Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Auf Motorhaube gelandet Demonstrant angefahren – Bewährung für AfD-Politiker
Nachdem ein AfD-Politiker einen Mann bei einer Demo mit dem Auto erwischt hat, musste er nun auf die Anklagebank. Er habe sich von dem Mann provoziert gefühlt und einen Angriff befürchtet.
Nach einer AfD-Veranstaltung in Köln-Kalk landete ein Gegendemonstrant auf der Kühlerhaube eines Bonner AfD-Politikers. Dieser steht nun vor dem Kölner Amtsgericht.
"Wenn man eine bestimmte Meinung vertritt, ist man heutzutage immer Aggressionen ausgesetzt – aber nicht in dem Maß wie in Köln-Kalk", resümierte vor dem Schöffengericht am Kölner Amtsgericht ein 24-jähriger AfD-Politiker aus Bonn. Als Angeklagter schilderte er die Erfahrungen, die er am Abend des 7. April 2019 in jenem Stadtteil gemacht hat: "Dort fand eine Veranstaltung der AfD zum Europa-Wahlkampf statt, zu der ich mit meinem Freund gefahren bin.
Auf dem Weg vom Auto zum Bürgerzentrum wurde mir bewusst, wie stark dort die Aggression gegen diese Veranstaltung war: Schon nach hundert Metern tauchte der erste Pulk von Leuten auf, von dem die Polizei uns abschirmen musste. Eine Dame schlug mir den Hut vom Kopf. Als die Polizei sie aufforderte, den Hut zurückzugeben, wurde die Stimmung noch aggressiver."
Er und sein Begleiter seien im Anzug gekleidet und daher leicht als Teilnehmer des politischen Treffens zu identifizieren gewesen, mutmaßte der Angeklagte, der nach Verlassen des Termins in eine Situation geriet, für die er sich nun verantworten muss. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm den gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, Fahrerflucht und gefährliche Körperverletzung vor.
Aus Sicht des 24-Jährigen stelle sich das aber ganz anders dar, wie der Student beschrieb: Erst einmal sei die Parteiveranstaltung so sehr gestört worden, dass sie nur erheblich kürzer als geplant stattfinden konnte. Auf dem Rückweg habe er dann schließlich regelrecht Angst vor den Demonstranten bekommen.
Unter Polizeischutz zurück zum Auto
"Zurück zum Auto wollten wir den Weg nehmen, den wir gekommen sind", erinnerte er sich. Er habe dann aber erfahren, dass diese Strecke als nicht sicher gelte, da dort keine Einsatzkräfte seien. So habe er mit seinem Begleiter einen anderen Weg genommen, sei dort aber von zwei vermummten Gestalten verfolgt worden. "Als wir langsamer wurden, gingen sie auch langsamer. Für mich war klar: Wir werden von ihnen verfolgt."
Er habe daraufhin Polizisten geholt, die sie "wie ein Schutzschild" abgeschirmt hätten, woraufhin die Vermummten gerufen hätten: "Deutsche Polizisten schützen die Faschisten." Auf Anraten der Polizisten habe er das Geschehen, sobald am Auto angelangt, in entgegengesetzter Richtung verlassen wollen. Das sei aber nicht möglich gewesen, da sich herausstellte, dass der Wagen in einer Sackgasse geparkt war: "Das war mir vorher aufgrund von Ortsunkenntnis nicht aufgefallen", so der Bonner.
Bewusst habe er den Wagen am Ende der Sackgasse einige Minuten lang ausgeschaltet stehen lassen und dann erst gewendet. Dennoch traf er an der Mündung der Straße erneut auf die Gruppe der Gegendemonstranten. Diese hätten ihn erneut attackiert, bewusst die Straße blockiert und auf das Auto geschlagen.
Teile davon bestätigten die Demonstranten, von denen mehrere als Zeugen vernommen wurden: "Ich habe die beiden im Auto wiedererkannt. Wir riefen: Verschwindet hier! Und: Zeit, dass ihr wegkommt!“, so ein Heilerziehungspfleger, der an diesem Tag als 24-Stunden-Assistenz einen Rollstuhlfahrer begleitete.
Möglicherweise sei man auf der Straße langsam unterwegs gewesen – aber es sei eben auch eine große Gruppe gewesen, die einen Rollstuhlfahrer dabei gehabt habe. Dieser selbst sagte: "Wir haben uns nicht besonders beeilt und sie mit Sprechgesängen begleitet. Wir wussten, dass sie von der Veranstaltung kamen." Auf die Frage, ob dies als Provokation gemeint gewesen sei, antwortete der Zeuge ausweichend: "Ich kann nicht beurteilen, ob das als Provokation zu empfinden ist."
Demonstrant sprang auf die Motorhaube
Die Situation eskalierte, als einer der Demonstranten auf der Kühlerhaube des fahrenden Wagens landete. "Das Auto kam auf mich zu, dann bin ich draufgesprungen. Ich hatte die Möglichkeit, aufzuspringen oder mich überfahren zu lassen. Wenn ich nicht Skateboard fahren würde, wäre es anders ausgegangen", so der 32-Jährige, der im Verfahren als Nebenkläger auftritt. Etwa zehn Meter weit soll er auf der Motorhaube des Wagens mitgefahren und dann so abgesprungen sein, dass er nach mehreren Rückwärtsschritten auf dem Hintern landete. Dabei habe er, wie er sagte, eine Prellung am Knie erlitten, weitere Verletzungen jedoch nicht.
Der Angeklagte gab an, dass er die Situation nur noch habe verlassen wollen: "Ich hatte Angst um den Mietwagen, um mich und um meinen Freund.“ Ein Blick in den Rückspiegel habe ihm gezeigt, dass nach hinten hin die Sackgasse frei war. So habe er zurückgesetzt und in einem Bogen über die Gegenspur der Gruppe ausweichen wollen. Dabei habe er ungewollt einen der Männer erwischt.
Angeklagter fürchtete angeblich Bierflaschen-Attacke
Ein entscheidendes Detail schilderten beide Lager jedoch unterschiedlich: "Ich sah, dass einer von ihnen, der an der Beifahrerseite stand, seine Bierflasche umgedreht hoch hielt. Ich hatte Angst, dass er das Fenster einschlagen wollte", beschrieb der Angeklagte. Daraufhin habe er Gas gegeben, obwohl er dabei zwangsläufig den späteren Nebenkläger auf seine Motorhaube nahm. Die Demonstranten hingegen bestätigten zwar, dass sie Bierflaschen dabei hatten, doch sie bestritten, diese anders als zum Trinken in der Hand gehalten zu haben.
Nach einer ganztägigen Verhandlung und dem Vernehmen mehrerer Zeugen folgte das Gericht dem Antrag des Staatsanwaltes und verurteilte den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, gefährlicher Körperverletzung im minder schweren Fall und Fahrerflucht zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden. Außerdem muss der Bonner an den Nebenkläger ein Schmerzensgeld von 250 Euro zahlen und seine Fahrerlaubnis abgeben, die ihm frühestens nach einer Sperre von drei Monaten wieder erteilt werden darf. Der Verteidiger des Angeklagten hatte auf Freispruch plädiert.
- Eigene Beobachtungen im Gerichtssaal
- Telefonat mit dem Pressesprecher des Gerichts