der Tat resultieren werden, sei offen, so der Richter, der dem Verurteilten jedoch seinerseits ein positives Zeugnis ausstellte: "Ihr Dienstherr muss überlegen, ob er Sie weiter beschäftigt. Wir haben als Kammer aber wenig Bedenken, dass Sie sich künftig straffrei führen werden."
Im Verfahren hatte der Angeschossene zunächst eine Entschuldigung des Angeklagten nicht angenommen. Der hatte gesagt, dass er in einer solchen Situation erneut schießen würde, er die schweren Folgen für den heute 22-Jährigen aber bedaure. Nach der Urteilsverkündung reichten sich die beiden Männer im Saal die Hände.
- Besuch der Urteilsverkündung
- Mit Material der dpa