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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Reportage vom Heumarkt Mitsingen für Henning Krautmachers kranke Frau
Auf dem Heumarkt zeigte der Karneval sein schönstes Gesicht. 12.000 Jecke feierten im Sonnenschein und verabschiedeten gleich drei musikalische Urgesteine in die "Rente".
Von Müdigkeit kann keine Rede sein bei "Oma Edith", als gegen 14 Uhr die Höhner loslegen. Neuneinhalb Stunden Heumarkt hat die 84-Jährige zu diesem Zeitpunkt schon hinter sich. In aller Frühe ist sie zusammen mit ihrer Enkelin und anderen Verwandten eingetroffen, um beim traditionellen Sessionsauftakt einen Platz in der ersten Reihe zu ergattern. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Tamburin raus, jecke Brille auf und mitgeschunkelt: "Jede Minute ist meine", sagt Oma Edith: "Irgendwann sind wir nicht mehr da."
Als die Höhner an der Reihe sind, ist zumindest einer schon nicht mehr da. Jedenfalls nicht mehr auf der Bühne. Frontsänger Henning Krautmacher hatte sich früher als geplant von seinem langjährigen Stammplatz verabschiedet, um an der Seite seiner schwer erkrankten Frau sein zu können. Nun füllt Sänger Patrick Lück die Lücke. Als wolle er den Blick gleich in die Zukunft lenken, folgt nach einem Medley aus alten Hits wie "Ich ben ne' Räuber" oder "Echte Fründe" der neue Song "Prinzessin".
Kein leichtes Erbe
"Gehen wir ein wenig weg von der Tradition", ruft der 47-Jährige den rund 12.000 Jecken zu. Die Menge geht mit, der neue Song kommt an. Mit "Schenk mir dein Herz" und "Viva Colonia" geht es weiter, als wäre nichts gewesen. Aber Ulrike, zusammen mit 16 schwarz-weiß kostümierten Freunden im Publikum, weiß um die Tragweite der Personalie: "Das ist, als ob bei Brings der Pitter fehlt", sagt die 56-Jährige. "Aber man muss ihm eine Chance geben, wir wollen sehen, was er draus macht." Vanessa, Freundin von "Oma Ediths" Enkelin Silvia, findet Patrick Lücks Performance gelungen: "Das ist ja kein leichtes Erbe, das er hier antritt, aber er hat es toll gemacht." Den traurigen Hintergrund will sie aber nicht vergessen: "Wir singen heute einfach für Henning Krautmachers kranke Frau mit."
Der Sessionsauftakt, veranstaltet von der Willi-Ostermann-Gesellschaft, gehört am 11.11.2022 zur friedlichen Seite des Kölner Karnevals. Während es rund um die Zülpicher Straße zu chaotischen Szenen kommt, läuft hier alles nach Plan. "Wir hatten ein sehr ausgeklügeltes Sicherheitskonzept, das über die Jahre optimiert wurde", sagt Präsident Ralf Schlegelmilch. Dazu gehören rund 300 Sicherheitskräfte und zum Teil personalisierte Eintrittskarten. Als die maximal zulässigen 12.000 Zuschauer erreicht sind, kommt es gegen Mittag zu einem Einlass-Stopp, aber keineswegs zu schlechter Laune. "Die Stimmung ist perfekt, der liebe Gott muss ne Kölsche sin", sagt die schwarz-weiße Ulrike.
Kurzer und schmerzloser Abschied nach 52 Jahren
Bevor um 11.11 Uhr die Konfettikanonen knallen, kommen AnnenMayKantereit auf einen ebenso melancholischen wie überraschenden Kurzauftritt vorbei. Danach stehen Cat Ballou, Kasalla oder die Räuber auf dem Programm. Brings schicken mit "Polka, Polka, Polka" einen Doppelwumms durch die Verstärker.
Dann folgt ein weiterer Abschied. Erry Stoklosa und Bömmel Lückerath von den Bläck Fööss sind zum letzten Mal bei einem Sessionsauftakt dabei. Silvester treten sie noch einmal in der Lanxess-Arena auf. Dann ist für die letzten verbliebenen Gründungsmitglieder der Kultband nach 52 Jahren Feierabend. Wohl keine zweite Gruppe hat die kölsche Musikszene derartig geprägt. Dennoch hält sich die Wehmut in Grenzen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge gehe er noch einmal auf die Bühne, sagt Lückerath, bevor es losgeht: "Aber nach 52 Jahren kann es auch mal vorbei sein."
Noch einmal greift er zur Gitarre, noch einmal singt Erry Stoklosa den Riesenhit "En unserem Veedel" – "En d'r Weetschaff op d'r Eck ston die Männer an d'r Thek'". Es folgt zum Schluss "Rut un wiess wie lieb ich dich". "Tschö", sagt Stoklosa. Mehr sagt er nicht. "Oma Edith" ist zum Glück nicht sprachlos: "Die Höhner bleiben die Höhner und die Bläck Fööss bleiben die Bläck Fööss. Auch ohne die Alten sind sie gut." Dann geht auch sie nach Hause.
- Reporter vor Ort