Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Interview zur Situation in den Kindergärten "Das Wort Kita-Krise wird inflationär benutzt"
Zu wenig Bewerber und chronische Geldsorgen: Für die Kitas in der Stadt sind die Rahmenbedingungen schwierig. Der Geschäftsführer eines Kita-Trägers sieht dennoch viele positive Entwicklungen.
Geplagte Eltern, geschlossene Kitas, gestresste Erzieher – wer in diesen Tagen Medienberichte in Deutschland liest, muss den Eindruck gewinnen, dass das System Kita überall kurz vor dem Kollaps steht. In Köln sind allein in den städtischen Kitas zurzeit 300 Stellen offen.
Wie so oft liegt die Wahrheit hinter den Zahlen und Statistiken in der Mitte. Davon kann Bernd Naumann berichten, Geschäftsführer des Vereins Quäker Nachbarschaftsheim, der zwei Kitas in Köln betreibt. Ein Standort ist in Volkhoven, einer weiterer in der Innenstadt. Knapp 120 Kinder werden dort von 28 Fachkräften betreut, hinzu kommen Azubis und Aushilfen. Naumann findet: Es gibt Licht und Schatten im Kita-Kosmos.
Im Gespräch mit t-online erklärt er, wo die Schwierigkeiten liegen und warum er dennoch hoffnungsvoll ist.
t-online: Herr Naumann, haben wir wirklich eine Kita-Krise?
Bernd Naumann: Dieses Wort wird mir persönlich zu inflationär benutzt. Ich denke, man könnte sagen, dass wir eine sehr belastende Situation für Eltern und Mitarbeitende hinter uns haben in den vergangenen Jahren. Der Bedarf an zusätzlichen Kitaplätzen ist jedoch vorhanden und wir als Träger hätten im vergangenen Jahr nicht entschieden, eine zweite Kita zu eröffnen, wenn wir die Situation nur unter dem Begriff "Krise" gesehen hätten.
Wo liegen denn die Probleme?
Die Kita-Branche war lange Zeit total unterfinanziert. Erst im August 2024 wurde die Kindpauschale, also das Geld, das wir pro betreutem Kind vom Land erhalten, endlich um knapp zehn Prozent erhöht. Im August 2025 steigt sie nochmals um zehn Prozent. Vorher hatten wir aber bereits eine Tariferhöhung und einen Inflationsausgleich für unser Personal bezahlt, dafür mussten wir an unsere Rücklagen gehen. Und das Geld bekommen wir ja auch nicht mehr zurück.
Es heißt ja immer, dass der Erzieher-Job so schlecht bezahlt sei. Sind Sie trotzdem gegen Tariferhöhungen?
In den vergangenen Jahren hat es schon einen deutlichen Zuwachs im Gehalt gegeben. Wer heute in einer Einrichtung arbeitet, die nach Tarif bezahlt, erhält als Einstiegsgehalt rund 44.000 Euro brutto im Jahr. Ich finde, das ist akzeptabel.
Ich freue mich und gönne es jedem einzelnen Kollegen, wenn er durch eine Tariferhöhung mehr Geld bekommt. In unserem Verein zahlen wir aus Tradition und Überzeugung das Tarifgehalt. Aber wenn die Tarifverhandlungen nun mit einer Erhöhung von weiteren acht Prozent enden, bringt uns das an den Rand der Handlungsfähigkeit.
Mal abgesehen vom Geld. Sie brauchen ja auch gutes Personal. Ist das tatsächlich schwieriger geworden?
Definitiv. Wir bekommen auf eine Stelle nur noch zwei bis drei Bewerbungen, das waren früher wesentlich mehr. Und die Bewerber sind anspruchsvoller: Gerade in Außenbezirken wie Volkhoven haben wir einen Standortnachteil, die Arbeitnehmer sehen Wegezeit als Lebenszeit und wollen nicht so weit fahren. Das Team für Volkhoven zusammenzustellen, war deshalb nicht einfach.
Was ist die Folge vom Personalmangel?
Weil die Bewerberlage so schwierig ist, zieht die Leiharbeit mehr und mehr ins Kita-System ein. Und das lassen sich die Leih-Firmen gut bezahlen. So wird noch mehr Geld aus dem System gezogen. Auch Qualität, insbesondere in Bezug auf stabile Beziehungen zwischen Kindern und Erziehern, geht verloren.
Und wie sieht es beim Erziehernachwuchs aus?
Auch bei dem Thema tut sich etwas. Der Praxisteil der Ausbildung wird nun vergütet, was die Ausbildung attraktiver macht. Die Stadt Köln hat auch viele Schulplätze geschaffen. Vielleicht könnte der Quereinstieg noch einfacher werden, aber ohne eine "Entprofessionalisierung" des Berufs zu riskieren. Das Wichtigste ist aber: Das Image des Berufs muss wieder besser werden.
Dann legen Sie doch mal los: Warum ist Erzieher ein toller Beruf?
Er ist vor allem sinnstiftend. Die Beziehungsarbeit mit den Kindern über viele Jahre hinweg ist extrem erfüllend. Erzieher haben geregelte Arbeitszeiten und bekommen in tarifgebundenen Einrichtungen 30 Tage Urlaub und zusätzlich zwei Tage als "Regenerationstage". Dazu kommt – zumindest in unseren Kitas – ein toller Teamgedanke und eine familiäre Atmosphäre. Übrigens haben wir auch vier männliche Erzieher. Das Vorurteil, dass nur Frauen diesen Beruf wählen, stimmt also auch nicht.
Eine gute Kita-Fee kommt bei Ihnen vorbei: Was wünschen Sie sich?
In Köln müssen wir derzeit immer noch 7,8 Prozent unserer Finanzierung selbst tragen. Diesen Eigenanteil haben andere Kommunen abgeschafft. Ich verstehe, dass sich die Stadt Köln in ihrer Haushaltslage scheut, es ihnen gleichzutun. Trotzdem wäre das für uns sehr wünschenswert. Wir haben ja im Prinzip keine Einnahmen und müssen jedes Jahr den Eigenanteil über Spenden und aus Mitteln unseres Trägervereins abdecken.
Alle Nachbesserungen, die jetzt vom Gesetzgeber kommen – nehmen Sie die Erhöhung der Kindpauschale oder die Verbesserung der Ausbildung – sind grundsätzlich gut. Nicht tipptopp, aber sie lassen uns aufatmen. Am Ende ist die Finanzierung von Kitas aber eine gesamtgesellschaftliche Frage: Wie viel sind uns unsere Kinder wert und können wir vielleicht an anderer Stelle für deren Betreuung etwas einsparen?
- Gespräch mit Bernd Naumann