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"Traumathek" in Köln: Wie eine Videothek gegen den Streaming-Hype kämpft


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DVS und Kassetten statt Netflix und Co.
Wie eine Videothek gegen den Streaming-Hype kämpft


31.12.2024Lesedauer: 6 Min.
Karin Hüttenhofer in ihrem Reich: Filme sind ihre Leidenschaft.Vergrößern des Bildes
Karin Hüttenhofer in ihrem Reich: Filme sind ihre Leidenschaft. (Quelle: Martin Henning)
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Die "Traumathek" in Köln ist eine der letzten Videotheken in Deutschland. Inhaberin Karin Hüttenhofer will trotz der Streaming-Konkurrenz nicht aufgeben.

Vorsichtig öffnet der junge Mann die Eingangstür. Eine nette Begrüßung, dann die Frage: "Haben Sie den originalen Blade Runner in 4K?" Karin Hüttenhofer schaut in ihrer digitalen Datenbank nach. "Leider nicht", sagt sie. "Aber zumindest im Final Cut." "Und den ersten Harry Potter auf Blu-ray?", fragt der Mann wieder. "Den haben wir nur auf DVD." Er wolle den Film auf seiner Playstation gucken, sagt der Kunde. Ob die Konsole wohl DVDs abspiele? Die beiden kommen ins Grübeln.

Nicht immer hat Karin Hüttenhofer den gewünschten Film im Angebot. Aber bei fast 19.000 Blu-rays, DVDs und VHS ist die Wahrscheinlichkeit groß. Vor allem, wenn es um unbekanntere Titel, B-Movies und Filme in der Originalversion geht. Dafür ist die "Traumathek" – so heißt Hüttenhofers Programm-Videothek – auch über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.

Deutschland: Früher 5.000 Videotheken, heute nur noch 50

Wer über 30 ist, kann sich noch an die Hochzeiten der Videotheken erinnern: Als Kind und Jugendlicher stöberte man unzählige Stunden durch die prall gefüllten Filmregale. Guckte sich jedes Cover genau an. Schlich sich, wenn die Kassiererin nicht guckte, auch mal in die "Ab 18"-Abteilung.

Der Jahrzehnte währende Boom ist längst vorbei, die Branche liegt im Sterben. In den 80ern gab es in Deutschland noch fast 5.000 Videotheken, zuletzt waren es laut dem Bundesverband Audiovisuelle Medien (BVV Medien) noch etwa 50. Erst machten den Betreibern illegale Online-Tauschbörsen zu schaffen, jetzt ist es die anhaltende Lust aufs Streamen.

Die "Traumathek" in Köln: Ein Ort für das Absurde

Auch Karin Hüttenhofer muss ums Überleben kämpfen. Aber sie bleibt kämpferisch, aus Überzeugung und Trotz. Netflix und Co. lehnt sie ab. "Ich will das Filmgucken zelebrieren", sagt die 60-Jährige. "Ich möchte mir vorher das Cover anschauen, das Haptische genießen. Ich möchte die Disc einlegen, das Bonusmaterial schauen. Streamen würde mir nicht gefallen."

Viele Kunden erzählten ihr, dass sie genau deswegen keine Lust mehr aufs Streamen hätten. Oder das Programm sei schlecht. "Aber trotzdem bleiben alle dort hängen", sagt Hüttenhofer. "Es ist die Bequemlichkeit."

Als Hüttenhofer die "Traumathek" 1994 mit ihrem damaligen Partner eröffnete, gab es noch ganz andere Probleme. Sie war Studentin, er hatte gerade seinen anstrengenden Job im Blumenladen gekündigt. Das junge Paar wollte in Köln einen Ort schaffen, an dem man auch "die absurderen, raren Filme" abseits des Mainstreams ausleihen konnte. Die hatte man zuvor nur per Postbestellung kaufen können. Ungeschnitten und in der Originalversion, oft aus den Niederlanden oder Hongkong – besonders seltene Werke kosteten 100 Euro pro Stück.

Als Vorbild fürs eigene Projekt diente die Programm-Videothek "Videodrom" in Berlin. Die setzte bereits auf ein ähnliches Modell und war erfolgreich damit. Ironischerweise gehört das "Videodrom" neben der "Traumathek" zu den letzten verbliebenen Videotheken in Deutschland. Man sei eng miteinander verbunden, sagt Hüttenhofer – beileibe keine Selbstverständlichkeit in der Branche.

"Traumathek": Ein Anfang auf 40 Quadratmetern

Ihr eigenes Abenteuer fing auf 40 Quadratmetern in der Lützowstraße an. "10.000 Mark haben wir uns von der Sparkasse geliehen, 10.000 Mark von Freunden und Familie. Und dann haben wir Filme eingekauft." Nur das, was es in Köln sonst nicht gab: Trash, Underground, Horror, Kunst, Experimentelles. In den Anfangszeiten hätten die Kunden bei Neuerscheinungen regelrecht Schlange gestanden, erzählt Hüttenhofer.

Stetig erweiterten sie und ihr Partner das Angebot, bis die Räumlichkeiten irgendwann zu klein wurden. Also ging es weiter in die Jülicher Straße. Doch die Zeit dort stand unter keinem guten Stern: Hüttenhofers Partner trennte sich und verkaufte ihr seine Hälfte der Anteile.

Für die Studentin wurde die "Traumathek" zum Fulltime-Job. "Ich hatte von Buchführung keine Ahnung und musste es mir beibringen", sagt sie. Dann faulten auch noch die Cover der VHS-Kassetten, weil der Keller, in dem sie lagerten, feucht war. 2002 zog Hüttenhofer an den heutigen Standort in der Engelbertstraße.

Köln: Videothek-Kunden sind meist sehr jung

Anders als zu Beginn umfasst das Angebot inzwischen auch Mainstream-Filme. Kundin Nadine Durst hat daran kein Interesse. "Ich gucke gerne B-Movies. Die ganz neuen Sachen, die im Kino laufen, sind mir meist zu langweilig. Alles wiederholt sich so ein bisschen", sagt sie. Seit zwölf Jahren ist Durst Stammkundin in der "Traumathek". "Ich finde die Auswahl sehr gut und trinke auch gerne mal einen Kaffee hier. Netflix interessiert mich nicht. Hier gibt es auch Filme, die man digital nicht bekommt." Die Videothek sei ein Treffpunkt – wenn man einen Film gesehen habe, könne man sich darüber mit anderen austauschen. "Und hier zu stöbern, ist auch schön."

Um heute als Videotheken-Betreiberin überleben zu können, muss man flexibel sein. In der "Traumathek" leiht man die Filme immer bis zum übernächsten Tag aus. Das kostet 3,60 Euro pro Film, für "Topfilme" werden vier Euro fällig. Die Kunden können aber auch andere Modelle wählen: Drei Filme für eine Woche kosten zehn Euro, fünf Filme für eine Woche 15 Euro. Eine Zehnerkarte für 33,90 Euro gibt es auch. Das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bietet die Clubmitgliedschaft: Für 25 Euro pro Monat kann man im gleichen Zeitraum bis zu 30 Titel ausleihen. Dabei sind ausgewählte Titel auch käuflich zu erwerben.

Kölner "Traumathek": Hommage an berühmten Horrorfilm-Regisseur

Neben Flexibilität braucht es Kreativität. Schon vor 15 Jahren spitzte sich die finanzielle Lage der "Traumathek" zu. Also entschied sich Hüttenhofer, im vorderen Bereich der großzügigen Räumlichkeiten ein Café einzurichten. Die Suche nach den knallroten Bistro-Tischen im Stil des Films "Die fabelhafte Welt der Amélie" dauerte fast zwei Jahre. 2016 ließ die Inhaberin außerdem ein Hinterzimmer zum "Studio Argento" ausbauen, das man für Privatvorführungen mieten kann und in dem regelmäßig Filmreihen gezeigt werden.

Der Name leitet sich vom berühmten italienischen Horrorfilm-Regisseur Dario Argento ab. Der inszenierte unter anderem 1993 den Film "Trauma", welcher wiederum Namensgeber für die Videothek war. "Argentos Filme waren damals etwas gänzlich Neues für mich", erzählt Hüttenhofer. Sie schwärmt: "Die Ästhetik, die Energie, der pulsierende Soundtrack, die Wildheit, das Surreale, die Kamerafahrten, die Sinnlichkeit – man rieb sich die Augen und dachte: 'Wow, wie cool!'"

"Traumathek": Stadt Köln streicht Förderung

An der Fensterfront der "Traumathek" prangt ein großer Aufkleber. Eingefasst von einem Lorbeerkranz, heißt es: "30 Jahre – seit 1994". Zu jedem Jubiläum tauscht Hüttenhofer den Aufkleber aus. Wie viele runde Geburtstage sie mit ihrem Laden noch feiern kann, weiß sie selbst nicht. 2017 stand die "Traumathek" schon mal kurz vor dem Aus, ein Hilfeaufruf brachte 10.000 Euro private Spenden ein und verhinderte die Schließung.

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Neben dem Filmverleih und -verkauf, den Club-Mitgliedschaften, dem Café sowie den öffentlichen und privaten Filmvorführungen im Ladenkino sorgen auch jährliche Förderungen der Stadt Köln dafür, dass sich die "Traumathek" knapp über Wasser halten kann. Doch ab 2025 fällt dieses Geld weg – 5.000 Euro pro Jahr. Dass Stiftungen die Videothek immer mal wieder auszeichnen und ihr Förderprämien zukommen lassen, entschärft die Lage nur temporär.

Die Inhaberin weiß, dass das Überleben ihres Ladens trotz der tatkräftigen Mitarbeitenden letztlich von ihr abhängt. Doch mit 60 Jahren kommt sie langsam an ihre körperlichen Grenzen. Ihre Arbeitsstunden wolle sie auf 30 pro Woche reduzieren, sagt sie. Mehr private Kino-Vermietungen und weniger zeitaufwendige Filmreihen sollen die Öffnungszeiten verkürzen und außerdem noch Personalkosten einsparen. Ansonsten, so der Eindruck, muss es irgendwie so funktionieren.

Ein sozialer Raum abseits des Mainstreams

Ihre Leidenschaft wird Hüttenhofer aber niemals aufgeben. "Ich komme aus einer Generation, in der man Filme gelebt und nicht einfach nur konsumiert hat", sagt sie. "Ich weiß nicht, was Privatleben und was Arbeit ist. Wenn ich zu Hause bin, gucke ich Filme. Wenn ich zu Hause bin, lese ich über Filme. Wenn ich zu Hause bin, höre ich Musik, die damit zu tun hat."

Solange es geht, wird Inhaberin Karin Hüttenhofer hinter dem Tresen stehen. Ein Zitat ihres Idols Dario Argento kann man ziemlich gut auf sie übertragen: "Du darfst keine Angst haben. Du musst überall ans absolute Limit gehen oder dein Leben wird langweilig sein."

Verwendete Quellen
  • Reporter vor Ort
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