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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gerichtsverfahren in Köln Vater soll Freundin seines Sohnes missbraucht haben
In Köln steht ein 47-Jähriger vor Gericht, der sich einem Mädchen aus der Nachbarschaft missbräuchlich genähert haben soll. Zeugenaussagen waren teils unstimmig – wurde der Mann selbst Opfer?
Ungewiss ist der Ausgang eines Gerichtsverfahrens immer. Oft jedoch zeigt sich zu Beginn zumindest eine Tendenz, ob eher ein Freispruch oder eine Verurteilung zu erwarten ist. Nicht so bei einem Fall, der aktuell die zweite Große Strafkammer am Kölner Landgericht beschäftigt. Auf der Anklagebank sitzt ein Familienvater (47) aus Leverkusen, der seine Kapuze tief über die bereits dünn gewordenen Haare zog, sobald er die Pressefotografen wahrnahm.
Ob er ein Nachbarsmädchen (9), das mit seinem Sohn befreundet war, missbraucht hat oder selbst nur Opfer einer ungünstigen Dynamik wurde, wird sich im Laufe der noch ausstehenden Verhandlungstage zeigen müssen. Nachdem die Mutter des Mädchens und deren Bekannte gehört wurden, sind noch viele Fragen offen.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann vor, sich dem Mädchen mehrfach missbräuchlich genähert zu haben. Der Angeklagte kündigte an, sich teilweise selbst, teilweise über seinen Anwalt äußern zu wollen. Die bisherigen Zeugenaussagen begleitete er mal mit zustimmendem Nicken, mal mit fassungslosem Kopfschütteln.
Zunächst wurde in einer über zweistündigen Vernehmung eine Sozialassistentin (33) gehört, die ihn angezeigt hat. "Ich kenne den Angeklagten flüchtig", begann sie: Bei Besuchen in der Familie des Mädchens, das später Opfer von Missbrauch geworden sein soll, habe sie ihn öfter im Garten gesehen, da er mit seiner Familie in der unmittelbaren Nachbarschaft lebte. Sie selbst habe eine Tochter, die mit dem Mädchen eng befreundet sei – nicht aber mit dem gleichaltrigen Sohn des Angeklagten: "Meine Tochter ist Autistin und hat wenig Kontakte." Anders die Tochter ihrer Bekannten: Die war mit dem Nachbarsjungen eng befreundet.
Kind fasste sich auffallend oft in den Schritt
"Sie ist ein sehr soziales, lebhaftes, liebevolles und lustiges Mädchen“, schilderte die Zeugin. Im Wesentlichen habe sie sich von klein auf normal entwickelt, aber eines sei ungewöhnlich gewesen: "Ab einem Alter von zwei, drei Jahren fasste sie sich oft in den Schritt – als ob sie zur Toilette musste, aber wenn man fragte, musste sie nie. Das habe ich auch noch vor ein paar Monaten beobachtet, aber es ist jetzt nicht mehr so auffällig."
Außerdem habe das Mädchen zeitweise, etwa um 2017 herum, eine unangenehm sexualisierte Ausdrucksweise gezeigt. Die Sozialassistentin konnte dies zeitlich gut einordnen, da sie sich daran erinnerte, die Lehrerin der beiden Mädchen darauf angesprochen zu haben mit dem Wunsch, den Kontakt zwischen ihnen in der Schule ein wenig zu reduzieren. Mit ihrer Bekannten, der Mutter des Mädchens, habe sie auch darüber gesprochen. "Wir haben uns gefragt: Woher kommt so ein Satz? Aber es ist nichts dabei herausgekommen."
Noch vor der Einschulung der Kinder trennten sich die Eltern des Mädchens. "Es war kein richtiger Rosenkrieg, aber schwierig", so die Erfahrung der Zeugin. Noch etwas anderes sei belastend hinzugekommen: "Meine Bekannte hatte ein Alkoholproblem. Sie war psychisch sehr belastet. Das hat ihre Tochter auch mitbekommen, das kann man nicht verstecken." Auch die Mutter selbst gab später an: "Durch meine Suchterkrankung war ich sehr viel mit mir selbst beschäftigt." Wechselnde Mitarbeiterinnen der Familienhilfe hätten sie unterstützt, außerdem hätten ihre Kinder öfter bei den Großeltern oder der Tante übernachtet. Auch Übernachtungen bei Freundinnen seien nicht selten gewesen.
Mutter "überempfindlich" wegen eigener Erfahrungen
An einem Wochenende im Februar 2019 habe ihre Tochter beim Nachbarsjungen übernachten wollen: "Die Kinder waren ein bisschen verliebt, es fing an mit Herzchen und Geschenken." Bei ihren Worten nickte der Angeklagte zustimmend. Sie habe die Übernachtung erlaubt, aber ungern: "Ich hatte ein ungutes Gefühl dabei, dass sie woanders übernachtet, wo ein Mann ist."
Ob denn die Kleine nie vorher in einer Familie übernachtet habe, in der es auch einen Vater gegeben habe, wollte der Vorsitzende Richter, Christoph Kaufmann, von der Mutter wissen. "Nein", erwiderte sie: Nur in einem Fall habe ihr Ex-Mann ohne ihr Wissen eine solche Übernachtung bei einer anderen Familie erlaubt. Vorsichtig und doch hartnäckig fragte Kaufmann weiter, warum sie es so problematisch fände, wenn ein Mann im Spiel sei. "Vielleicht bin ich durch meine Vorgeschichte überempfindlich", antwortete sie und bejahte, als Kaufmann fragte: "Steht im Hintergrund etwas, das in diese Richtung geht?"
Letztlich erlaubte die Mutter die Übernachtung. "Ich habe ihm so etwas nicht zugetraut", meinte sie. Anders hatte es vorher ihre Freundin geschildert. "Sie hat mir gesagt, sie hätte das Gefühl, dass er sich zu Kindern hingezogen fühlt. Ich schätze, dass unsere Kinder fünf waren, als sie das zum ersten Mal gesagt hat. Später hat sie es noch mehrfach wiederholt", versicherte die Zeugin, kündigte jedoch auch an: "Jetzt weiß sie nicht mehr, dass sie das mal gesagt hat."
Tatsächlich bestritt die Mutter des mutmaßlichen Opfers auf präzises Nachfragen des Vorsitzenden hin zunächst, dem Nachbarn jemals eine pädophile Neigung unterstellt zu haben. "Was würden Sie sagen, wenn jemand sagen würde: Sie hätten schon vorher gesagt, Sie würden ihm das zutrauen?", wollte Kaufmann wissen. "Ich wäre schockiert", antwortete die Frau. "Aber ihre Bekannte hat uns eben genau das gesagt", hielt er ihr daraufhin vor. "Echt", staunte sie: "Daran kann ich mich nicht erinnern."
Aussagen der Zeuginnen zum Teil unstimmig
Im Nachgang der Übernachtung habe sie ihre Tochter zunächst "ganz normal" erlebt. Erst ein, zwei Tage später habe diese gesagt: "Da war was Komisches." Was jedoch genau passierte, ist schwer zu eruieren: Das Mädchen sprach davon, dass sie im Halbschlaf erlebt habe, eine Gummischlange in den Händen gehalten zu haben, mit der sie und ihr Freund nachmittags gespielt hätten. Das könne aber eigentlich nicht sein, weil die woanders gelegen habe.
Außerdem sei das Kopfkissen nass gewesen. Als sie sich darüber beklagt habe, habe der Vater des Freundes gesagt: "Du hast nur gesabbert", habe es aber gewechselt. Ähnlich schilderte das Kind die Situation gegenüber der befreundeten Sozialassistentin und ihrer Tochter – wobei diesem Gespräch voranging, dass ihr eigentlicher Kummer war, dass sie ihren Freund nicht mehr besuchen durfte: "Mama möchte das nicht, weil dort etwas Komisches passiert ist."
Die Anklage umfasst noch weitere, ebenfalls unpräzise Vorwürfe. So soll es ein "Mund auf, Augen zu"-Spiel gegeben haben, bei dem das Mädchen nicht genau wisse, was ihm in den Mund gesteckt worden sei – weil sie die Augen, den Regeln des Spieles entsprechend, geschlossen hielt. Auch dazu waren jedoch die Aussagen der Frauen unterschiedlich. "Meine Tochter sagt: Der macht mit uns immer so ein Spiel", so die 36-Jährige über ihren früheren Nachbarn.
Weil demnach wohl sein Sohn dabei sei, könne sie sich nicht vorstellen, dass es dabei wirklich um sexuelle Handlungen ginge, vielleicht sei eher ein Finger im Spiel – etwas soll nämlich "nach Haut" geschmeckt haben. Nach der Aussage ihrer Bekannten jedoch sagte das Mädchen auf die Frage, was denn mit ihrem Freund sei, wenn der Vater das Spiel spiele: "Die spielen das nicht, wenn ich da bin." Auf Nachfragen Kaufmanns, wie diese nicht logische Erwiderung zu verstehen sei, konnte sie keine Erklärung abgeben.
Frauen hielten den Mann für einen Macho
Grundsätzlich hatte der Angeklagte schon vor den Tatvorwürfen bei beiden Frauen keinen leichten Stand, wie sie schilderten. "Bei einem Kindergeburtstag haben wir den Kindern die Nägel lackiert und sein Sohn trug eine Glitzerkrone. Dazu hat er gesagt: Jungs tragen so etwas nicht. Das fand ich unsympathisch", so die Sozialassistentin. "Ich finde, er ist ein Pascha und macht Macho-Sprüche. Nachdem ich stark abgenommen habe, hat er das kommentiert", berichtete die Mutter des vermeintlichen Opfers.
Es gehe natürlich keinen etwas an, wie viel die Nachbarin wiege, so Kaufmann, der jedoch auch klarstellte: "Was macho-mäßige Sprüche angeht, haben wir hier schon anderes gehört."
Nach Aussagen der Sozialassistentin war auch in der Schule bekannt, dass die Missbrauchsvorwürfe gegen den Mann im Raum standen. Eine Lehrerin habe ihr aber dazu nur gesagt: "Uns sind die Hände gebunden." Weder Vater noch Mutter hätten Anzeige erstattet. Daher habe sie das schließlich selbst übernommen. Nun sitzt der Mann seit Juli in Untersuchungshaft. Das Verfahren wird fortgesetzt.
- Beobachtungen und Stimmen von vor Ort