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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Mit Ex-Freund vor Gericht Ließ eine Mutter ihr Kind fast verhungern?
Vor dem Kölner Landgericht hat der Prozess gegen eine 24-jährige Mutter und ihren Ex-Freund begonnen. Sie sollen die kleine Tochter der Frau unter schlimmsten Bedingungen verwahrlosen und fast verhungern lassen haben.
Die leuchtend rosa gefärbten Längen des dunkelblonden Haares sind wohl ein Überbleibsel aus anderen Zeiten: Die zierliche 24-Jährige, die sich derzeit vor dem Landgericht Köln verantworten muss, machte beim Prozessauftakt ganz und gar nicht den Eindruck einer Frau, die gerne die Blicke auf sich lenkt. Eine schwarze Maske bis knapp unter die Augen gezogen, Haare und Stirn bedeckt mit einer grauen Strickmütze, die wiederum von der rosa Kapuze eines Hoodies umrahmt war – fast schon gepanzert schien sie mit diesem Outfit.
"Die Presse ist zwar noch da, aber die Fotografen sind weg. Könnten Sie dann vielleicht Ihre Mütze und Kapuze abnehmen?", bat daher Sabine Kretzschmar, die Vorsitzende der 11. Großen Strafkammer, noch bevor der Prozess richtig begonnen hatte. Durch den schmalen Spalt zwischen Maske und Mütze warf die Angeklagte ihrem Verteidiger einen Blick zu. Erst, als dieser nickte, legte sie mit zitternden Fingern einen Teil ihrer Verhüllung ab.
Vorschulkind hatte Gewicht eines Babys
Die Scheu der Angeklagten ist nicht verwunderlich, denn das Verbrechen, das ihr zur Last gelegt wird, ist schwerwiegend: Sie soll ihre 5-jährige Tochter nahezu verhungern lassen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft daher der Mutter, die das alleinige Sorgerecht hat, versuchten Mord vor. Mit ihr ist ihr 23-jähriger damaliger Lebensgefährte angeklagt, der sich gegen den gleichen Tatvorwurf verteidigen muss.
Die Bedingungen, unter denen das Kind in der Bergheimer Wohnung der Familie aufgefunden wurde, sind so erschütternd wie ekelerregend. "Im Bett liegend, nur mit einer Windel bekleidet, in Bettwäsche, die mit Erbrochenem und Kot verschmutzt war", schildert sie die Staatsanwältin in ihrer Anklage.
Das Mädchen, das mit seinen fünf Jahren eine Größe von 98 Zentimetern erreicht hatte, konnte sich nicht mehr selbst auf den Beinen halten. Ihr Körpergewicht lag bei nur 8,2 Kilogramm. Das Ausmaß der Tragödie wird deutlich, wenn man diese Zahl mit kinderärztlichen Wachstumstabellen abgleicht: Ein Gewicht von 8 Kilogramm wird veranschlagt für ein Kind mit einer Größe von rund 68 Zentimetern, die im Durchschnitt mit sieben Monaten schon erreicht sind. Die Fünfjährige hatte also das Körpergewicht eines Babys.
Grausame Qual und böswillige Vernachlässigung
Die Staatsanwaltschaft beruft sich mit der Anklage auf die Gesetze zu Mord und zur Misshandlung von Schutzbefohlenen. Konkret spricht die Staatsanwältin vom "Versuch der grausamen Tötung durch böswillige Vernachlässigung" und davon, dass die Kleine "durch Unterlassung gequält" worden sei, dass sie ein permanentes Hungergefühl und Schmerzen gehabt habe. "Die tödliche Entgleisung des Stoffwechsels war jederzeit möglich", so die Anklage. Vereinfacht gesagt: Der Hungertod hätte jederzeit eintreten können. Nur durch medizinische Hilfe ließ sich das Schlimmste verhindern.
Wann genau die Not des Kindes begonnen hat, lässt sich nicht genau sagen. Die Staatsanwaltschaft geht von einem Zeitraum zwischen dem 11. Juni und dem 27. August 2020 aus – möglicherweise angelehnt an die Fehlzeiten des Kindes in der Kindertagesstätte. Dort hatte man sich über den Verbleib des Mädchens nämlich irgendwann Sorgen gemacht, wodurch die mutmaßliche Tat aufgefallen war.
Angeklagte schweigen bislang
Mit geschlossenen Augen ließ die junge Mutter die Verlesung der Anklage über sich ergehen. Ihr damaliger Lebensgefährte, ein drahtiger, mittelgroßer Mann mit "Fleshtunnel", also einem übergroßen Ohrloch, wippte die ganze Zeit über hektisch mit den Füßen. Auch er hatte sich zunächst so tief es nur ging in der Kapuze seiner schwarzen Trainingsjacke verborgen und diese erst auf die Aufforderung der Richterin hin abgelegt.
Aussagen der beiden Angeklagten seien zunächst noch nicht zu erwarten, teilten beide Verteidiger zu Beginn des Verfahrens mit. So wurde entschieden, dass erst einmal die psychiatrische Sachverständige gehört werden sollte: Ihr gegenüber hatten beide vorab schon Angaben gemacht. Dabei würden, so die Vorsitzende, persönliche Details zur Jugend und Entwicklung der Angeklagten erörtert, außerdem ginge es hinsichtlich der Frau auch um die Beziehung zu ihrem früheren Ehemann: Aus Rücksicht auf die Persönlichkeitsrechte der Angeklagten fand dieser Teil des Verfahrens unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Insgesamt sind 15 Verhandlungstage festgesetzt, um zu erörtern, welches Drama sich in der Patchworkfamilie abgespielt hat, bevor das Kind fast verhungert aufgefunden wurde. Bislang unbekannt ist, warum es dem Mädchen so schlecht erging, offensichtlich aber nicht ihrem nur ein Jahr jüngeren Bruder, der ebenfalls mit der Mutter und ihrem damaligen Lebensgefährten zusammenlebte. Das Urteil wird voraussichtlich am 31. Mai gesprochen.
- Teilnahme am Prozess