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Köln/Corona-Lockdown: Wie meine Wohnung zum Gefängnis wurde


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Bipolare Störung
Wenn die Wohnung zum Gefängnis wird

Von Thomas Schneider*

Aktualisiert am 30.03.2021Lesedauer: 5 Min.
Ein Mann sitzt in seiner abgedunkelten Wohnung und schaut ins Freie (Symbolbild): Für psychisch Erkrankte können die Belastungen des Corona-Lockdowns traumatisch sein.Vergrößern des Bildes
Ein Mann sitzt in seiner abgedunkelten Wohnung und schaut ins Freie (Symbolbild): Für psychisch Erkrankte können die Belastungen des Corona-Lockdowns traumatisch sein. (Quelle: Westend61/imago-images-bilder)

Die Corona-Krise und die damit verbundenen Einschränkungen belasten viele von uns. Wie fühlen sich psychisch Erkrankte in der Isolation? Anlässlich des World Bipolar Days gibt unser Autor Einblicke in seine Gefühlswelt.

"Die Wände kommen näher, es wird alles dunkler. Ich will nur noch, dass es aufhört." Dies ist ein Auszug aus einem Telefonat mit einer Freundin, das ich während meiner Corona-Quarantäne im September 2020 geführt habe.

Insgesamt dreimal musste ich mich bereits in Quarantäne begeben. Einmal war ich dabei selbst an Corona erkrankt. Zwar hatte ich selbst keinerlei Symptome von Covid-19, doch Symptome einer anderen Krankheit waren dafür umso ausgeprägter. Bereits 2018 wurde bei mir die sogenannte Bipolare Affektive Störung diagnostiziert, eine psychische Erkrankung, bei der sich die Stimmung des Erkrankten durch zwei extrem entgegengesetzte Schwankungen auszeichnet.

Mein Leben in der "Achterbahn"

Ich beschreibe die Symptome der Krankheit immer so, als würde man sein Leben auf einer nie endenden Achterbahnfahrt verbringen. Ein ständiges Auf und Ab: An einem Tag fühlt man sich, als könne man die Welt erobern. An einem anderen schafft man es nicht einmal, sich die Zähne zu putzen.

Medizinisch wird hierbei zwischen Phasen der Manie und Phasen der Depression unterschieden. In manischen Phasen bin ich gut drauf, aktiv, habe Lust, etwas zu unternehmen, bin aber auch impulsiv: Einmal habe ich im Wahn meine Kreditkarte stark überzogen und hatte im Anschluss Verbindlichkeiten in fünfstelliger Höhe.

Eine depressive Phase fühlt sich für mich an, als würde ich einen Aufzug betreten und nach einigen Stockwerken bricht der Boden weg und ich falle permanent, ohne Ziel. Dieses Gefühl wurde durch Corona noch viel stärker und das bringt große Risiken mit sich: Statistisch gesehen begehen 25 bis 50 Prozent aller Menschen mit einer Bipolaren Störung im Laufe ihres Lebens mindestens einen Suizidversuch, 15 bis 30 Prozent nehmen sich das Leben.

Corona wirft wichtige Routinen aus der Bahn

Seit Sommer 2018 arbeite ich mit einer Psychotherapeutin daran, die Symptome meiner tückischen Krankheit bestmöglich einzugrenzen. Neben Medikation und regelmäßiger Therapie ist vor allem das Erlernen gewisser Routinen wichtig. Damit kann ich meinen Alltag bewältigen und meine Stimmungsschwankungen im normalen Rahmen halten.

Doch mit dem Ausbruch der Pandemie gab es plötzlich einen ganz neuen Alltag. Statt meiner erlernten Routinen war da plötzlich eine Einsamkeit, die meine depressiven Phasen verstärkte. Während es im ersten Lockdown schon schwierig war, kam der tatsächliche Einschlag in meiner ersten Quarantäne im September 2020.

Nachdem mein bester Freund, einer der wenigen Menschen, die ich trotz Corona regelmäßig gesehen hatte, positiv getestet wurde, folgte nach einigen Tagen Selbstisolation auch mein positives Ergebnis – und damit die angeordnete Quarantäne.

Wohnung wurde vom Rückzugsort zum Gefängnis

Normalerweise fühle ich mich in meiner Einzimmerwohnung in der Kölner Innenstadt sehr wohl. Ich bin nah am trubeligen Leben der Stadt, kann mich aber trotzdem zurückziehen. Mit meiner Quarantäne änderte sich das jedoch auf einen Schlag. Statt eine Insel der Ruhe in der hektischen Innenstadt zu sein, wurde die Wohnung zu meinem Gefängnis.

Die knapp 20 Quadratmeter fühlten sich an wie eine Zelle, in der es unmöglich war, mich zu entfalten. Ich hatte teilweise wirklich das Gefühl, dass die Wände näherkommen, um mich einzuengen. Viele der Symptome in der Quarantäne glichen denen "klassischer" Depressionen: Lustlosigkeit, gedrückte Stimmung, Antriebsmangel, ständige Müdigkeit.

Der große Unterschied – die Isolation. Im Rahmen einer depressiven Phase kann ich mich normalerweise mit Freunden und Familie treffen, meist schlafe ich dann auf der Couch von Freunden, um nicht allein zu sein. Auch positive Gespräche, Umarmungen und Gruppenaktivitäten helfen mir, diese Zeiten durchzustehen. All diese Möglichkeiten wurden mir durch die verpflichtende Selbstisolation genommen.

Ich wollte die Tage so kurz wie möglich halten

Der einzige tatsächliche Kontakt mit meinen Freunden fand statt, als sie mir Einkäufe und Medikamente brachten. Mit 1,5 Metern Abstand und Maskenschutz hatte ich wenigstens für ein paar Minuten das Gefühl, nicht komplett von der Welt ausgeschlossen zu sein.

Ansonsten waren die Quarantäne-Tage relativ gleich: Morgens blieb ich lange liegen und abends ging ich früh ins Bett, um die Tage so kurz wie möglich zu halten. Normalerweise bin ich jemand, der sich gerne auch mal ein Wochenende zurückzieht, Netflix schaut oder ein Buch liest. Doch in der Quarantäne hatte ich keine einzige Möglichkeit, etwas anderes zu machen. Für diesen Zeitraum bekam ich ein gewisses Leben aufgezwungen. Für einen Menschen mit psychischen Problemen ein traumatisches Erlebnis.

Die Politik sollte einsame Menschen bedenken

Auch wenn ich verstehe und nachvollziehen kann, warum die Maßnahmen nötig sind, für mich war es eine 17-tägige Tortur. 17 Tage am Stück, die ich auf meinen 20 Quadratmetern verbringen musste. 17 Tage ohne geregelten Alltag, 17 Tage ohne persönliche, menschliche Kontakte. Allein.

In dieser Zeit erkannte ich einmal wieder, dass die Politik viele Gesellschaftsgruppen nicht mitdenkt. Für die Zukunft sollte es Konzepte für psychisch Erkrankte in solch schwierigen Situationen geben. Man könnte leer stehende Hotels nutzen, damit positiv Getestete, die unter der Isolation besonders leiden, die Quarantäne gemeinsam verbringen können. Ansonsten könnten aus meiner Sicht auf lange Sicht viele Leute "wegen Covid-19" und nicht "an Covid-19" sterben.

"Isolation ist großes Krankheitsrisiko"

Tim Schuster, Dozent für Psychologie an der Rheinischen Fachhochschule Köln (RFH) und Geschäftsführer von "miteinander reden", betont die Wichtigkeit des sozialen Austauschs: "Für das psychische Wohlbefinden und die Gesundheit sind soziale Kontakte sehr bedeutsam – Menschen sind soziale Wesen."

Demnach könne die Unterbrechung des gewohnten Miteinanders ein großes Krankheitsrisiko für Menschen mit psychischen Vorerkrankungen sein. Selbst für psychisch gesunde Menschen ist die Situation belastend. Eine Studie der Universität Erfurt zeigt, dass besonders Menschen zwischen 18 und 29 Jahren unter den Corona-Maßnahmen leiden. Fast 70 Prozent geben an, durch die Situation "sehr belastet" zu sein.

Digitale Interaktion nur ein schwacher Ersatz

Ich habe versucht, mit meinen Freunden und meiner Familie via Zoom und WhatsApp in Kontakt zu bleiben: Leider musste ich feststellen, dass all das ein persönliches Treffen nicht ersetzen kann. Man kann sich schließlich nicht selbst umarmen. Auch die regelmäßigen Sitzungen mit meiner Therapeutin fanden ausschließlich digital statt. Zwar half mir das, die Situation rationaler einzuschätzen, aber effiziente Therapie erfordert ebenfalls menschliche Nähe.

Schuster ist ebenfalls der Meinung, dass wichtige und notwendige digitale Alternativen menschliche Kontakte nur teilweise ersetzen können: "Viele Facetten der Kommunikation, wie beispielsweise die Mimik, Gestik und Berührungen, sind in einem digitalen Austausch stark eingeschränkt oder nicht vorhanden". Und weiter: "Dies kann unter Umständen auch bei psychisch gesunden Menschen zu starken Belastungen führen."

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Meine Hoffnung liegt auf einem baldigen Ende des Lockdowns und der Pandemie. Selbst wenn mein Leben auch ohne Corona eine Herausforderung bleiben wird.

*Der Autor des Textes hat um Anonymität gebeten. Der Name ist der Redaktion bekannt. Wir haben ihn durch ein Pseudonym ersetzt.

Internationaler Tag der Bipolaren Störung: Der 30. März wurde als World Bipolar Day ausgewählt, weil es der Geburtstag von Künstler Vincent Van Gogh war, der posthum als bipolar diagnostiziert wurde. An diesem Tag soll die Öffentlichkeit über Bipolare Störungen aufgeklärt und so zur Entstigmatisierung beigetragen werden.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Erleben
  • Gespräch mit Psychologe Tim Schuster
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