Landtagswahl in Niedersachsen Das Hoffen auf den Gysi-Effekt in Hannover
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ob die Linke bei der Landtagswahl am Sonntag den Einzug ins Parlament schafft, ist fraglich. In Hannover-Linden ist die Unterstützung für sie allerdings enorm.
Linken-Politiker Gregor Gysi ist am Donnerstagabend bei einer Wahlkampfveranstaltung seiner Partei in Hannover aufgetreten. Von Hunderten Besuchern erntete Gysi donnernden Applaus, als er sagte: "Nato und EU haben alles falsch gemacht, was man im Ukraine-Krieg falsch machen konnte". Dennoch verurteile der Bundestagsabgeordnete und Rechtsanwalt den von Russland geführten Angriffskrieg "aufs Schärfste".
Von einem Teil des Publikums erntete Gysi für letztere Aussage Applaus, vom anderen Schweigen. Die Szene versinnbildlicht, wie zerrissen die Partei vor der anstehenden Landtagswahl in Niedersachsen tatsächlich ist – doch Gysi scheint über dem parteiinternen Konflikt zu schweben.
Schon die Anmoderation durch Linken-Lokalmatadorin Parwaneh Bokah löste langanhaltenden Applaus für Gysi aus, der seiner Partei auf Bundesebene eines von drei Direktmandaten sicherte und damit ein Scheitern an der Fünfprozenthürde abwendete. Verhilft Gysi seiner Partei auch in Niedersachsen zum ersehnten Einzug in den Landtag?
Er sprach während seiner Rede von der parteiinternen Spaltung, die auch in der Öffentlichkeit ausgetragen wird und der Partei im Landtagswahlkampf nicht weiterhilft.
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Aktuelle Umfragen sehen die Linke bei 3,5 Prozent (Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF). Während sich weiterhin viele Parteigenossen um die frühere Parteivorsitzende Sahra Wagenknecht scharen, laufen bereits erste Abwerbungsversuche gemäßigterer Linken-Politiker durch die SPD.
Gysi: Behutsame Sanktionen auch bei völkerrechtswidrigen Kriegen
Doch in Hannover-Linden war die Stimmung an diesem Donnerstagabend gut – dazu trug auch die Schlagfertigkeit und die berüchtigte scharfe Kritik bei, für die Gregor Gysi bekannt ist. An diesem Abend traf sie vor allem die niedersächsische Landesregierung von Ministerpräsident Stephan Weil.
Dabei bekam auch die Bundesregierung ihr Fett weg: So kritisierte Gysi die Bereitschaft, ein 100-Milliarden-Paket als Sondervermögen für die Aufrüstung der Bundeswehr zu verabschieden, um diese wieder in Form zu bringen.
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Zudem kritisierte Gysi die Wirtschaftssanktionen der westlichen Staaten gegen Russland: Sie träfen vor allem die Bevölkerung – auch die deutsche. Dabei plane und führe nur ein "kleiner Kreis um Putin" den Krieg aus, nicht die russische Bevölkerung.
Laut Umfragewerten von Statista vom August 2022 sprachen sich nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine rund 83 Prozent der russischen Befragten zugunsten des Handelns von Präsident Putin aus. Mit Sanktionen müsse man jedoch "auch bei völkerrechtswidrigen Kriegen" behutsam sein, so Gysi.
Mohamed Ali: Frage nach "heizen oder essen"
Als Vergleich führte Gysi wiederholt Kritik an früheren europäischen Konflikten an, etwa der am Jugoslawienkrieg, und verurteilte ihn einmal mehr als völkerrechtswidrig. Und die von Außenministerin Annalena Baerbock versprochenen Waffenlieferungen an Saudi-Arabien seien grundsätzlich falsch, so der Linken-Politiker.
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Amira Mohamed Ali aus Oldenburg, Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, erinnerte während ihrer Ansprache vor allem an die Nöte der Kinder in Deutschland in Zeiten der Inflation. Die Bundesregierung habe zwar Hilfspakete auf den Weg gebracht, das sei aber zu wenig, findet Mohamed Ali: Die Frage, ob man "heizen oder essen" darf, dürfe es in einem Land wie Deutschland nicht geben.
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Auch hierfür gab es starken Applaus aus der Menge der Zuschauer, was auf große Zustimmung schließen lässt.
Zum Abschluss der Veranstaltung in Hannover-Linden bildete sich eine Traube um Gysi. In dem Stadtteil kommt die Partei regelmäßig auf bis zu 20 Prozent.
Bundeskanzler kommt nach Hannover
Am Freitagabend erwartet die Landeshauptstadt den nächsten Besuch aus Berlin: CDU-Chef Friedrich Merz unterstützt den Spitzenkandidaten seiner Partei, Bernd Althusmann, an der Marktkirche in Hannover, und um 18 Uhr wird Christian Lindner mit dem FDP-Kandidaten Stefan Birkner die Anhänger der Liberalen auf den Wahlkampfendspurt einschwören. Am Sonntag kommt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit der Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, und dem niedersächsischen Amtsinhaber und Kandidaten Stephan Weil ebenfalls an die Marktkirche.
- Reporter vor Ort
- statista.com: "Befürworten Sie das Handeln von Wladimir Putin als Präsident (Premierminister) Russlands?"
- Eigene Recherche